Entschädigungs-Verhandlungen in Washington

Koste es, was es wolle

Tief gepokert und alles gewonnen: Durch den Vorschlag, nur sechs Milliarden Mark für die Entschädigung von Zwangsarbeitern einzusetzen, hat die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft die Verhandlungen mit Anwälten und Vertretern der NS-Opfer in Washington absichtlich platzen lassen.

Obwohl das vorher zu erwarten war, ist nun das Gejammer in der liberalen Presse Deutschlands groß: Wie konnten die Unterhändler dem deutschen Ansehen und der deutschen Glaubwürdigkeit in der Welt nur so schaden, heißt es von der Berliner Zeitung über die taz bis zur Frankfurter Rundschau. Warum hätten sie in ihrem eigenen, vor allem aber im nationalen Interesse nicht noch drei, vier Milliarden drauflegen können?

Weil sie nicht wollten. Selbst die angebotenen sechs Milliarden sind den Unternehmen schon 5,5 Milliarden zu viel. Die am letzten Wochenende formulierte Drohung, nach den Verhandlungen in Washington auch noch die Stiftungsinitiative platzen zu lassen, zeigt, dass die Firmen noch weniger als Almosen zahlen wollen - trotz Sammelklagen und Boykottdrohungen aus den USA. Entschädigt wird nicht, koste es, was es wolle.

Die zweite Halbzeit der Verhandlungen, sofern bis dahin die Stiftungsinitiative überhaupt noch besteht, soll Mitte November in Bonn stattfinden. Ein Heimspiel: Keine große Tageszeitung in Deutschland wird die Gespräche so kritisch begleiten wie die Washington Post in den Tagen der Konferenz; nicht zu erwarten ist auch eine Anzeigenkampagne wie sie vergangene Woche in der New York Times erschien: "Mercedes-Benz - Design. Performance. Slave Labour" und "Bayer's Biggest Headache - Human Experiments And Slave Labour".

Diese Kampagne, eine Vorstufe der in einzelnen US-Bundesstaaten zum Teil schon beschlossenen Boykotte gegen deutsche Unternehmen, wurde in den USA meist mit der Forderung an den deutschen Staat verbunden, stärkeren Einfluss auf die Firmen zu nehmen. Dies lässt sich als Ausdruck reiner Verzweiflung verstehen oder als die irrige Annahme, es gebe einen Dissens zwischen der Bundesregierung und den Konzernen.

Real ist der Konsens zwischen Staat und Unternehmen kaum mehr zu toppen: "Ein großzügiges Angebot" nannten Verhandlungsführer Otto Graf Lambsdorff, der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski, und Bundeskanzler Gerhard Schröder einmütig die Finte von Washington. Schuldige, die ein "mögliches Abkommen" verhindert hätten, waren schnell gefunden: "Man muss daran denken, dass auch die Anwälte verdienen wollen", äußerten Schröder und Lambsdorff unisono.

Ein Vorschlag, um endlich von der gemeinsamen zu einer konsequenten Haltung des deutschen Staates und der deutschen Wirtschaft zu kommen, könnte nun sein: Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft rasch umzuwandeln in eine großzügig ausgestattete Forschungs-Kommission. Es muss endlich neutral untersucht werden, ob es in Deutschland überhaupt Zwangsarbeit gegeben hat. Sollte sich herausstellen, dass in bedauerlichen Einzelfällen Zwangsarbeiter in Deutschland beschäftigt wurden, werden diese sofort aus der Portokasse entschädigt, zu einem Händedruck vor laufenden Kameras gezwungen und so in die große deutsche Opfergemeinschaft integriert.

Wenn aber, wie zu erwarten ist, die unabhängigen Historiker und andere Experten dieser Kommission zu dem Ergebnis kämen, dass von Zwangsarbeit in einem größeren Umfang im Deutschen Reich gar nicht die Rede sein kann, so gilt es zu klagen, was das Zeug hält: Wegen Ruf- und Geschäftsschädigung, übler Nachrede, Erpressungsversuchen und Betruges - sprich: falsch abgerechneten Anwaltsgebühren. Entschädigungen, natürlich deutlich über zehn Milliarden Mark, wären dann für Deutschland fällig.