Was bin ich

Im Berliner Kronzprinzenpalais trafen sich die Protagonisten von Herlinde Koelbls Dokumentation "Spuren der Macht".

Spuren der Macht". Der Event zum Bild, das Bild zum Event. Da war er ganz schön dick. Deutschlands Außenminister steht vor einer Wand von Bildern, die alle nur Eines zeigen: Joseph Fischer. "Ich bin ein Mensch, der alles exzessiv macht." Wein trinken, gut essen ... Dann hat er sich neu erfunden, nach einer schlimmen Krise. Denn exzessiv macht er auch Politik, gibt er zu, und nun steht das Ergebnis einer extremen Entwicklung vor den Produkten der Fotografin Herlinde Koelbl, die Fischer und 14 weitere Personen des öffentlichen Lebens über acht Jahre mit Fotoapparat, Video und Tonband begleitet hat.

Herausgekommen ist ein fetter Interview-Band mit dem Titel "Spuren der Macht. Die Verwandlung des Menschen durch das Amt" samt einer Ausstellung im Berliner Kronprinzenpalais, wo man die Spuren im Gesicht der Porträtierten suchen kann. Sowohl Koelbl als auch die Objekte ihrer Begierde wirken sichtlich geschafft. Als hätten sie gerade den Kosovo-Krieg überstanden, versichern sie sich zur Eröffnung immer wieder, was das Aufregende an der Dokumentation war, klopfen sich ab, wissen Anekdötchen und Grundsätzliches über die große weite Welt. Fischer: "Ohne Politik sind die Politiker nicht zu begreifen. Wir sehen ein einmaliges Stück Zeitgeschichte." Will sagen: Ich bin Zeitgeschichte.

Stimmt. In manchen Positionen kann man sich Dinge erlauben, die woanders nicht so durchgehen würden. Es stimmt aber auch, dass der Rummel bleibt und das Inventar des Öfteren mal ausgetauscht wird. Koelbl kann zu Recht stolz auf ihr Projekt sein, mit dem sie den Deutschen nun die Bilderrahmen füllt: mit wichtigen Deutschen, die alle älter geworden sind.

Wir haben's alle nicht leicht, so könnte das Fazit dieser Feldstudie der Mächtigen lauten - hier neben Fischer u.a. vertreten durch Renate Schmidt, Irmgard Schwätzer, Gerhard Schröder, Peter Gauweiler, Siemens-Chef Heinrich von Pierer. Und Rolf Schlierer. Das ist der Vorsitzende der Republikaner. Wie Koelbl auf den kam, weiß niemand so genau, drum wird's totgeschwiegen. Aber ab jetzt darf er sich zu den Großen zählen. Während die Anderen sich im Licht der Kamerateams sonnen, schleicht der irgendwo im Dunkeln rum. Gegenüber Koelbl hat aber auch er ausgepackt. "Ich möchte ein Zuhause haben, das für mich gleichzeitig auch Schutzzone ist, ein nicht angetasteter Raum (...). Ich lebe seit Jahren von meiner Substanz (...). Die Politik ist ein Sumpf (...). Ich hatte schon tagelang keine Zahnpasta, weil ich einfach nicht dazu gekommen bin, welche zu kaufen."

Selten freimütig hätten sich die Helden der Koelblschen Arbeit über sich selbst geäußert, darauf ist sie stolz: Bei ihr hätten sie auspacken können, und dann wurde das Gespräch gegengelesen und autorisiert. "So fair bin ich", sagt sie, wobei unterschlagen wird, dass das ein übliches Verfahren ist: Ohne Gegenlesen und Komplett-Umschreiben bekommt nicht mal die Bild ein Interview. Aber egal! Koelbl: "Normalerweise läuft das ja so, ein Funktionsträger spricht mit einem Journalisten, und der ist auch Funktionsträger, ich habe das unterlaufen ..."

Sie sei natürlich keine Funktionsträgerin, sagt sie nicht ganz uneitel von sich, schon gar keine apologetische, nein. Da bleibt die Frage, ob sich die Selbsterfinder und Selbsterfinderinnen diese Langzeit-Dokumentation nicht auch zu Nutze machen konnten. Angela Merkel etwa fragte Koelbl 1991, was das denn sollte, ihr würde nur nutzen, wenn sie gleich in der Presse auftauche. Merkel und die Anderen haben sichtlich Punkte in eigener Sache gesammelt.

Das Ziel dieses Großprojekts heißt: Wir sind auch nur Menschen. Dazu eignen sich die zum Teil über 30 Seiten langen Texte bestens. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis nutzt sie für eine Abrechnung mit ihrer Mutter, die Anderen für eine Abrechnung mit sich selbst; es geht um Ehekrisen, Eifersucht, Konkurrenz, Freunde, die keine sind, Religion usw. - Abrechnungen Lafontaineschen Ausmaßes. Aber ein Gesamtkunstwerk, wie es diese Personen sind, und wie sie standesgemäß mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln in den Rang des Gesamtkunstwerks erhoben wurden, soll alle Sinne ansprechen: Erfunden oder wiederbelebt, wie man's nimmt, wurde die Politik-Opera.

Die Kritiker loben die öffentliche Selbstanklage. Bin ich schön? Ja, sie sind wohl Menschen, wenn mitunter auch etwas abgenutzte. Das Gefühl steht im Zentrum, das Mitmenschliche, von dem wir im Alltag auch gern mehr spüren würden, doch es geht immer nur um die Politik, wie man den Sozialstaat abbaut, den Wirtschaftsstandort rettet, die Bundeswehr einsetzt. Zwischendurch verraten sie den Lesern das Betriebsgeheimnis: Hemmungslos die Ellbogen einsetzen. Und darüber klagen, dass die Anderen das auch tun. Das ist, muss man wohl sagen, erlaubt. Und das ist übrigens Politik. Das lassen uns Koelbl und ihre Fotos wissen.

Einige haben die Ruhe weg, wie Ruheständler und Bild-Kolumnist Peter Gauweiler. Der steht mehr so ein bisschen neben sich, als wär's eine nette Familienfeier. Simonis, Fischer und Schmidt hingegen geben mit ihrem aufgesetzten Benehmen zu verstehen, dass sie noch mitten im Kampf um Ansehen, Image und Quote stehen. Und es macht ihnen gar nichts aus, sich vor die riesigen Bilder zu stellen, und sie haben wenig Sinn für die Peinlichkeit, dabei immer neue Motive ihrer Motive zu liefern.

Es geht um die Macht, das Leiden an ihr, und darum, dass alles nicht so einfach ist, wie wir uns das immer vorstellen. Und geziert, Forschungsgegenstand dieser Art zu werden, haben sie sich ja auch. Das ist hier das Thema. Ist das nicht Aufklärung? Ja, aber das ist auch Yellow-Press mit Nivo.

Herlinde Koelbl: "Spuren der Macht". Kronprinzenpalais, Unter den Linden 3, Berlin. Täglich außer mittwochs 10 bis 18 Uhr