Der Mann fürs Grobe

Das polnische "Durchleuchtungsgesetz" hat sein erstes prominentes Opfer gefunden - den konservativen Innenminister Janusz Tomaszewski

Bei Aktionen gegen unbequeme Parteimitglieder oder für Attacken gegen die verhaßten Postkommunisten - überall dort, wo sich die Solidarnosc-Führung ihre Hände nicht schmutzig machen wollte, hatte sie ihren Mann fürs Grobe: Janusz Tomaszewski, bis Mittwoch vergangener Woche polnischer Innenminister und stellvertretender Premier.

Bis zu diesem Tag galt er als einer der mächtigsten Männer des Landes. Das Innenministerium, ohnehin schon recht einflußreich, baute er zu einer Art Gegenmacht zu Regierungschef Jerzy Buzek auf. Die Behörde ist unter anderem für die Polizei, den Grenzschutz, einige paramilitärische Einheiten, aber auch für die Feuerwehr und die Bauaufsicht zuständig. Außerdem fungierte Tomaszewski auch noch als Dienstherr der 16 neu geschaffenen Verwaltungsbezirke, den Wojwodschaften.

Vor allem aber bemühte sich Tomaszewski um Zugang zu den Archiven der politischen Polizei. Offiziell untersteht der Inlandsgeheimdienst UOP zwar direkt dem Regierungschef; dennoch gelang es ihm mit etlichen formalen Tricks, das Material, das vor 1989 angelegt wurde und zahlreiche Detailinformationen aus dem Privatleben der antikommunistischen Opposition enthielt, für seine Zwecke zu nutzen. Damit hatte er Zugriff auf mehrere Millionen Polizeidaten, die neben Angaben über Rechtsverstöße und kriminielle Handlungen auch Berichte über Hausdurchsuchungen, Zeugenaussagen von Nachbarn und Denunzianten sowie Angaben über sexuelle Neigungen enthielten.

In seiner Partei, der Aktion Wahlbündnis Solidarnosc (AWS) machte er sich damit nicht sonderlich beliebt. Statt die alten Geheimdienste aufzulösen und durch neue zu ersetzen, wie es Teile der AWS gefordert hatten, habe er sich die Dienste untergeordnet. Das Innenministerium versuche, schrieb die Tageszeitung Gazeta Wyborcza kurz vor seiner Amtsenthebung, ein umfangreiches illegales Archiv über die wirtschaftliche und politische Elite des Landes aufzubauen, um diese unter Druck zu setzen.

Nun aber scheint der Innenminister Opfer seiner eigenen Methoden geworden zu sein. Die politisch-satirische Wochenzeitung Nie veröffentlichte in ihrer Ausgabe Ende August detaillierte Informationen: Der Solidarnosc-Politiker habe jahrelang im realsozialistischen Polen in seiner Herkunftsstadt Lodz Spitzeldienste für den damaligen Inlandsgeheimdienst geleistet.

Tomaszewski stritt zwar alle Vorwürfe gegen seine Person ab. "Ich wäre doch verrückt gewesen, wenn ich als ehemaliger kommunistischer Agent den Posten des Innenministers angenommen hätte", erklärte er. Doch vermutlich kann erst ein Gerichtsverfahren die Anschuldigungen klären. Wenn überhaupt. Denn möglicherweise basieren die Anschuldigen auf dubiosen Geheimdienstpapieren aus der Vor-Wende-Zeit, die sich nie mehr eindeutig verifizieren lassen.

Die Liste der polnischen Politprominenz, die der Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit verdächtig werden, ist lang. Kaum ein Politikername, der nicht in einem Geheimdienstpapier auftauchte. Entsprechend waghalsig galt denn auch das Versprechen der Solidarnosc-Regierung, radikaler als ihre sozialdemokratischen Vorgänger mit der Vergangenheit zu brechen. Schon der bloße Verdacht, Kontakte zur ehemaligen Staatssicherheit unterhalten zu haben, sollte für eine Amtsenthebung genügen.

