Uwe Hiksch

»Ich bleibe Sozialdemokrat«

Werden Sie sich demnächst mit Regine Hildebrandt treffen, um über eine gemeinsame Zukunft zu reden?

Das habe ich bisher nicht geplant. Da sollten Sie vielleicht eher Frau Hildebrandt fragen.

Seit wann haben Sie über einen Austritt aus der SPD nachgedacht?

Die Entwicklung, mich als Sozialdemokrat von meiner eigenen Partei zu entfernen, läuft schon seit vielen Monaten, wenn nicht gar Jahren. Ich musste zunehmend feststellen, dass linke Positionen in der SPD nicht mehr mehrheitsfähig sind. Gerade auf der mittleren und höheren Funktionärsebene hat sich eine Funktionärskörperschaft herausgebildet, die an den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorbeigeht. Das betrifft alle Bereiche: die klassische Industrie, den Dienstleistungs- und Bürosektor und die aufstiegsorientierten Arbeiter und Arbeiterinnen.

Gab es für Sie einen Point of no return?

Nein, nicht in diesem Sinne. Es gab eine Reihe von Ereignissen, nach denen klar wurde, dass die SPD nicht mehr die Partei ist, die ich nach außen vertreten kann. Das begann mit der breiten Zustimmung im SPD-Lager zum so genannten Asylkompromiss, ging weiter mit der Frage des Kriegseintritts Deutschlands, wo ich ganz klar gegen meine Partei gestanden habe. Den Schlusspunkt bildeten dann die letzten Monate, als von Lohnverzicht die Rede war, um Arbeitsplätze zu schaffen, und das Schröder/Blair-Papier aufkam. Ich wusste schlichtweg nicht mehr, wie ich Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern oder auch Mitgliedern von Sozialverbänden noch erklären sollte, warum sie sozialdemokratisch wählen sollten.

Spielte Oskar Lafontaines Rückzug eine Rolle für Ihre Entscheidung?

Ich kann den Schritt Lafontaines sehr gut verstehen. Politisch halte ich ihn aber für falsch. Wenn er gesagt hätte, in der SPD kann ich das, was ich für richtig halte, nicht mehr vertreten, dann hätte er den Menschen, die auf ihn gesetzt haben, eine Alternative anbieten müssen. Aber Sie haben Recht. Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder boten beim Wahlkampf eine perfekte Symbiose, die das gesamte Spektrum der sozialdemokratischen Wählerinnen und Wähler binden konnte: von der linken, fortschrittlichen Ecke bis zur eher konservativen Mitte. Durch Lafontaines Rückzug wurde deutlich, dass die SPD schon lange auf dem Weg in die Neue Mitte ist.

Auch Lafontaine sprach von notwendigen Kürzungen im Haushalt ...

Ich möchte die Entwicklung nicht an einer Person festmachen. Wenn die fortschrittlichen Kräfte noch etwas hätten durchsetzen können, wäre trotzdem ein Konsolidierungspaket notwendig gewesen. Aber Deutschland hat kein Ausgabenproblem. Zunächst hätte man überlegen müssen, wie sich die Einnahmen verbessern lassen. Schließlich werden immer geringere Teile von Vermögenden oder von Einkommen aus Gewinnen und Spekulationen zur Finanzierung der Haushalte herangezogen. Deshalb unsere Forderung nach einer Vermögensabgabe, nach konsequenter Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Steuerhinterziehung, etc. Es gibt Möglichkeiten, Einnahmen zu verbessern, ohne dass man den Schwächsten das nehmen muss, was ihnen zusteht.

Sicher, aber hatten Sie denn vor einem Jahr, nach der Inszenierung Schröders als Top-Manager der Deutschland AG, noch Hoffnungen, eine gerechtere Umverteilung durchzusetzen? Glaubten Sie an eine SPD, die nicht zum Krieg geblasen hätte, wo doch die Entscheidung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr längst gefallen war?

Ich war jedenfalls fest davon überzeugt, sonst hätte ich den Wahlkampf nicht mit solcher Überzeugung geführt. Im ersten halben Jahr ist es der SPD eher gelungen, traditionelle sozialdemokratische Politik zu machen und - wenn auch im bescheidenen Umfang - eine Umverteilung von Oben nach Unten anzugehen. Wir haben in dieser Zeit den Kündigungsschutz verbessert, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder eingeführt und unsoziale Rentenkürzungen zurückgenommen. Leider waren diese Maßnahmen von den Vertretern der Neuen Mitte nur vorgeschoben ...

Zugespitzt gesagt: Schröder und seine Riege zeigten plötzlich ihr wahres Gesicht, nachdem man ihnen bislang ihr sozialdemokratisches Image abgekauft hat?

