Klein gedrucktes Recht

Die Bundesregierung plant eine Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts. Die FDP legt schon mal ein "Diskussionspapier" vor - mit einem Anhang, der es in sich hat.
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Was haben Hebammen, Geistliche, Rechtsanwälte, Notare, Ärzte und Journalisten gemeinsam? Sie dürfen gegenüber der Polizei und der Justiz aus beruflichen Gründen die Aussage über ihnen anvertraute Dinge verweigern. Das regelt der Paragraf 53 der Strafprozessordnung. Und der Paragraf 97 besagt, dass von jenen Personen auch keine Unterlagen beschlagnahmt werden dürfen.

Was diese Berufsgruppen nicht gemeinsam haben? Selten hört man davon, dass die Polizei bei einer Hebamme einfällt und Akten über einen Geburtsvorgang beschlagnahmt. Auch die Beschlagnahmung zahnärztlicher Röntgenbilder dürfte eher selten vorkommen. Das Zeugnisverweigerungsrecht scheint zu greifen. Anders bei Journalistinnen und Journalisten. Immer wieder gibt es Besuche der Polizei in Privatwohnungen und Redaktionen. Und immer wieder werden Unterlagen und Computer beschlagnahmt. Das ist möglich, weil es für die Ermittlungsbehörden zwei Schleichwege gibt, auf denen sie das Recht auf Zeugnisverweigerung umgehen können.

Der eine ist, die Journalisten selbst zum Ziel der Ermittlungen zu erklären. Etwa, indem man ihnen den Anfangsverdacht andichtet, sie seien an dem zu ermittelnden Hochverrat oder der Werbung für eine terroristische Vereinigung beteiligt. Im Nachhinein wird das Verfahren dann ohne große Worte eingestellt. Die andere Möglichkeit zum Zugriff: Man beruft sich darauf, dass Journalisten das Zeugnisverweigerungsrecht nur besitzen, um ihre Quellen zu schützen. Nicht beschlagnahmt werden dürfen daher Materialien, die auf eine Quelle hinweisen oder Informationen einer Quelle beinhalten. Für selbst recherchiertes Material gilt es hingegen nicht.

Unklar ist allerdings, was selbst recherchiertes Material sein soll. Für jede Information gibt es schließlich eine Quelle - soweit sie der Journalist sich nicht ausgedacht hat. Daher ist alles Material sowohl selbst recherchiert als auch im weitesten Sinne zugetragen. Ein Gummibegriff also, mit dem die Ermittlungsbehörden das Zeugnisverweigerungsrecht umgehen können.

Dieser Zustand wird seit langem von Journalistenverbänden und Verlegern bemängelt. Verschiedene Gesetzentwürfe wurden in den letzten Jahren erarbeitet - nichts geschah. Als in der Koalitionsverhandlung zwischen der SPD und Bündnis 90 / Die Grünen die Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechtes beschlossen wurde, schöpfte die Branche neue Hoffnung. Auch als Justizministerin Herta Däubler-Gmelin durchs Land zog und verkündete, dass die Regierung ein entsprechendes Gesetz plane. Nun scheint endlich ein fertiger Referentenentwurf im Justizministerium vorzuliegen, der demnächst vom Kabinett beschlossen und als Kabinettsentwurf eingebracht werden soll. Wie der aussehen wird, ist allerdings noch nicht bekannt.

Was allerdings bekannt ist, ist ein Entwurf der FDP, der in der vergangenen Woche im Bundestag diskutiert wurde. Die Liberalen wollen sich als die wahren Förderer der Pressefreiheit profilieren. "Wir wollen Druck ausüben auf die Regierung", erklärte ihr Rechtsexperte Jörg van Essen. Die FDP will das Zeugnisverweigerungsrecht auch auf Autorinnen und Autoren nicht periodisch erscheinender Druckwerke, auf Bildmaterial und Internet-Publikationen ausdehnen. Ein Teilnahmeverdacht gegen Journalisten soll das Zeugnisverweigerungsrecht nur dann aufheben, wenn er als dringend bezeichnet werden muss. Außerdem soll das Recht auf Zeugnisverweigerung künftig auch für selbst recherchiertes Material wie Notizen, Negative, Fotos und Ähnliches gelten.