Für diesen Zweck verabschiedete das polnische Parlament vor einem Jahr ein sogenanntes Durchleuchtungsgesetz. Die lustracja zwingt hohe Staatsbeamte, Richter und einflußreiche Medienvertreter, eine öffentliche Erklärung über ihre Vergangenheit abzulegen. Stellt das Lustrationsgericht, eine Art polnische Gauck-Behörde, fest, daß die Aussagen falsch oder unvollständig sind, drohen dem Angeklagten bis zu zehn Jahre Ausschluß von allen öffentlichen Ämtern. Strafrechtliche Konsequenzen sind hingegen nicht zu befürchten. 23 500 Personen stellten sich bisher freiwillig dem Untersuchungsgericht. Durchleuchtet werden sollten zwar alle Personen des öffentlichen und politischen Lebens, erfolgreiche Untersuchungen erwartete man aber vor allem bei Kommunisten, Postkommunisten, Sozialdemokraten, kurz: bei jedem, der sich links von der Regierungskoalition politisch artikuliert.

"Sie wollten der Linken schaden", erklärt Wieslaw Ciesielski, Sejm-Abgeordneter der sozialdemokratischen Oppositionspartei SLD im Gespräch mit Jungle World, "doch das Gesetz hat sich gegen seine Väter gewendet." Zwar wurde auch Präsident Aleksander Kwasniewski, bis 1993 Parteichef der sozialdemokratischen SPRP, mit ähnlichen Beschuldigungen konfrontiert. Aber die Empörung hielt sich in Grenzen, geschadet hat es ihm nicht. Anders bei der mit großen moralischen Ansprüchen angetretenen Solidarnosc. Daß mittlerweile vor allem die Kabinettsmitglieder der liberal-konservativen Regierungskoalition von dem Gesetz betroffen sind, damit hatte die aus der Solidarnosc hervorgegangene AWS wohl kaum gerechnet.

Insgesamt sechs Regierungsmitglieder, darunter drei Vizeminister, haben in den vergangenen Monaten ihren Posten verloren, weil ihnen Falschaussagen nachgewiesen werden konnten. Zuletzt traf es Ende August den stellvertretenden Verteidigungsminister Robert Mroziewicz. Selbst Regierungchef Buzek wurde im Mai dieses Jahres verdächtigt, bei einer Anhörung nicht "die volle Wahrheit" gesagt zu haben.

Die Rücktritte treffen die national-konservative Regierung zu einer denkbar schlechten Zeit. Umfragen zufolge ist sie so unpopulär wie keine ihrer Vorgänger seit Ende der achtziger Jahre. Die mißlungenen Reformen im Gesundheitswesen und bei den Renten, aber auch die Proteste der Bauern und Bergarbeiter, die wegen der EU-Integration um ihre Existenz fürchten, setzen Regierungschef Buzek unter Druck. Zudem stößt das rechtskonservative Weltbild der Koalition nicht immer auf Verständnis. So mußte kürzlich der Familienminister Kazimierz Kapera zurücktreten, nachdem er eine Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen blockierte und an die Zeugungsbereitschaft der Polen appellierte, "damit die weiße Rasse auch in Zukunft gegenüber der gelben etwas zu sagen hat".

Und nun holt die Koalition auch noch ihrer Vergangenheit ein. Dabei hätte es die Regierung besser wissen können. Seit dem Beginn des polnischen Transformationsprozesses sind viele untere und mittlere Funktionäre des alten Regimes bei Solidarnosc untergekommen und von dort ins Parlament delegiert worden. Leszek Miller, SLD-Parteichef, spottete deshalb bereits während der Diskussion über die ersten Entwürfe zum Durchleuchtungsgesetz, das sei so, als würde sich ein Karpfen die Weihnachtsfeiertage herbeiwünschen. In der Tat war einer der ersten "Stasi-Verdächtigen" Anfang der neunziger Jahre ausgerecht der Solidarnosc-Führer und spätere Staatspräsident Lech Walesa. Ihm wurde damals vorgeworfen, unter dem Decknamen "Bolek" frühere Kollegen aus der Gdansker Lenin-Werft verpfiffen zu haben.