Skipetaren und Barbaren

Über einen zunehmend ressentimentgeladenen Ton im antideutschen Feuilleton

Nicht erst der Kosovo-Krieg brachte es zutage: Schon seit längerem ist die berechtigte antideutsche Kritik am völkisch-albanischen Nationalismus und dem mafiosen Bandentum der UCK-Warlords durchsetzt von rassistisch eingefärbten Stereotypen.

Manche antideutsche Beschreibungen etwa "der normalen Entwicklung eines kosovo-albanischen Jugendlichen" im "bäuerlich-mafiosen Kosovo" (Thomas Becker, bahamas) unterscheiden sich kaum noch von dem Gebräu aus essentialistischen Zuschreibungen und völkerkundlichen Phrasen, mit dem der Spiegel (Nr. 31/99) jüngst die Albaner im allgemeinen als natural born Mafia-Clan porträtierte.

Dort wurden die "kriminellen Clans" "ethnischer Albaner" als "Relikte einer archaischen Stammesgesellschaft" beschworen und die albanische "Volksgruppe" über "eine Minderheit, die durch ihr Gangstertum ihre (sic!) ganze Ethnie belastet" als naturwüchsig versipptes Ethno-Kollektiv konstruiert. "Wie dick der Saft ist, der im 'Blutbaum' fließt, zeigt ein vor allem in gebirgigen Regionen Albaniens und des Kosovo verbreitetes Denken in Abstammungskategorien. Männer können in der Regel ihre Linien ins 7., manchmal bis ins 15. Glied verfolgen."

Zu dickem Saft müssen auch Spiegel-Leser Jürgen Elsässer die Gedanken geronnen sein, als er genau diesen vor ethnisierenden Zuschreibungen und Rassismen nur so strotzenden Schmarren gleich spaltenweise zustimmend zitierte und gar "verdienstvoll" nannte (konkret, Nr. 9/99). Nur das mit der "archaischen Stammesgesellschaft" mochte er denn doch als "an dieser und nur an dieser Stelle auch potentiell rassistisch" erkennen. So richtig Elsässers Feststellung ist, daß das albanische Mafiatum "nicht aus einer ontologischen Konstante, sondern" aus dem "Einbruch des hochmodernen Kapitalismus in eine staatssozialistische Gesellschaft" resultiere, so falsch ist sein völlig unreflektierter Umgang nicht nur mit den kulturalistischen und essentialistischen Zuschreibungen in diesem Spiegel-Artikel. Völlig ausgeblendet wird vor allem, wie die Ausgrenzung ethnisierter "Anderer" in Deutschland durch diesen Artikel bedient wird.

Die "Kosovaren" sind ebenso wie die Serben Objekt eines "Balkanismus", welcher den Balkan in Analogie zum "Orientalismus" als Ort eines naturhaften Atavismus "ethnisch-nationaler" und religiöser Leidenschaften imaginiert, über welche der "zivilisierte" Westen sich erhaben und daher zur "humanitären Intervention" mittels Bombenkrieg berechtigt fühlen kann. Zumal im deutschen Normalisierungsdiskurs der "Berliner Republik" wurden durch den Kosovo-Krieg die eigenen gegenwärtigen und historischen Übel wie Rassismus, völkischer Nationalismus und selbstredend auch Auschwitz projektiv entsorgt, um "daraus erneut eine Stärkung des Selbstbildes zu beziehen" (Mark Terkessidis, Freitag, Nr. 23/99).

Für solche Projektionen haben sich die Kosovo-Albaner als besonders tauglich erwiesen. Vor der Nato-Intervention rangierten sie in der deutschen Öffentlichkeit so ziemlich auf der untersten Stufe der rassistischen Hierarchie als notorische Hütchenspieler, Mafiosi und Dealer. Im Vorfeld des Krieges wurden sie dann als unterdrückte, vertriebene und ihrer "Identität" beraubte "islamische Minderheit" neu erfunden. Nun, da der Bombenkrieg zu Ende und das Kfor-Protektorat im Kosovo geschaffen ist, sind die Albaner wieder Mafia, Dealer, Zuhälter. Aus dem Zwangsgehäuse zugeschriebener ethnischer Identität gibt es dabei kein Entkommen. "Während des Krieges ist derlei wohl mit Bedacht nicht gedruckt worden, da die Totalidentifikation mit den als bloße Opfer stilisierten Kosovaren nicht erschüttert werden sollte", mutmaßt Elsässer zwar über den Spiegel, geht den Hintergründen dieses Umschlags im öffentlichen Diskurs über "die Albaner" aber nicht nach.

Entsprechend ist auch sein Umgang mit den Zuständen im Kosovo, denn die von UCK und albanischer Bevölkerung im Kosovo veranstalteten antiserbischen und antiziganistischen Pogrome sind weder spezifisch "albanisch", noch läßt sich das wie bei Elsässer so charakterisieren, daß diese in "wilde Barbarei zurückstürzen". Daß der völkisch pogromierende Mob Barbarei praktiziert, steht außer Frage. Verräterisch ist hier die Attribuierung "wilde" Barbarei. Elsässers polemische Spitze, daß diese "von Karl May noch treffender als von Karl Marx" beschrieben wurde, geht voll auf seine eigenen Kosten. Denn die Beliebtheit des Romanciers läßt sich nicht zuletzt darauf zurückführen, daß er in seinen exotistischen Imaginationen über Indianer und das "Land der Skipetaren" konsequent die im abendländischen Diskurs seit der Aufklärung gängige Aufspaltung des als "Wildheit" der Zivilisation entgegengesetzten Anderen in einen "edlen Wilden" und den als schurkisch und grausam gezeichneten "primitiven Barbaren" umsetzte.

