Verdammt, ich lieb’ Dich

Die britische Pop-Journalistin Julie Burchill hat ihre Autobiografie geschrieben.

Zur Erinnerung: Julie Burchill ist nicht nur die Schöpferin solch unvergesslicher Bonmots wie "Hope I die before I get old (fields new album)" oder "Mein Traum von einem guten Tag? - Ein 24-Stunden-Bombardement von Dresden". Sie schreibt auch die zehn Zeilen, die sich in Zeit Leben neben der Siebeck-Kolumne zu lesen lohnen.

Eigentlich könnten hier also einfach die besten Aper ç us aus ihrer unter dem Titel "Verdammt - ich hatte Recht!" vorgelegten Autobiografie stehen - gerechterweise zusammen mit einer kleinen Auswahl aus all den schalen Witzen, üblen Kalauern und ekelhaften Rassismen, die sie auch enthält. Jedoch, auch schmutzige Sachen muss man bekanntlich hinter sich bringen, auch wenn man sich danach die Hände waschen muss (um mit Burchills Freundin zu sprechen).

Beginnen wir mit einigen Hoch- und Tiefpunkten aus dem Leben der englischen Meisterjournalistin. Vorausgeschickt sei, dass sie a) Einzelkind ist und es b) aus der Arbeiterklasse stammend bis in die höchsten Höhen der oberen Mittelschicht schaffte, was c) zusammen sicher manches erklärt; insbesondere jedoch ihre fröhlich-stolz eingestandene Psycho- bzw. Soziopathie: Burchills Ausführungen zu Kinder- und Schulzeit zu lesen, ist ein bisschen wie Morrisseys "The Ordinary Boys (Viva Hate)" aus weiblicher Ich-Perspektive und in Endloswiederholung zu hören: "... ordinary girls/never seeing further/than the cold, small streets/that trap them/but I was so different/I had to say no/ when these empty fools/ tried to change me and claim me/ for the lair of their ordinary world/ where they feel so luckyÖ"

Sie war also verdammt sauklug, wollte lieber lesen als spielen und wurde ihrer Schläue wegen von den anderen dummen Arbeiterkindern schikaniert. Das soll nebenbei ihre eigene zeitweilige Begeisterung für und überhaupt die geistigen Grundlagen des Thatcherismus erklären - und was den ersten Punkt angeht, ist das vermutlich nicht einmal gelogen.

Burchills Leben änderte sich mit 17 recht radikal - durch ein öffentlich ausgeschriebenes Jobangebot des New Musical Express. Sie bekam den Job bei dieser spezifisch britischen Mischung aus Bravo und Spex, zog nach London und hatte in den nächsten Jahren Gelegenheit, ständig auf Speed zu sein, brillant und berühmt zu werden, Erfahrung mit S/M zu sammeln sowie Johnny Rotten und Iggy Pop lässig abblitzen zu lassen. In den Achtzigern wurde sie hochbezahlte Kolumnistin konservativer Zeitungen und Autorin zweier Romane, die ihrem deutschen Erscheinungsort - Goldmann, und wir reden hier nicht von der Reihe "Das besondere Taschenbuch" - mehr als angemessen waren.

In den Neunzigern hing sie dann ziemlich ausgebrannt, zum zweiten Mal verheiratet, berühmt und gelangweilt im Londoner Groucho Club ab. Und dort würde sie wohl heute noch sitzen und Koks sniefen, bis die Haare glühen und das Gehirn verkohlt ist, wäre sie nicht schließlich von einer 25jährigen Millionärstochter - "Man fragt sich, kann es eine herrlichere Berufsbezeichnung für einen geliebten Menschen geben?" - und Marxistin in den rettenden Hafen der großen Liebe geholt worden.

Nun ist Burchill (wieder) Kommunistin geworden, und wie alles macht sie auch das verdammt gut, aber ernst nehmen sollte man es auch diesmal nicht. Vielmehr könnte man bei dieser neuerlichen Wendung auch an eine Figur aus Klaus Manns "Mephisto" denken, einen marxistischen Feuilletonisten, der nach 1933 über Rasse statt über Klasse schwadroniert (und bei einer Fortsetzung des Romans nach 1945 oder 1989 wahrscheinlich Karriere beim Neuen Deutschland oder der FAZ gemacht hätte). Wie er könnte Burchill wohl unter jedem Regime überleben, und das ist nicht als Kompliment gemeint. Ihr Kommunismus hindert sie im übrigen nicht an Ausdrücken wie "Kamelficker" sowie britischer Amerika-Überheblichkeit und leidenschaftlicher Germanophobie (ein Hinweis für die Leute, die sich immer freuen, wenn sich Briten dieser hingeben: bestimmte Dinge bekommt man nunmal nur im Mehrfachpack).

Wollte man tiefer graben, käme man wohl darauf, dass Burchill ein weiblicher Dandy ist, eine Schwester im Geiste von Morrissey und Oscar Wilde, gesegnet mit einem Scharfsinn, so glitzernd wie eine Discokugel. "Verdammt - ich hatte Recht!" enthält einige Passagen, die selbst einen alten, kranken und einsamen Leser Tränen lachen lassen könnten. Für eine gute Pointe würde Burchill allerdings vermutlich jederzeit einen Freund verraten, und ganz gewiss würde sie immer eine hübsche Formulierung der Wahrheit vorziehen. Insofern entbehrt es nicht der Ironie, dass sie aus einem Job beim Sunday Express flog, nachdem sie schlicht konstatierte, dass "statistisch gesehen ein Kind in der nächtlichen Obhut einer fremden Lesbe sicherer vor sexuellem Missbrauch ist, als in Gesellschaft seines eigenen Vaters".

All das macht sie aus deutscher Gegenwartsperspektive einerseits zur Ahnherrin all jener MedienarbeiterInnen, die bei der taz oder "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" anfangen, um zu Popliteratur-SchriftstellerInnen und FAZ-RedakteurInnen zu werden - wie es diese andererseits zu leicht missratenen Nachfahren, vermutlich Opfern des Burchill verhassten "MittelklasseWichsertums", degradiert. Denn in gewisser Weise ist Julie Burchill tatsächlich die größte Journalistin der Welt - nur eben mit all der Verkommenheit, die so ein Lob neben Geist, Witz und boshaftem Esprit auch meinen muss. Es ist nicht einfach, einen Artikel über sie nicht zur Liebeserklärung werden zu lassen.

Julie Burchill: Verdammt - ich hatte Recht. Eine Autobiographie. Deutsch von Susanne Goga-Klinkenberg. rororo, Reinbek 1999, 255 S., DM 16,90