Doch die Liberalen wären nicht die Liberalen, wenn ihr auf den ersten Blick fortschrittlicher Gesetzentwurf nicht auch einen Haken hätte: So wurde ein Ausnahme-Katalog angehängt, der den Entwurf wieder ad absurdum führt. Selbst recherchiertes Material soll doch wieder beschlagnahmt werden dürfen, wenn eine der im Anhang genannten Straftaten Ermittlungsgegenstand ist. In diesem Delikt-Katalog findet sich nun aber von Hochverrat, vom Paragraf 129 a über Mord, Hehlerei und Umweltkriminalität bis hin zu Verstößen gegen das Ausländergesetz praktisch jede Straftat, die mit einem Jahr Haft oder mehr vergolten werden kann.

Zu Beschlagnahmen oder überhaupt zu Ermittlungen kommt es jedoch ohnehin nur, wenn es um eine relevante Straftat geht. Und gerade die journalistischen Recherchen über Landesverrat oder so genannte terroristische Vereinigungen z.B. dürften genau jene sein, die für die Ermittler von Interesse sind. "Journalisten sammeln ja wohl nicht stapelweise geheimes Material über einen Eierdiebstahl", höhnte denn auch die PDS.

Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der als Anwalt der Berliner tageszeitung so manche Beschlagnahme miterlebt hat, kritisierte den umfangreichen Delikt-Katalog. Die Pressefreiheit sei wichtig, damit die Medien ihre Aufgabe als Vierte Gewalt im Staate, also als Kontrollinstanz wahrnehmen könnten. Dabei müsse gerade die Recherche zu relevanten Straftaten geschützt werden.

Die CDU sieht das anders. Für Ronald Pofalla etwa gibt es keine statistischen oder empirischen Erkenntnisse, die einen Handlungsbedarf rechtfertigen würden, die bestehende Rechtslage zu ändern. Außerdem kritisiert er die Erweiterung auf nicht periodische Druckwerke. Nicht-Journalisten könnten einfach behaupten, ein Buch zu schreiben oder einen Film zu drehen, und sich damit ein Zeugnisverweigerungsrecht erschwindeln. Womöglich würde gar der Verfasser eines Flugblattes noch von jenem Recht geschützt.

So wird denn auch beim Gesetzentwurf aus dem Justizministerium die Frage interessant sein, ob es auch hier einen Straftaten-Katalog geben wird. Die FDP-Vorlage wird jedenfalls vom SPD-Abgeordneten Jürgen Meyer scharf kritisiert. Der Ausnahme-Katalog sei "schon optisch so umfangreich, dass sich mancher Journalist fragen wird, wo die Verbesserung ist". Andererseits fehlten aber auch bestimmte Straftaten, erklärt Meyer. Durch diesen Katalog, der eben nur für das selbst recherchierte Material gelten soll, werde die Gleichstellung von selbst recherchiertem und übergebenem oder zugetragenem Material nicht erreicht. Das müsse jedoch Ziel einer Reform sein.

Die Branchen-Verbände reagierten unterschiedlich auf den FDP-Entwurf. Während IG Medien-Boss Detlef Hensche in einer Presseerklärung die Vorlage kritiklos "mit Beifall" bedachte, äußerte der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger für die Unternehmerseite Bedenken: Zwar werde der Gesetzentwurf "im Grundsatz" begrüßt, er sei allerdings "nicht ausreichend". Besonders der Straftaten-Katalog sei nicht akzeptabel. Da der FDP-Entwurf sowieso keine Chance auf Zustimmung durch den Bundestag hat und höchstens als "Diskussionsgrundlage" (van Essen) wirken kann, erwarten nun alle mit Spannung den Regierungsentwurf.