Dieser Dualismus wirkt auch heute noch im Oszillieren des Bildes ethnisierter Gruppen zwischen Opfer- und Täterrollen, das sich nur als zwei Seiten einer Medaille angemessen begreifen läßt. Und die ist zudem eng mit der Logik eines Krieges verknüpft, der nicht zuletzt auch zur Durchsetzung einer unter deutscher Federführung ethnisierten EU-Flüchtlingspolitik der "heimatnahen Fluchtabwehr" geführt wurde (vgl. Dossier Jungle World, Nr. 37/99).

Schlimmer noch als der unkritische Umgang mit den essentialistischen Zuschreibungen über "ethnische Albaner" ist bei Elsässers konkret-Artikel daher die Übernahme des Diskurses über "organisierte Kriminalität" (OK). Deren Existenz soll nicht bestritten werden, aber es ist zwischen empirisch Existentem und seiner Aufladung zur pathischen Projektion zu unterscheiden. Der kulturalistische Rassismus wird über das Phantasma von der OK mit dem wahnhaften Sicherheitsdiskurs fusioniert und durch strukturell antisemitische Elemente aufgeladen. Als von "Illegalen" ins Land getragene verschwörerische Bedrohung zersetzt OK danach von außen die deutsche Standortgemeinschaft (den modernisierten legitimen Erben der "Volksgemeinschaft").

Diese Konstruktion rechtfertigt nicht nur die ständige Aufrüstung der staatlichen Grenzregime, sie verschweißt diese mit dem Sicherheits- und Ausgrenzungswahn der in der losgelassenen Krisenkonkurrenz des Globalkapitalismus immer paranoider werdenden Warensubjekte. Die Ignoranz ausgerechnet dieser Entwicklung gegenüber markiert allerdings ein antideutsches Versagen. Aufgemacht hat dieses Faß Wolfgang Pohrt, als er in konkret, Nr. 8/98, vor allem Kosovo-Flüchtlinge als "Agenten, Kollaborateure, (...) Brükkenkopf" eines "Kapitalismus pur" aus dem "Rotlichtmilieu" charakterisierte.

Zwar begreift Elsässer die Ausbreitung bandenförmig organisierter Plünderungsökonomien zutreffend als Ergebnis des Scheiterns der staatssozialistischen und peripheren nachholenden Modernisierung, auf deren marktwirtschaftlich umfrisierten Ruinen "ethnische" und religiöse Barbarei erblüht, als "Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln unter den Bedingungen des ökonomischen Zusammenbruchs" (Robert Kurz, Folha de S‹o Paulo, April 1999). Doch im Gegensatz zu Kurz und der Krisis-Gruppe wird dies bei Elsässer und anderen Antideutschen im Fall Jugoslawien ausschließlich auf die albanische Seite bezogen und ausgeblendet, daß "es ein nicht geringes Motiv sowohl der serbischen Milizen als auch der albanischen Untergrundarmee (ist), ihre ehemaligen Nachbarn zu berauben bis auf die Unterhose" (Kurz).

Schließlich wird der Grund für die skrupellose Brutalität der Kriegs- und Mafiaunternehmer aus den globalen Modernisierungsruinen von Elsässer darauf zurückgeführt, daß diese "die Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht kennen, die sich in der atlantischen wie in der sowjetischen Zivilisation (...) als Korrektiv zum bloßen Macht- und Gewinnstreben erhalten haben". Abgesehen von dem Widerspruch, daß die neuen Barbaren und Mafiosi auch in den ehemaligen Zentren der SU hausen und aus eben diesen "Zivilisationen" hervorgegangen sind, fehlt hier jede kritische Reflexion über die Nachtseiten der westlichen Aufklärung.

Adorno und Horkheimer gingen bei ihrer immanenten Kritik der aufklärerischen Vernunft davon aus, daß diese von Anfang an mit Gewalt und Herrschaft über die Menschheit kam, daß die proklamierten unversalistischen Werte stets mit dem Ausschluß eines der Natur zugeschlagenen Anderen, namentlich "Wilden" und "Frauen", einherging und sich so "das gleiche Recht für alle zum Unrecht durch die Gleichen" ("Dialektik der Aufklärung") entfaltete. Von dieser Einsicht ist bei Elsässer und anderen Antideutschen bei aller Leidenschaft für die Kritischen Theoretiker der alten Schule manchmal nicht viel zu spüren. Statt dessen wird ein unreflektierter Universalismus mit dem Gestus absoluten Wahrheitsanspruches vorgetragen.

Dabei reproduzieren sich aufs neue Ausschlüsse und es kommt zu einer massiven Re-Ontologisierung des Anderen. So entdeckt Justus Wertmüller vorzugsweise im Zusammenhang mit "dem" Islam "Verlierergesellschaften", die irgendwie zwangsläufig zu "barbarischen Formationen" mutieren. Können sich also nur die "Sieger" der entfesselten globalkapitalistischen Konkurrenz noch einen Hauch von Humanität leisten? Und wenn ja, auf wessen Kosten?

Auch die unsäglich kulturalistischen Thesen Samuel P. Huntingtons erfahren ihre Rehabilitierung, nur weil dieser einzig der "westlichen Zivilisation" die Fähigkeit zur Entwicklung universeller Werte zuschreibt. Dies als "Eurozentrismus" zu kritisieren wäre aufgrund des ebenso kulturalistischen Gehaltes dieses Begriffes abgeschmackt. Doch bei Elsässer, Wertmüller und anderen wird aus der Dialektik der Aufklärung gelegentlich unversehens deren unkritische Affirmation, und verdienstvolle Ideologiekritik droht in bloßes Ressentiment zu kippen.