Mitesser ausdrücken

Die Biographie der britischen Modedesignerin Vivienne Westwood

Vivienne Westwood gilt als Promoterin von Jugendkultur; als diejenige, die den Teenager zwar nicht erfunden, aber sein Image kreiert und die Relationen zwischen Subkultur und Kommerz frühzeitig ausgemessen hat. Dabei war sie, so Jane Mulvagh, an Straßen- und Jugendkultur per se überhaupt nicht interessiert, Jugendlichkeit stellte für Westwood zu keiner Zeit, in keiner ihrer Arbeiten ein Ideal dar. "Vielmehr ließ sie sich von der Mode und der Handlungsweise jedweder lautstarken oder militant-sektiererischen, seltsam gewandeten oder subversiven Gruppe faszinieren (...). Bei den Gruppen mochte es sich um Samurais, die Tolpuddle-Märtyrer, Shaker oder Sadomasochisten handeln; wichtig war nur, ob sich deren Gewänder recherchieren und nacharbeiten ließen." Allerdings interessierte sich außer Westwood niemand für Tolpuddle-Märtyrer.

Mulvaghs wahrt in ihrer Biographie repektvolle Distanz gegenüber den Ideen von Punk und damit gegenüber dem spektakulärsten Kapitel im Leben der britischen Designerin, eine Herangehensweise, die den Vorzug besitzt, daß die Trennschärfe zwischen Westwood einerseits und der Szene andererseits nicht verlorengeht, denn Westwood war in erster Linie Anregerin der Bewegung und erst in zweiter Linie ein Teil von ihr. Dafür sorgte schon Malcolm McLaren, der Westwoods Leben und die Kunstszene gleichermaßen zu organisieren verstand und seiner Freundin demonstrierte, daß er es war, der über die Kontakte verfügte und die Fäden zog. "Sie war nicht der Typ, der Ideen oder Gedanken artikulieren konnte", sagte McLaren über die gemeinsamen Anfänge. "Sie hatte gar keine Ideen."

"An Unfashionable Life", auf deutsch unter dem bemühten Titel "Die Lady ist ein Punk" erschienen, ist von Westwood nicht autorisiert worden; offensichtlich eine Reaktion auf zahlreiche Indiskretionen und insbesondere auf den von Mulvagh erhobenen Vorwurf, Westwood habe sich immer wieder in die Hände von manipulativen Männern begeben und ihre künstlerische Programmatik von deren Vorlieben abhängig gemacht. Schuld daran, daß Westwood mit ihrer sklavischen Wiedergabe historischer Bekleidung gegenwärtig jede Relevanz für die Modeszene verloren hat, sei die Heirat mit dem um 30 Jahre jüngeren Zwangsnostalgiker Andreas Kronthaler, der die Avantgardistin der siebziger Jahre zurück ins 16. Jahrhundert geworfen habe.

Die Biographin formuliert diese berechtigte Kritik etwas diskreter (McLaren pöbelt: "Warum mußte sie einen Schwulen heiraten?"). Es gelingt Mulvagh allerdings nicht, eine Perspektive zu entwickeln, die es erlaubt, die Männerbeziehungen - die immer beides waren: Arbeits- und Liebesbeziehungen - auch als Karrierestrategie zu deuten, mit der Westwood die Rolle der Ausbeuterin übernimmt. Schließlich muß es sich McLaren heute gefallen lassen, daß seine Einfälle Westwood zugeschlagen werden.

Kindheit und Jugend von Vivienne Isabel Swire kann man als die Inkubationszeit des Punk lesen: 1941 in Glossop als Kind einer Arbeiterfamilie geboren, bestand der einzige Luxus, den das Elternhaus zu bieten hatte, in einer für die Zeit erstaunlichen Liberalität. Obwohl beide Eheleute arbeiteten, brachte es die Familie nie zu Wohlstand, entwickelte aber einen gewissen ehrgeizigen Spaß am kollektiven Sparen. Die nach dem Krieg zum Wiederaufbau der Volkswirtschaft ausgegebene Parole "Aus alt mach' neu" betrachteten die Swires als ihre Privatangelegenheit; Kleidung, Möbel, Hausrat wurden nach Möglichkeit selbstgebastelt: Trash-Weihnachten im Derbyshire der vierziger Jahre: Den Baum der Swires schmückten silberne Lochdeckel, die von Salz- und Pfefferstreuern abgeschraubt wurden.

