Nach dem Crash ist vor dem Crash

Asienpfanne VIII: Beim Versuch, sich gegen eine erneute Währungskrise zu wappnen, stößt Thailand an die Grenzen seines Wirtschaftssystems.

Ausländische Investoren legen wieder Geld an, die Währung Baht hat sich stabilisiert, die Zinsen sind zurückgegangen, Außenhandel und Industrieproduktion haben kräftig zugelegt, und an der Börse in Bangkok wird wieder gedämpfter Optimismus verbreitet: Gut zwei Jahre, nachdem Währungsspekulationen gegen den Baht die Asien-Krise ausgelöst haben, mehren sich die Anzeichen, dass in Thailand das Schlimmste überwunden ist.

Nachdem im ersten Quartal 1999 ein Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent erzielt wurde, rechnen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die thailändische Regierung für dieses Jahr mit einem Wachstum von drei bis vier Prozent. Jüngst verzichtete die Regierung des Königreichs sogar auf die Auszahlung der restlichen drei Milliarden Dollar eines IWF-Kredites von insgesamt 17,2 Milliarden US-Dollar.

In der Vergangenheit hat Thailand sein Wirtschaftswachstum zu einem erheblichen Teil mit ausländischem Kapital finanziert. Die Liberalisierung der Finanzmärkte und des Aktienhandels, die Anlehnung der thailändischen Währung an den US-Dollar und die hohen einheimischen Zinsraten führten zu einem Zustrom von Auslandskapital. Die einheimischen Banken gaben das Geld zum Teil ohne große Sicherheit an ihre Kunden weiter. Ein Großteil wurde an der Börse oder in unrentable Bauvorhaben investiert.

Die Kombination aus liberalisierten Kapitalströmen und relativ starren Wechselkursen zog in- und ausländische Spekulanten an, die die Währung ins Rutschen brachten. Als sich für die teuren Immobilien plötzlich keine Abnehmer mehr fanden und der Aktienindex in den Keller fiel, konnten die leichtfertig vergebenen Kredite nicht mehr zurückbezahlt werden.

Zahlreiche Firmen meldeten Konkurs an. Rund zwei Millionen Arbeiter und Angestellte verloren ihre Beschäftigung. Die übliche vom IWF verordnete Kur - Erhöhung der Steuern, Kürzung der Staatsausgaben, Beschneidung von Subventionen, Privatisierung von Staatsbetrieben und Beibehaltung des hohen Zinsniveaus - verschärfte die Situation für die Bevölkerung weiter. Um die Staatsfinanzen wieder ins Lot zu bringen, kürzte die Regierung den Haushalt drastisch und stellte kostspielige Infrastruktur-Projekte zurück. Die Mehrwertsteuer wurde von sieben auf zehn Prozent erhöht, auch Benzin- und Mineralölsteuer wurden angehoben und Bier, Wein und importierte Fahrzeuge mit einer Luxus-Steuer belegt.

Gerade diejenigen Thailänder, die vom Wachstum der vergangenen Jahre wenig profitiert hatten, wurden von den höheren Steuern, stagnierenden Löhnen und Preiserhöhungen bei Lebensmitteln, Medizin, Brennstoff, Energie, Transport oder Düngemitteln am stärksten getroffen. Die Lebenshaltungskosten erhöhten sich von 1993 bis 1998 um 34,2 Prozent, während das durchschnittliche Haushaltseinkommen nur um 15,1 Prozent stieg.

Die Bemühungen der Regierung richteten sich in erster Linie auf eine Reform des Banken- und Finanzsektors und die Konsolidierung des Staatshaushalts. Das Reformpaket des IWF wurde anstandslos implementiert, die Bedingungen für Auslandsinvestitionen erleichtert, der Finanzsektor unter staatliche Aufsicht gestellt und 56 marode Finanzierungsgesellschaften - zwei Drittel der gesamten Branche - geschlossen. Arbeitnehmerfragen spielten dagegen kaum eine Rolle. Die hohe Arbeitslosigkeit versuchte man dadurch in den Griff zu bekommen, dass man Arbeitslose ermutigte, ins Ausland zu gehen oder zu ihren bäuerlichen Familien zurückzukehren. Doch auch in den Dörfern war die Kapazität zur Aufnahme von Arbeitskräften begrenzt.

Plötzlich machte es sich bemerkbar, dass es in Thailand keine Arbeitslosenversicherung und kaum Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für Erwerbslose gibt. Die Sozialversicherung, die 1991 eingeführt wurde, gewährt Arbeitern und Angestellten in privaten Unternehmen mit mindestens zehn Beschäftigten lediglich einen gesetzlichen Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung und in begrenztem Umfang finanzielle Ausgleichszahlungen bei Krankheit, Mutterschaft, Invalidität und Tod. Im Dezember 1998 wurden außerdem eine Altersversicherung und Kindergeldzahlungen für versicherte Arbeitnehmer eingeführt. Die Leistungen der Sozialversicherung wurden von sechs auf zwölf Monate nach Beendigung eines versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses verlängert.

Familien, die die Schul- oder Studiengebühren ihrer Kinder nicht mehr bezahlen konnten, erhielten eine Ausbildungsförderung. Bezieher von Niedrigeinkommen wurden teilweise vor den Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln geschützt, und auch für die kostenlose Gesundheitsversorgung der Armen wurden die Ausgaben erhöht. Ansonsten griff die Regierung auf bewährte Instrumente zurück: So genannte Beschäftigungsprogramme im Infrastruktur- und Bewässerungsbereich, zinsfreie Kredite an Existenzgründer, Wiedereingliederungshilfen für Erwerbslose. Im Frühjahr 1999 stimmte das Kabinett einem 53-Milliarden-Baht- (1,25 Milliarden Euro) Programm zur Einkommenssicherung und Arbeitsbeschaffung im ländlichen Raum zu, das größtenteils von Japan und der Weltbank finanziert wird.

Der Ausbau des sozialen Netzes, so hofft die seit knapp zwei Jahren regierende Koalition unter dem gewählten Premierminister Chuan Leekphai, soll die soziale Situation der von der Krise am schlimmsten betroffenen Personengruppen sichern und Unruhen wie in Indonesien verhindern. Doch die verarmte Bevölkerung, die großenteils auf dem Land lebt, bekommt von den Reformanstrengungen so gut wie nichts zu spüren. Oft versickert das Geld in dunklen Kanälen.

Zudem stellt sich die Rekapitalisierung und Umstrukturierung des Bankensektors schwieriger dar als erwartet. Auch der thailändische Baht hat einen neuen Schwäche-Anfall erlitten. Vor kurzem gab es wieder Versuche von Hedge-Fonds, gegen den Baht zu spekulieren. Nach Meinung von Börsenguru Mark Mobius hat Thailand mit dem wieder spürbaren Kapitalzufluss und den gestiegenen Währungsreserven zwar wirkungsvolle Gegenmittel. Das Risiko eines erneuten Crash ist jedoch nicht auszuschließen. Der neuerdings wieder aufkeimende Optimismus beruht allein auf der fortschreitenden Liberalisierung der Wirtschaft - jenem angeblichen Allheilmittel, das die Krise überhaupt erst ermöglicht hat.