Mich hat es sehr nachdenklich gemacht, dass Schröder bei einem Treffen mit den so genannten Youngstern äußerte, eigentlich halte er die genannten Gesetze für falsch. Er habe sie gar nicht einführen wollen und dies nur getan, weil die Änderungen die Befindlichkeit der Fraktion und der Wähler und Wählerinnen getroffen hätten.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber ist der Meinung, Sie hätten Ihr Mandat dem Kanzler zu verdanken. Nun fordert er Sie auf, das Mandat zurückzugeben ...

Schröder hat seinen Sieg genauso den Wählern und Wählerinnen zu verdanken wie ich auch. Und ich habe ebenso, wie viele Hunderttausend Sozialdemokraten, gekämpft, dass er Kanzler wird und sozialdemokratische Politik umsetzt. Weil Schröder teilweise ganz andere Inhalte vertritt, halte ich die Forderung Weißgerbers, die an eine moralische Kategorie appelliert, für falsch. Ich werde mein Mandat behalten.

Und Sie hoffen nun auf den großen Wurf in der PDS? Welche Hoffnungen verbinden Sie mit Ihrem Eintritt in die Partei?

Ich komme aus einer Tradition, die besagt, dass sich gewerkschaftliche oder sozialpolitische Vorstellungen nicht allein in Initiativen durchsetzen lassen, sondern eine politische Verankerung im Parlament brauchen. Deshalb habe ich mich entschieden: Wenn ich weiter Politik machen möchte, muss ich Mitglied in einer Partei bleiben. Ich hatte mir drei Perspektiven überlegt: Die erste war, wie Lafontaine, aufzuhören, mich ins Private zurückzuziehen und nur noch zu kommentieren. Die zweite war, in die Innere Emigration zu gehen, Sozialdemokrat zu bleiben, aber ruhiger zu werden und mich anzupassen.

Das konnte ich auch nicht. Blieb also nur eines: Ich suche mir eine Alternative, um für sozialdemokratische und linke Politikansätze zu kämpfen. Nun möchte ich mithelfen, dass die PDS auch in Westdeutschland sehr gute Wahlergebnisse bekommt, dass wir vielleicht sogar beim nächsten Mal hier zwischen fünf und zehn Prozent liegen und über diese klare Wähleraussage die SPD zwingen, ihre traditionellen Politikinhalte wieder aufzugreifen.

Wenn man sich die Entwicklung der PDS anschaut, scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die Sozialisten da ankommen, wo die SPD schon ist. Bestes Beispiel: die bescheidenen Erfolge in der rosa-roten Koalition in Mecklenburg-Vorpommern.

Ich bin kein Radikaloppositioneller. Ich möchte regieren und mithelfen, dass die PDS auch auf Bundesebene regierungsfähig wird. Angesichts der schwierigen haushaltspolitischen Situation versucht sie in Mecklenburg-Vorpommern durchaus, gute Politik zu machen. Ich verstehe Ihre Kritik, schätze das aber anders ein.

Wie kam Ihre Entscheidung bei den parteilinken SPD-Genossinnen und Genossen an?

Sehr unterschiedlich. Viele sind natürlich sehr enttäuscht. Einige haben meine Gewissensentscheidung gut verstanden. Und manche haben das auch mit einer gewissen Grundsympathie verfolgt. Jene in der Funktionärskörperschaft, die sich als links begreifen, sehen schließlich auch, dass von innen heraus viel zu wenig reagiert wird und manchmal eine starke linke Kraft von außen viel mehr bewirken kann als die geschwächte SPD-Linke.

Setzen Sie darauf, dass die eine oder der andere noch nachzieht?

Ich werde sehr offensiv dafür werben, dass Parteilinke, die nicht mehr in der SPD kämpfen wollen, eine neue politische Heimat finden können. Ich selbst setze mich dafür ein, dies in der PDS zu versuchen, weil ich glaube, dass es uns auch im Westen gelingen kann, eine moderne sozialistisch-sozialdemokratische Linkspartei zu schaffen.

Ob das auch Ihre Anhänger im Wahlkreis Coburg, einer schwarz-dominierten Region, wollen?

Bisher sind die Reaktionen dort sehr unterschiedlich. Täglich landen in der Regionalpresse sehr kritische Leserbriefe. Der Wahlkreis liegt eben an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, mit all den damit verbundenen Verwerfungen. Viel wird nun davon abhängen, dass die Menschen mir glauben, dass dies eine individuelle Entscheidung war. Eine Entscheidung, die nötig war, weil das, was ich den Menschen versprochen habe, und was auch im Grundsatzprogramm der SPD steht, nur so umsetzbar ist. Ich werde mich in drei Jahren den Wählern stellen und hoffe, eines der besten Wahlergebnisse für die PDS in Westdeutschland zu bekommen. Schließlich ist klar: Ich war Sozialdemokrat, ich bin Sozialdemokrat und werde Sozialdemokrat bleiben.