Spätestens auf dem Gymnasium entdeckte Vivienne die Rolle der überspannten Frau, gebärdete sich exzentrisch und hatte damit den Kampf gegen die Langeweile proletarischer Konformität aufgenommen - und ihn 1962 schon so gut wie verloren. Sie verliebte sich in einen attraktiven Rock'n'Roll- Tänzer, der davon träumte, Pilot zu werden, heiratete Derek John Westwood ein Jahr darauf, bekam ihr erstes Kind und langweilte sich zu Tode, bis ihr 1965 McLaren über den Weg lief.

Im Unterschied zu McLaren, der sich darauf berief, daß "Verkaufstüchtigkeit die faszinierendste Form der Kunst" sei (Warhol), war Westwood streng anti-kommerziell eingestellt; bis heute hat sie aus ihrer Arbeit kein Kapital schlagen können. Lediglich mit dem seit 1998 vertriebenen Parfüm "Boudoir" unternahm sie einen späten Versuch, ihren Namen auszumünzen. Es ging Westwood nie darum, die Masse zu beeinflussen, sondern um die Kontrolle der paar Leute, die ihre Mode trugen.

Im Laden in der King's Road, 1991 unter dem Namen "Let it Rock" eröffnet, konnte es den Kunden passieren, daß sie von Westwood ausführlich darüber verhört wurden, warum sie beabsichtigten, ein bestimmtes Kleidungsstück zu kaufen. Die berühmten T-Shirts wie das Tom-of-Finland-Hemd "Zwei nackte Cowboys", das "Cambridge-Ripper"- und das "Destroy"-Shirt mit Bildcollagen und Parolen oder das aus Hühner-Gerippen gefertigte Knochen-Hemd waren Statements des Außenseitertums, die nicht zum Spiel mit dem Outlaw-Image verkommen sollten.

Es ließ sich nicht verhindern; viele der von ihr entwickelten Protestformen, die sich gegen das Establishment richten sollten, sind entweder in kommerzielle Zusammenhänge eingegangen oder in einem die Intentionen verkehrenden repressiven Kontext verwendet worden. Das 1974 entworfene "Sex"-Shirt mit dem über der Brust applizierten Text "Eines Morgens wachst du auf und weißt, auf welcher Seite des Bettes du gelegen hast!" führt auf der linken Seite unter "Hates", auf der rechten unter "Loves" Dinge auf, die die Szene nach Ansicht von Westwood und McLaren hassen bzw. lieben sollte.

Der Verachtung preisgegeben wurden "Mick Jagger, Strafzettel, Vogue, Die Beschränktheit des Medienmonopols, das harmlose Kreativität als subversiv darstellt, Ossie Clark, alte Kleider, alte Ideen und Erholung auf dem Lande"; zu Objekten der Verehrung erklärt wurden Christine Keeler, SCUM (Society for Cutting Up Men), Posträuber Ronnie Biggs sowie diverse Frauenhelden, Renegaten und Militante. Peter York, Kritiker bei Harper's & Queen begeisterte sich so für diese Idee, daß er sie als In- und Out-Liste zu einer festen Rubrik machte, wie sie inzwischen jedes Lifestyle-Magazin führt.

Andere Arbeiten hatten ein noch grausameres Schickal; auch die in Militaria- oder Touristen-Shops erhältlichen Wichser-Shirts mit Ballermannhumor wie "Zehn Unterschiede zwischen Frauen und Bier" dürften entfernte Nachfahren von Westwoods Statement-Shirts sein.

Auch den späteren Westwood-Provokationen fehlt jeder Anflug von Kokettererie. Als Westwood 1992 - sie hat inzwischen eine Zusammenarbeit mit Armani, eine Professur in Wien und Berlin sowie zahlreiche Auszeichnungen vorzuweisen - zu einem Empfang der Queen geladen wurde und im Kensington Palace ohne Unterwäsche in einem transparenten Abendkleid erschien, hatte das nichts von der üblichen Skandal-Masche Schöne-Tochter-aus-dem- Volk-zeigt-der-verknöcherten-Elite- die-wahren-Werte, sondern bedeutete für die Beteiligten eine peinliche Tortur. Möglich, daß es auch für Westwood eine war. (Sie habe sich oft überwinden müssen, die extremen Teile der "Sex"-Kollektion im Laden in der King' Road selbst zu tragen, erwähnt eine ehemaligen Mitarbeiterin gegenüber Mulvagh.) Mode-Perfektionistin Westwood behauptete später, nicht gewußt zu haben, daß der Stoff bei Licht durchsichtig ist - eine wunderbare Pointe.

