Euthanasie-Gesetz in den Niederlanden

Erweitertes Lifestyle-Angebot

Nun sollen die Niederländer also bekommen, was die Nationalsozialisten, die erste Entwürfe in der Schublade verborgen hielten, den Deutschen schließlich vorenthalten haben: ein ordentliches Euthanasie-Gesetz. "Tötung auf Verlangen" ist in den Niederlanden seit Anfang der achtziger Jahre eine weithin geübte, von der Gesellschaft tolerierte und gewünschte Praxis - und der Kreis derer, die in den Genuß dieser vermeintlichen Wohltat der Hochleistungsmedizin kommen können, wurde nach und nach vergrößert.

Waren es erst nur sterbende Menschen, deren Sterbephase abgekürzt werden sollte, kamen bald auch chronisch Kranke, die Schmerzen litten und als nicht behandelbar galten, hinzu. Heute sind auch demente Patienten, die Patienten-Testamente verfügt haben, und vereinzelt sogar psychisch Kranke potentielle Euthanasie-Kandidaten, ebenso schwerbehinderte Neugeborene. Das geplante neue Gesetz bleibt der Tradition treu, immer neuen Gruppen das Recht zu gewähren, sich töten zu lassen. Künftig sollen Jugendliche ab 12 Jahren - auch gegen den Willen ihrer Eltern - für die Tötung auf Verlangen optieren dürfen.

Entscheidend an dem Plan der sozialliberalen Regierung in Den Haag ist etwas anderes: Indem sie Euthanasie gesetzlich regeln will, nimmt sie ihr den Charakter des Heimlichen - dessen, was sich durchsetzt, von der Rechtsordnung aber nicht als Regelfall anerkannt werden soll und deswegen in Verordnungen oder nebengesetzlichen Regelungen versteckt wird. Künftig haftet der Euthanasie, der Tötung von privaten Menschen durch private Menschen in Friedenszeiten und im Rahmen eines gut ausgestatteten medizinischen Versorgungssystems nichts Ungewöhnliches mehr an: Sie ist gesetzlicher Normalfall.

Auch das höchste Rechtsgut, das Leben, ist unter bestimmten Bedingungen nicht mehr schützenswert, nicht einmal mehr symbolisch. Es wird den einzelnen und Vereinzelten zur freien Verfügung überlassen. Die Freiheit dieser Verfügung ist durch ungeschriebene Umstände eng begrenzt: Eine wirkungsvolle, hochentwickelte Schmerztherapie ist auch in den Niederlanden nicht selbstverständlich, die psychische Betreuung und soziale Versorgung in den Heimen und Krankenhäusern, in denen viele der potentiellen Euthanasie-Kandidaten ihr Leben verbringen, ist unzureichend. Die Diskriminierung behinderter und chronisch kranker Menschen gehört auch in den Niederlanden zum gesellschaftlichen Alltag.

Die künftig wohlverbürgte Freiheit, unter diesen Umständen den Tod zu wählen, ist deswegen in erster Linie eine Freiheit, als Konsument aus dem Lifestyle-Angebot der Industrie- und Leistungsgesellschaft zu wählen. Der Tod wird zur Konfektionsware, die Lebensbeendigung zum Fertiggericht: Man kann selbst entscheiden, wann man es sich aufwärmen lassen will, ob im Ofen oder in der Mikrowelle.

Fraglich bleibt, was die niederländische Regierung - die Anfang der neunziger Jahre die Erfahrungen mit der Euthanasie-Praxis im eigenen Land selbst nicht so ermutigend fand und deswegen das Vorhaben, ein Gesetz zu verabschieden, zurückzog - jetzt motiviert haben mag, den letzten Schritt zu gehen. Eine wichtige Ursache wird der wachsende Druck der Pro-Euthanasie-Lobby sein, die auch Gesundheitsminister Els Borst in ihren Reihen weiß - er ist Mitglied der Gesellschaft für Freiwillige Euthanasie: Um ihre weiteren Ziele, vor allem die Ausweitung des Kreises der potentiellen Euthanasie-Nachfrager, anpeilen zu können, hält sie die Verfestigung der jetzigen Situation für notwendig. Das Vorläufige der niederländischen Euthanasie-Regelung erwies sich für Pläne zur Ausweitung als kontraproduktiv, zumal in den letzten Jahren die Anti-Euthanasie-Bewegung, ermutigt durch internationale Kritik an den niederländischen Verhältnissen, stärker geworden ist. So drohten Einschränkungen der durch ihre weitgehende Formlosigkeit besonders flexiblen Regelungen.

Inwieweit ein niederländisches Euthanasie-Gesetz internationale Pro-Sterbehilfe-Entwicklungen befördern wird, ist schwer abzusehen: Zumindest für die EU besteht die Gefahr, daß, wie bei der Bioethik-Konvention, Harmonisierungs-Druck entwickelt wird, um einem angeblich drohenden Euthanasie-Tourismus zuvorzukommen.