Gemeinschaft der Tüchtigen

Die Sozialdemokraten haben selbst dafür gesorgt, dass Haiders FPÖ zur führenden Arbeiter-Partei Österreichs aufgestiegen ist.

Wenn Jörg Haider nicht gerade gegen Ausländer hetzt, ist eines seiner Lieblingsthemen die Kritik an der österreichischen Sozialpartnerschaft. Das verwundert auf den ersten Blick - hat doch dieses in Österreich besonders stark ausgeprägte Modell eines Korporatismus, das seine partielle Herkunft aus dem Faschismus kaum verleugnen kann, für die postfaschistische Demokratie einiges geleistet. Das musste inzwischen auch Haider anerkennen. Seit geraumer Zeit fordert der "Hitler-Fan" (The Guardian) daher nicht mehr die Abschaffung der nach 1945 errichteten Zweiten Republik, sondern nur mehr deren radikale Reformierung.

Die östereichische Nachkriegsgeschichte ist eng mit der institutionalisierten Sozialpartnerschaft verbunden. In Österreich war und ist der Korporatismus stets auch ein Ersatz für die verflossene Gemeinschaft der Volksgenossen. Die Sozialpartnerschaft war und ist eine Konstruktion, die nicht nur ein harmonisches Verhältnis von Arbeit, Kapital und Staat herstellt. Sie spielte auch eine zentrale Rolle bei der Transformation der österreichischen Gesellschaft von einem Teil der großdeutschen Volksgemeinschaft hin zu einer österreichischen Opfergemeinschaft, in der sich Staat, Kapital und Arbeit kollektiv um das Wohlergehen ihrer kleinen Nation sorgen.

Da der Staat diese Zusammenarbeit zu garantieren schien, wurde er zumindest bis zu den ernsthafteren Krisenerscheinungen seit Anfang der neunziger Jahre von links bis rechts als zuverlässiger Bürge der materiellen Versorgung des gesamten Staatsvolkes imaginiert.

Aber seit Beginn der neunziger Jahre ist die Republik nicht mehr gar so erfolgreich bei der Alimentierung ihres Staatsvolks und daher kommt auch der Korporatismus, die "Sublimierung des Klassenkampfs durch die Sozialpartnerschaft", wie der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler Bruno Kreisky das einmal genannt hat, zunehmend in Verruf.

Angegriffen wird er jedoch nicht mehr, wie noch in den fünfziger Jahren, von kommunistischen Arbeiterinnen und Arbeitern, sondern von den vom Deutsch-Nationalismus zum aggressiven Österreich-Patriotismus konvertierten FPÖlern. Diese demokratisierten Nazis profitieren nahezu zwangsläufig von der Krise des Austro-Keynesianismus.

Im prosperierenden Fordismus waren Volk und SPÖ-dominierter Staat als erfolgreiche Wertproduktion-Gemeinschaft vereint. In der Krise scheint es für das wert- und staatsfetischistische Subjekt, das die eigene Vergesellschaftung nicht begreifen kann und sich daher dunkle Mächte halluzinieren muss, nun so, als würde die Sozialdemokratie aus purer Gemeinheit oder im vorauseilenden Gehorsam gegenüber nicht dingfest zu machenden internationalen Machtzentren ihre korporatistischen Versprechen zu Gunsten einer neoliberalen Programmatik verraten. Das öffnet der schizophrenen Propaganda der Freiheitlichen Tür und Tor.

So präsentiert sich Haider einerseits als konsequenter Kritiker des Kammern-Staats, des roten Filzes, der Packelei (wie die Grauzone zwischen Protektionismus und Korruption in Österreich genannt wird) - kurz also der Sozialpartnerschaft und aller ihrer Folgen. Andererseits spielt er sich aber als Anwalt der angeblich von der Sozialdemokratie im Einklang mit der internationalen Finanzmafia betrogenen Arbeiter auf.

In Haider erwächst so aus der postfaschistischen Normalität ein modernisierter und demokratisierter Führertyp, der vermutlich tatsächlich nicht weiß, wie er die konsequente Deregulierung der Gesellschaft und den Schutz der eingeborenen Deklassierten unter einen Hut bringen möchte. Denn eine sprunghafte Steigerung der Staatsnachfrage, wie im Nationalsozialismus vorexerziert, ist heute nicht mehr möglich.