"Vielleicht ist es ein historisches Gesetz, daß Kleidungsstücke im Laufe der Zeit von einer Art Zentrifugalkraft erfaßt werden: das Innere drängt beständig nach außen und möchte sich zeigen", schreibt Roland Barthes 1967 über die "Variante des Hinausragens" und hat dabei jene spannungsreiche Erotik-erzeugende Mischung von Sichtbarem und Verborgenem im Sinn wie z.B. beim hervorschauenden Spitzenunterhemd. Die Kollektionen "Sex" und "Seditionaries" beendeten solche Zweideutigkeiten.

Mit dem (von Madonna in einer entschärften Variante popularisierten) Konzept von Underwear-als-Outerwear wurde nicht nur das Innere nach außen, das Untere zuoberst gekehrt, sondern zugleich in einem Akt ironischer Dekodierung der Fetischcharakter von Mode an sich vorgeführt. Eine der bekanntesten, weil skandalträchtigeren Arbeiten - US-amerikanische Einkäufer verließen beim Anblick von "Pagan V" demonstrativ die Schau - zeigt einen im Comic-Stil gezeichneten Penis auf fleischfarbenem Slip; das Marilyn-Monroe-Shirt einen erigierten Schwanz auf dem rechten Ärmel, einen erschlafften auf dem linken und das mit Sperma bekleckerte Gesicht des Sex-Symbols.

Während viele weibliche Designer damit experimentierten, die Mode komfortabler zu machen und den Wohlfühlfaktor betonten, schnürte Westwood die Frauen in Bondage-Hosen und -Shirts und trieb die physische Behinderung des weiblichen Körpers auf die Spitze. Parallel dazu führte sie pornographische und Gewalt-Motive in die Mode ein.

Für die feministische Psychoanalytiker Louise Kaplan ist der Designer ein moderner Pygmalion, der es nur darauf abgesehen hat, den Frauenkörper zu reparieren oder zu deformieren, der zugleich aber alles unternimmt, den Akt der Aggression sowie die Motive seines Handelns zu verschleiern. Anstatt sich seinen verdrängten Transvestismus einzugestehen, wählt er einen Beruf, der ihm ermöglicht, seine Wünsche in gesellschaftlich akzeptierte Bahnen zu lenken, er spricht fortwährend von Ästhetik und Funktion, bis alle Welt glaubt, der winzige Pelzbesatz am Ausschnitt des Abendkleids diene tatsächlich dazu, vor Zugluft im Ballsaal zu schützen. Auch wenn man nicht wie Kaplan der Ansicht ist, mit der Psychoanalyse bereits den Schlüssel zum Verständnis der Mode in der Hand zu halten, ist offenkundig, daß diese oftmals Funktionalität suggeriert, wo bloßer Zwang herrscht.

Westwood, die sowohl wegen ihrer Bevorzugung gewaltpornographischer Motive als auch ihrer oft abfälligen Bemerkungen über Frauen, von Kritikerinnen des Sexismus und Antifeminismus bezichtigt wurde (so z. T. auch von Mulvagh), zerrte in ihren der Punk-Phase zuzurechnenden Arbeiten das verdeckte Skript des Modedesigns hervor, und zwar durchaus in der Absichte, es zu ironisieren, zu neutralisieren und seine Macht einzuschränken.

"Wir sind nicht nur hier, um Fetisch-Klamotten zu verkaufen, sondern um zu bekehren, aufzuklären, zu befreien", erklärte Westwood im Sex-Magazin Forum. Etwas lakonischer formulierte es ihr zeitweiliger Mitarbeiter Jamie Reid: "Punk ist wie Mitesser ausdrücken."

Jane Mulvagh: Vivienne Westwood. Die Lady ist ein Punk. Marion von Schröder Verlag, München 1999, 519 S., DM 49,90