Nur für den Dienstgebrauch

In seinen Lageberichten setzt das Außenministerium auf Menschenrechte. Doch Asylpolitik wird auch unter Rot-Grün im Innenministerium gemacht

2 364 Asylbewerbern aus dem Kosovo nutzen die falschen Vergleiche des Außenministers wenig. März 1999, der Nato-Krieg gegen Jugoslawien hat begonnen: Öffentlich vergleicht Joseph Fischer die Verfolgung von Kosovo-Albanern durch Serben mit der der Juden im Dritten Reich.

Die Beamten des Fischer-Ministeriums kommen derweil zu ganz anderen Schlüssen: Von einer Gruppenverfolgung in der südserbischen Provinz könne nicht die Rede sein, heißt es im auch nach Kriegsbeginn gültigen Bericht des Auswärtigen Amtes (AA) - "politisch aktive albanische Volkszugehörige werden nicht wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, sondern als 'Separatisten' verfolgt". Pech gehabt: Allein im März werden bundesweit 2 364 Asylanträge von Kosovo-Albanern abgelehnt.

Wichtigste und oftmals einzige Quelle der für die Asylentscheide zuständigen Verwaltungsgerichte: der inzwischen überholte "Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien", herausgegeben vom Auswärtigen Amt. Streng vertraulich leiteten die Beamten des Fischer-Ministeriums die Dossiers mit den Lageeinschätzungen der deutschen Botschaft in Belgrad weiter an die verantwortlichen Richter.

Und die machten mit ihren Urteilen Innenpolitik: Weniger die tatsächliche Lage in Jugoslawien spielte bei ihren Entscheidungen eine Rolle, sondern das Bestreben der Bundesregierung, die Anerkennung von Kosovo-Flüchtlingen zu verhindern. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl bezeichnen die AA-Berichte deshalb als "Bausteine der Abwehrmauer gegen Flüchtlinge", geprägt von "außenpolitischer Rücksichtnahme und innenpolitischen Interessen".

Doch während der mitten im Krieg publik gewordene Kosovo-Bericht Fischer noch eine öffentliche Stellungnahme entlockte - "Das war ein Fehler, das muß ich akzeptieren" -, sind taktisch gefärbte Lageeinschätzungen die Regel im Außenministerium. Ob es sich nun um Flüchtlinge aus Sri Lanka, Togo oder Algerien handelt - die Einschätzung darüber, ob sie nach einer Abschiebung staatlicher Verfolgung unterliegen oder nicht, liefern die deutschen Botschaften vor Ort. Unter Berücksichtigung der Interessen der Bundesregierung: Jeder Rückkehrer senkt die Asylquote in der Bundesrepublik, jeder abgelehnte Asylantrag die Ausgaben für Flüchtlinge im Sozialetat der Kommunen.

Nicht umsonst hat noch der alte Innenminister Manfred Kanther (CDU) dafür gesorgt, daß in den Botschaften in Belgrad und Ankara neben Mitarbeitern seines Ministeriums auch - rechtswidrig - Beamte des Nürnberger Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BaFl) plaziert wurden (Jungle World, Nr. 45/97). Dem Amt also, das später über die Asylanträge entscheidet - und deren Angestellte das geringste Interesse an einer realitätsgetreuen politischen Situationsbeschreibung haben dürften.

Weil sie die BaFl-Mitarbeiter für befangen halten, soll im Fischer-Ministerium nun Schluß sein mit dieser Praxis. "Es wird strikt darauf geachtet, daß die Berichte nur vom Auswärtigen Amt hergestellt werden", zitierte die Berliner Zeitung schon im Juli ein Regierungsmitglied, das auf die neue Linie setzt: Beamte des Innenministeriums sollen beim Verfassen der AA-Berichte ausgeschlossen werden. "Es gibt keine redaktionelle Mitwirkung anderer", lautet die Zielvorgabe, auf die der grüne Staatsminister Ludger Volmer seine Beamten einzuschwören versucht: Schließlich könne auf keinem anderen Gebiet der Bruch mit der restriktiven Asylpolitik der christlich-liberalen Bundesregierung besser vollzogen werden als bei den Lageberichten - Blaupausen für die Asylentscheidungen der Verwaltungsgerichte.

