Händel, Handel, Schuldenberge

Rot-grüne Nord-Süd-Politik kommt gut an, weil sie modernere Akzente setzt. Für die Entwicklungsländer ändert sich allerdings wenig.

Nach einem Jahr Rot-Grün besteht kein Zweifel: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), geführt von der SPD-Linken Heidemarie Wieczorek-Zeul, macht auf den ersten Blick einiges anders als unter dem alten Chef, CSU-Minister Carl-Dieter Spranger. Die Rolle des BMZ wurde aufgewertet, der Ministeriums-Etat erhöht und das BMZ erhielt ein Mitspracherecht in Fragen der internationalen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Die Zuständigkeit für die Verhandlungen über ein Lomé-Folgeabkommen wurde vom Wirtschafts- auf das Entwicklungsressort übertragen. Außerdem ist das BMZ jetzt Mitglied im Bundessicherheitsrat, dem Gremium, das über Rüstungsexporte entscheidet.

Die EU-Ratspräsidentschaft für das erste Halbjahr 1999 brachte eine zusätzliche Ausweitung deutscher BMZ-Politik. Vor dem Entwicklungsausschuss des Europäischen Parlamentes erläuterte Wieczorek-Zeul ihr Konzept der "globalen Strukturpolitik", deren Ziel es sei, "die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse in Entwicklungsländern zu verbessern", und zwar "nachhaltig".

Zunächst suchte man, Klarheit in das Kompetenz-Wirrwarr der EU-Entwicklungspolitik zu bringen und legte die bis dahin unterschiedlichen Ressort-Verantwortungen in ein Kommissariat zusammen, das für mehr Transparenz und Effektivität sorgen und bis Mitte 2000 eine entwicklungspolitische Gesamtstrategie vorlegen soll. Angesichts der Korruptionsskandale wurden außerdem strengere Kontrollmechanismen für die Verwendung der EU-Gelder eingerichtet.

Gleichzeitig mit dem deutschen Ratsvorsitz begannen neue Verhandlungen zwischen der EU und den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) über die zukünftige Zusammenarbeit. Das 1975 entstandene, mehrfach aktualisierte Lomé-Abkommen läuft Anfang 2000 aus. Dessen Zukunft gilt als unsicher, denn insbesondere sein Kapitel über den Handel ist umstritten. Noch genießt der AKP-Raum, in dem die ärmsten Länder der Welt liegen, Handelsvorteile gegenüber der EU. Zusätzlich versuchen von Europa finanzierte Fonds, die starken Preisschwankungen bei den Hauptexportprodukten der AKP-Länder auszugleichen. Die AKP-Länder sind damit privilegierte Handelspartner.

Die Welthandelsorganisation (WTO) hat nun aber festgelegt, dass einseitige Handelsvorteile unzulässig sind. Die EU, zermürbt von den ewigen Handelsstreitigkeiten mit den USA, denen ähnliche WTO-Regeln zu Grunde liegen, hat sich dieser Sichtweise angeschlossen, und bemüht sich nun um eine möglichst "sanfte Abwicklung" der besonderen Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten. Anlässlich des ersten EU-AKP-Ministertreffens, bei dem die Grundlagen der künftigen Kooperation festgeklopft werden sollten, erklärte Wieczorek-Zeul, man sei sich einig, dass die einseitigen Präferenzen der AKP-Länder "nicht unbegrenzt fortgeführt" werden könnten.

Viele AKP-Länder sehen das anders. Sie erwarten - WTO hin oder her - mehr von Europa als gute Worte über "Partnerschaft" oder "Förderung verantwortungsvoller Regierungsführung". Auch die Ende November beginnenden Verhandlungen in der WTO über eine weitere Liberalisierung des Welthandels erwarten viele mit Skepsis. Die meisten der so genannten "am wenigsten entwickelten Staaten", sowie einige Schwellenländer wie Malaysia oder Ägypten, wollten an Stelle neuer Liberalisierungsmaßnahmen lieber die bereits bestehenden WTO-Regeln in ihren Auswirkungen überprüfen und gegebenenfalls ändern. Doch das rot-grüne BMZ hält die "Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt" für "zukunftsweisend".

Anstatt deren Haltung zu stützen, wolle man den Armen vielmehr helfen, ihre "WTO-Verpflichtungen zu erfüllen". Vier Millionen Mark hat das BMZ jetzt bereit gestellt, damit sich diese Länder auf die Verhandlungen vorbereiten können. Wenn sich die WTO-Wirtschaftsminister im November treffen, wird sich die deutsche Delegation für eine umfassende Liberalisierungsrunde einsetzen. Die armen "Partner" sollen offenbar aber - dank BMZ - wenigstens in die Lage versetzt werden, personell dagegen halten zu können. Leicht werden sie es dabei nicht haben, denn die Zeichen der Weltwirtschaftsordnung stehen auf Freihandel. Zäh hält sich in der WTO die Vorstellung, ein freier Weltmarkt werde irgendwann auch den ärmsten Entwicklungsländern Wohlstand bringen.

Das gilt auch für die BMZ-Politik, so deutlich gerade ihm die Vorbehalte der armen Länder gegenüber ungeschützter Handels-Liberalisierung immer wieder angetragen werden. Ein Beispiel: Anfang des Jahres, als die EU ein Handelsabkommen mit Südafrika aushandelte, das einen raschen gegenseitigen Zollabbau vorsieht, wurde dieser Vertrag - auch für die künftige Lomé-Arbeit - als vorbildlich angesehen. In Südafrika und dessen Nachbarländern wird jedoch befürchtet, dass die regionalen Märkte der zu erwartenden harten Konkurrenz von EU-Produkten nicht standhalten können. Eine Studie der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) gibt den Skeptikern Recht: Von diesem Abkommen profitiert Europa deutlich mehr als Südafrika.

Allerdings vertritt das rot-grüne BMZ in einer weiteren Frage zumindest bisher eine softere Linie: Die Strukturanpassungs-Programme von Weltbank und internationalem Währungsfonds - Kredite an Entwicklungsländer, die mit allerhand Auflagen verbunden sind - sollen geändert werden. Bisher sei zu viel auf bloße Haushaltsfragen geachtet worden, zu wenig aber auf die sozialen Auswirkungen dieser Programme und auf die Bekämpfung von Armut.

Das Grundmuster dieser Programme wird jedoch nicht in Frage gestellt. Die Gelder fließen nur unter der Bedingung, dass der Einfluß garantiert wird. Die Empfängerländer haben ihren Staat so organisieren, wie es die Geldgeber wollen. Dennoch erntet das rot-grüne BMZ bislang internationales Lob. Die Arbeit zum Klimaschutz, bei der Förderung regenerativer Energien in Entwicklungsländern und nicht zuletzt der Beschluss für einen Schuldenerlass von über 70 Milliarden US-Dollar für die Länder des Südens wird weithin begrüßt. Auch nach dem "Erlassjahr 2000" werden die Entwicklungsländer allerdings auf einem Schuldenberg von über 2 000 Milliarden US-Dollar sitzen bleiben. Im geplanten Lomé-Folgeabkommen werden die bisherigen Handelsvorteile auslaufen und die Exporterlös-Fonds abgeschafft.

Eine neue WTO-Verhandlungsrunde wird die Entwicklungsländer weiterem Liberalisierungs- und Marktöffnungsdruck aussetzen. Die Fahne der "globalen Strukturpolitik" weht immer noch in den kalten Lüften der Freihandelsideologie und der Dominanz des Nordens.