Im Gegenteil: Angesagt ist der so genannte schlanke Staat. Die FPÖ, die mit ihrem Stimmenzuwachs auf 27,2 Prozent bei den Nationalratswahlen von vergangener Woche eine Entwicklung hingelegt hat, die sie für viele Leistungs- und Erfolgsfetischisten attraktiv macht, will das konsequent fortsetzen.

Der postfaschistische Korporatismus schützt viel zu sehr die vermeintlichen und tatsächlichen Unproduktiven. Die Freiheitlichen wollen daher die traditionellen sozialpartnerschaftlichen Strukturen abschaffen und durch eine "Gemeinschaft der Tüchtigen" ersetzen, die unschwer als die Urform eines Rassismus der Produktiven zu erkennen ist.

Dennoch sind die Freiheitlichen mehr als einfach nur die Speerspitze der ökonomischen Liberalisierung und Deregulierung. Nicht unbeträchtliche Teile der FPÖ fordern vielmehr vehement die Einführung von Schutzzöllen und andere gar nicht liberale Beschränkungen im Waren- und Personenverkehr. Die Freiheitlichen vereinen hier einen Widerspruch, der aus der Krise des Keynesianismus in Österreich entsteht.

Der korporatistische Staat des Austro-Keynesianismus hatte noch als Anwalt der ehrlichen Arbeit und des auf das Gemeinwohl verpflichteten Kapitals gegolten. Heute gilt er den meisten Warenmonaden als Räuber an der ehrlichen Arbeit und zugleich als asozialer Vertreter des vagabundierenden Finanzkapitals. Wer nach wie vor von der Mehrwert-Produktion profitiert, misstraut dem Staat, weil er die Loser überhaupt noch durch Sozialleistungen versorgt; die anderen, die zunehmender Verelendung ausgesetzt sind, sehen sich hingegen verraten, weil der Staat diese Transferleistungen permanent kürzt.

Diese Gemeinschaft spaltet sich zum Teil parteipolitisch auf, in Haider und den Freiheitlichen ist sie jedoch vereint. Die unterschiedlichen Klientels finden sich alle in Haider wieder. In seiner beachtlichen, auch in Kleidungsfragen stets demonstrierten Wandlungsfähigkeit, strahlt er sowohl unerträgliche gemeinschaftliche Wärme und bedrohliche Herzlichkeit für die Sorgen-geplagten Menschen aus - und ist gleichzeitig Leitfigur für die erfolgreichen, kaltschnäuzigen, neureichen Hedonisten.

Als solcherart hedonistisch-asketischer, modernistisch-anachronistischer Führertyp könnte er durchaus Modellcharakter besitzen - nicht zuletzt auch für Sozialdemokraten, die sich ihm mit ihren Führungsfiguren Klima, Schröder und Blair ohnehin schon weitgehend angepasst haben.

Die Sozialdemokratie hatte durch ihre stets propagierte autoritäre Staatshörigkeit keinen geringen Anteil am Aufstieg Haiders. Die zunehmende Verstaatlichung der Arbeiterbewegung hat auch in Österreich dazu geführt, dass sie in die Nähe faschistischer Gemeinwohl-Konzeptionen geriet. Hier zeigt sich, trotz des zelebrierten Antifaschismus der SPÖ, die zumindest partielle Übereinstimmung genuin faschistischer und rechts-sozialdemokratischer Grundsätze: der gnadenlose Staatsfetischismus, die Unterordnung jeglichen Interesses unter das immer wieder beschworene Allgemeinwohl und die Beschränkung jedes partikularen Bedürfnisses durch die Bedürfnisse des übermächtigen Gewaltmonopolisten.

Dass solch eine Sozialdemokratie zum Erfolg der Freiheitlichen beigetragen hat, braucht niemanden zu wundern. Die SPÖ stellt einen Innenminister, der schon seit geraumer Zeit fast allen Forderungen der Rassisten und Polizeifanatiker von den Freiheitlichen nachkommt.

Die Sozialdemokraten haben selbst den Boden dafür bereitet hat, dass die FPÖ heute mit 47 Prozent Stimmenanteil bei Arbeitern und Arbeiterinnen die Nummer eins ist. Haider ist somit der wahre Vertreter des variablen Kapitals.