Patentierte Trips und andere Manipulationen

Die heutige Gentechnik ist viel moderner als Sloterdijk - und vor allem gefährlicher.

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat gesprochen - und das deutsche Feuilleton macht sich Gedanken: Ist dieser Mann, der die Menschheit durch gentechnische Steuerung biologisch optimieren will, öffentlich von Selektion träumt und sich über die Schrecken der Zeit nach 1945 so seine deutschen Gedanken macht, nun ein "Jungkonservativer", einer, dessen Sprache "Züge faschistischer Rhetorik trägt" oder nicht?

Das aktuell veröffentlichte Denk-und-Antworten-Spiel in Zeit, Süddeutscher Zeitung, Frankfurter Rundschau und Spiegel ist weder sonderlich unterhaltsam, noch hat es einen produktiven Kern: Die Phantasien Sloterdijks sind, wie auch immer sie im Detail ausformuliert sein mögen, eine Variante dessen, was die pragmatischen Positivisten der utilitaristischen Schule schon längst in den biopolitischen Alltag überführt und handhabbar gemacht haben.

Auch was dabei nicht verschwiemelter Peter-Singer-Abklatsch ist, sondern nach Tieferem schürft - Platon, Nietzsche, Heidegger -, zeichnet sich aus durch Antiquiertheit und behäbige Ignoranz gegenüber den Entwicklungen der real world. Denn die führt ihren Fortschritt nicht über (Heideggers) Holzwege, sondern hat dafür eine komfortable, gerade Trasse geschlagen.

Dort geht es derzeit nämlich nicht um die Optimierung des Menschen, damit er den Aufgaben der fernen Zukunft, wie sie Philosophen sich vorstellen mögen, gewachsen wäre. Pränatale Selektion ist, wenngleich auf mittlerem Niveau, längst Alltag in den Industrienationen. In der real world ist Verwertung von Leben, die Ausbeutung des biologischen Materials, das entscheidende und aktuelle Thema.

In der Bundesrepublik fordern Fortpflanzungsmediziner und Pharmafirmen die Lockerung der Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes, damit mit fetalem Gewebe in großem Umfang in den Kliniken und Labors gearbeitet werden kann: Experimente mit Stammzellen, die Entwicklung von Zellinien, Versuche mit Transplantation von embryonalem Gewebe und eine Weiterentwicklung der aus verschiedenen Gründen interessanten In-Vitro-Fertilisations- und Selektionsverfahren sollen den Forschungs- und Pharmastandort Deutschland attraktiver machen.

In der vergangenen Woche wurde bekannt, daß das Projekt einer Enqute-Kommission "Bio-Ethik" des Deutschen Bundestages auf Druck der forschungspolitischen Hardliner innerhalb der SPD gekippt worden ist. Die Kommission sollte die in den letzten zwei Jahrzehnten gemachten Erfahrungen mit gentechnischen Methoden und Verfahren sammeln und auswerten, um Leitlinien für einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit dem Potential der brisanten Technologie zu entwickeln.

Zeitraubende Debatten sind passé. Das von der Grünen Andrea Fischer geführte Gesundheitsministerium, so haben es auch die Bundesländer im Juni gefordert, soll zügig ein "Fortpflanzungsmedizin-Gesetz" konzipieren, das möglichst wenig restriktiv auszufallen hat.

Was im humanmedizinischen Bereich - sowohl wegen ethischer Barrieren als auch aufgrund der komplexen Szenarien, die sich schwerer steuern lassen als die Modellvorstellungen der Gentechnologen - auch jenseits der politischen Vorgaben auf Schwierigkeiten stößt und erst auf lange Sicht profitabel zu werden verspricht, ist in der Landwirtschaft längst weiter gediehen.

Ein deutliches Signal zum Aufbruch in die Zukunft ist die Kontroverse um die Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren, die jetzt für die EU und einige weitere europäische Staaten weitgehend entschieden worden ist: Auf Beschluß des Verwaltungsrates des Europäischen Patentamtes sind seit dem 1. September 1999 gentechnisch veränderte Lebewesen, Gene und Zellen patentierbar, wenn die "Erfindung" auf mehr als eine Pflanzensorte oder eine Tierart anwendbar ist.

Zwar ist noch ein Verfahren wegen eines von der Firma Novartis beantragten Patents für eine transgene Pflanze vor der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (EPA) - das die Patentierungsnormen überprüfen und für rechtswidrig halten kann - anhängig. Daß nach der Entscheidung des Verwaltungsrates des EPA ein Urteil gegen Novartis gefällt wird, gilt aber als unwahrscheinlich.

Nicht nur in Europa, auch auf dem Weltmarkt wird mit Hilfe des Trips-Abkommens (Trade-related aspects of intellectual property rights) versucht, die gewinnträchtige Patentierbarkeit von Tieren und Pflanzen durchzusetzen oder die Regierungen insbesondere der südlichen Länder wenigstens dazu zu zwingen, für die Entwicklung von Pflanzensorten ein vergleichbar wirksames System - "sui generis", also eigener Art - zu akzeptieren.