Neue Kriterien sollen es richten, damit die deutsche Asylpolitik endlich den humanitären Anstrich bekommt, den die Grünen in der Opposition versprochen hatten. So verkündete Volmer Anfang September stolz, daß Rot-Grün der Forderung von Menschenrechtsgruppen nachkomme, die Einschätzung unabhängiger Organisationen in den Herkunftsländern stärker zu berücksichtigen. Nicht mehr allein die Berichte staatlicher oder regierungsnaher Institutionen sollten die Grundlage für die Lageberichte bilden - auch die Informationen von amnesty international oder dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) würden ab sofort in die AA-Dossiers einfließen: Der rot-grüne Aufbruch für die Menschenrechte, im Kosovo-Krieg begonnen, soll in den deutschen Auslandsvertretungen fortgesetzt werden.

"Insbesondere Nichtregierungsorganisationen, örtliche Menschenrechtsgruppen und die Aussagen von Abgeschobenen" will Volmer künftig als Quellen heranziehen. Darüber hinaus werde man sich öfter mit Vertretern von deutschen Flüchtlingsorganisationen treffen. Ein Erfolg für die Menschenrechte? Wohl kaum. Auch der kritisierte Kosovo-Bericht enthielt bereits - wie die meisten Berichte vor ihm - Informationen von Menschenrechtsorganisationen. Doch die Angaben des CDHRF (Council for the Defence of Human Rights and Freedom) nutzten den in die Bundesrepublik Geflohenen wenig.

Nicht nur für die Jugoslawien-Berichte gilt, daß der zuständige Botschaftsbeamte die unerwünschten Passagen im Zweifelsfall eben wieder herausstreicht. Solange, bis sich auf dem Papier - wie im Bericht über den Nordirak - plötzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative ergibt oder der Staat - wie im Falle Algeriens - in der Lage sein soll, seine Bürger vor Angriffen islamistischer Gruppen zu schützen.

Abgesehen davon, daß schon die alte Regierung die Analysen von Menschenrechtsorganisationen wie der Gesellschaft für bedrohte Völker zu schätzen wußte, dürfte den Flüchtlingen in der Bundesrepublik die grüne "Kehrtwende" im Außenministerium wenig helfen. Neu an den Volmer-Vorschlägen ist allenfalls sein Dialogangebot an die humanitären Organisationen hier: Zu mehr als der Einbindung in die Regierungspolitik dürfte ihnen ihre Freude über das Versprechen des Staatsministers, ihre Informationen stärker zu berücksichtigen, allerdings nicht verhelfen. Abgeschoben wird weiter.

So hält Außenminister Fischer drei Monate nach Volmers Ankündigung, im erstmals nach den neuen Kriterien erstellten Türkei-Bericht werde kein Blatt vor den Mund genommen, das Papier immer noch unter Verschluß. Grund dafür, wie der Spiegel und die Berliner Zeitung in den vergangenen Wochen übereinstimmend berichteten: Das Innenministerium unter Otto Schily (SPD) stellt sich quer - schließlich könnten kriminelle Kurden dann nicht mehr abgeschoben werden.

Doch selbst wenn Fischer den Bericht demnächst herausrücken sollte, wird der Stempel "Nur für den Dienstgebrauch" wie unter der alten Regierung die Berichte zieren. Denn für die Forderung der vielgepriesenen Menschenrechtsorganisationen, die Asylberichte wenigstens einem ausgewählten Fachpublikum zugänglich zu machen, hatte Volmer bei der Verkündung der neuen Richtlinien nichts übrig. Schließlich, so der Staatsminister, könne nur durch ihre Geheimhaltung sichergestellt werden, daß sie ohne außenpolitische Rücksichtnahme verfaßt würden.