Dieses Vorhaben stößt bei Nicht-Industrienationen auf wenig Gegenliebe, weil sie damit ihre Ökonomien in dauerhafte Abhängigkeit gebracht sehen. Der Artikel 27.3b des Trips-Abkommens, der diese Alternativen (Patentierung oder Schutzsystem "sui generis") vorsieht, soll dieses Jahr überprüft werden. Diese Auseinandersetzung wird die Weichen für die nicht nur ökonomisch bedeutsame Monopolisierung lebender Materie und damit gleichzeitig für die Weiterentwicklung des Nord-Süd-Konflikts stellen.

Parallel zu diesen internationalen wirtschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen mühen sich die großen Konzerne, durch den Verkauf von Lebensmitteln, die mit Hilfe gentechnisch manipulierter Pflanzen produziert wurden, Fakten zu schaffen. Gleichzeitig wird auf die Ausweitung des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen gezielt. Auf beiden Gebieten mußten sie allerdings in den letzten Monaten Niederlagen hinnehmen. Die Freisetzungsrichtlinien in der EU sollen, nach dem Bekanntwerden von erheblichen ökologischen Folgeschäden durch gentechnisch manipulierten Mais, verschärft werden. Gleichzeitig haben Verbraucherproteste dazu geführt, daß etliche Gentech-Lebensmittel wieder vom Markt genommen wurden.

Bemerkenswert ist, daß die Zuspitzung der praktischen Auseinandersetzung um die Ausweitung der Verwertungsmöglichkeiten für Gentech-Produkte in der ideologischen Debatte, wie sie sich derzeit in der Sloterdijk-Kontroverse widerspiegelt, keinerlei Niederschlag findet. Umgekehrt werden in den Diskussionen um Gentechnik in der Landwirtschaft und um gentechnisch veränderte Lebensmittel die humanmedizinischen und gesellschaftssanitären Vorstellungen der Gentechniker nicht reflektiert.

Obwohl die Konstrukteure bei der Umsetzung ihrer gentechnischen Verfahrensweisen Natur und Gesellschaft als ein wenig komplexes Baukastensystem begreifen, das sich nahezu beliebig neu zusammensetzen und den Verwertungsansprüchen entsprechend umorganisieren lassen soll, ist die Materie in der Öffentlichkeit ihrer politischen Brisanz weitgehend entkleidet.

Wenn nicht gerade ein Skandal geschürt werden kann: Sei es, daß sich ein Philosoph in der Terminologie zu offenherzig gibt oder daß im Freisetzungsexperiment auffällig viele Schmetterlinge sterben. Der auf lange Sicht problembeladenere Normalfall des Hochtechnologie-Einsatzes, der das zur Folge hat, was er auch tatsächlich zur Folge haben soll - hohe Profite, Monopole und eine Senkung von "Krankheits"- und "Behinderungs"raten vorzugsweise um den Preis der Selektion der Träger entsprechender, von der Medizin frei und eigenwillig als riskant definierter Disposition -, gerät dabei aus dem Blick.

Das hat seine Ursache darin, daß in der Kontroverse um Gentechnik, die eng verwoben ist mit der um Bioethik, auch seitens der Opposition die Politik eine zusehends geringe Rolle spielt. Längst haben sich Öffentlichkeit und Teile der aktiven KritikerInnen darauf eingestellt, daß in diesem Bereich die herkömmlichen Links-Rechts-Strukturen kaum Orientierung verschaffen.

Daß im Bundestag in der Debatte um das Fortpflanzungsmedizin-Gesetz ein lockerer Zusammenschluß von schwarz-rot-grünen gentechnikkritischen Abgeordneten einer ebenso schwarz-rot-grünen Lobby von Befürwortern weitreichender Liberalisierung gegenüber steht (nur die FDP ist konsequent auf der Pro-Gentech-Linie), wird als übliche Konstellation aufgefaßt und hingenommen. Am Ende des Meinungsbildungsprozesses wird auch diesmal, voraussehbar, der Fraktionszwang gelockert werden.

Selbst im außerparlamentarischen Bereich hat sich, nach einer kurzen Konjunktur des Themas Anfang/Mitte der neunziger Jahre, Ermüdung breitgemacht, zumal der vermeintlich ethische Kern der Kontroverse dem indivuellen Gewissen zugerechnet wird. Damit bleiben dann die wie auch immer Betroffenen und deren Moral- und Science-Experten unter sich.

Für die Öffentlichkeit bleibt allenfalls die Initiierung von Ein-Punkt-Kampagnen: Hier kann das eine oder andere Lebensmittel aus den Regalen geräumt, dort die Spätabtreibung im fünften oder sechsten Schwangerschaftsmonat zum zentralen ethischen Problem erklärt werden. Die grundsätzliche Akzeptanz der pränatalen Diagnostik läßt sich auf diese Weise nicht mehr unterhöhlen - und für eine Mobilisierung gegen die Ausweitungen des Patentrechtes läßt sich auf dieser Ebene schon gar keine Basis konstituieren.

Solange die derzeit in den Industriestaaten überwiegend ethisch begründete Opposition gegen die Gentechnik und ihre Anwendung nicht eine strategische Option entwickelt, der es gelingt, die gesellschaftsverändernde Potenz dieser Technologien in den Mittelpunkt zu rücken, werden ermüdende Kontroversen um Selbstdarsteller wie Sloterdijk weiterhin in einem lockeren Konjunkturzyklus die Öffentlichkeit dominieren. Damit wird auch der Anschein erweckt, als könnte, wenn es denn mal wirklich besorgniserregend werden sollte, der Entwicklung immer noch ein Riegel vorgeschoben werden.