Weiße Räume, blinde Flecken

Die Ausstellung "blank_Architecture, apartheid and after" widmet sich der Städteplanung in Südafrika. Die eine Form der Segregation ist weg, doch andere Formen treten an ihre Stelle.

Eine Revolution, so Henri Lefèbvre, die nicht einen neuen Raum produziere, sei bereits gescheitert. Denn sie habe damit nicht das Leben selbst geändert, sondern lediglich ideologische Strukturen, Institutionen oder politische Apparate. Für das System der Apartheid, das auf dem Prinzip der Manipulation sozialer Beziehungen durch die räumliche Trennung sozialer Gruppen aufbaut, gilt dies sicherlich in besonderem Maße.

"blank_Architecture, apartheid and after" heißt eine Ausstellung des Niederländischen Architekturinstituts in Rotterdam, die jetzt auch im Berliner Haus der Kulturen der Welt gastierte. Ihr Titel ist jedoch irreführend, weil die Ausstellung nicht nur von der Architektur Südafrikas handelt, sondern eine umfassende Topografie räumlicher Praxis unter der Apartheid zeigt. Anhand von Texttafeln, Fotos und Videomaterial, Objekten und Dokumenten ist das Ziel von "blank_" nicht einfach die Abbildung südafrikanischer Verhältnisse. Vielmehr will das Projekt in Kürze nach Südafrika zurückkehren und dort selbst einen neuen Raum schaffen. In ihm soll bislang Tabuisiertes über das - durch die Apartheid zerstörte - soziale Gefüge "zur Erscheinung kommen können", so der Kurator Hilton Judin.

Blank meint also nicht nur das hegemoniale Weiß der Apartheid. Es steht ebenso für einen leeren, noch zu füllenden Zwischenraum in der Schwebe zwischen ihrer institutionellen Überwindung und der tatsächlichen Änderung des Lebens selbst, die sich auch im Schaffen neuer Räume der Repräsentation ausdrückt. In der Ausstellung kann man damit nicht nur die Form der räumlichen Materialisierung der Apartheid betrachten, sondern auch die gesellschaftliche Praxis des Neuen Südafrika lesen.

Nun markiert der Umbruch, der sich 1990 mit der formalen Abschaffung der Apartheid ankündigte und 1994 mit der Machtübernahme einer "Regierung der nationalen Einheit" unter Führung des ANC vollzog, zwar eine fundamentale soziale Transformation. Gleichwohl entsteht New South Africa nicht als Ergebnis einer Revolution, die Apartheid und Kapitalismus - also die beiden gesellschaftlichen Strukturmerkmale des Landes - beseitigt hätte. Im Gegenteil. Auch der ehemals kommunistische ANC schwenkte in seiner makro-ökonomischen Strategie auf eine neoliberale Wirtschaftspolitik um, die Anreize für Investitionen bieten will. Für linke Kritiker, wie den früheren Zellengenossen der inhaftierten ANC-Elite, Neville Alexander, läuft diese Politik lediglich auf eine Modernisierung der Apartheid hinaus, da sich Klassenunterschiede so weiterhin als Rassenunterschiede reproduzierten.

Weltweit erzeugt und verschärft die Durchsetzung des Neoliberalismus in städtischen Regionen räumliche Strukturen, die in ihrer bislang brutalsten Kombination charakteristisch für das System der Apartheid waren. Die räumliche Trennung sozialer Gruppen, die Verbunkerung von Zitadellen der Macht und eine umfassende Überwachung der städtischen Räume sollen die zunehmenden sozialen Spaltungen absichern. The city that works for all lautet dagegen der Slogan der Post-Apartheid-Planer im Entwicklungsplan für Kapstadt: Demokratisierung, sozial-räumliche Integration, Umverteilung und gesellschaftlicher Ausgleich werden dabei als Ziele ausgegeben.

In der anhaltenden Belagerungsphobie der weißen Bevölkerung kommt eine ungebrochene Kontinuität der über dreihundertjährigen Kolonialgeschichte zum Ausdruck. Als neues Gesicht der "feindlichen Umgebung" gilt die Kriminalität, die ins Zentrum der aktuellen gesellschaftlichen Diskurse gerückt ist. Sie rechtfertigt nicht zuletzt die Aufrechterhaltung der Bunkermentalität: "Die Festungen der Vergangenheit sind den Privatforts einer Bevölkerung gewichen, die sich immer stärker hinter die Mauern ihrer Wohnviertel, Bürokomplexe, Einkaufszentren und verbarrikadierten Häuser zurückzieht", so eine Texttafel der Ausstellung. Armed Response nennt sich bezeichnenderweise einer der privaten Sicherheitsdienste, dessen schwerbewaffnete Wächter die gated communities und die mit Stacheldraht bewehrten Villen verteidigen.

Die Innenstädte geraten in der aktuellen Situation zu umkämpften Räumen. Vor allem als vormals zentrale Repräsentationsorte der Apartheid, aus denen die nicht-weiße Bevölkerungsmehrheit gewaltsam ferngehalten wurde. Heute gilt etwa das Zentrum von Johannesburg, das als Schaufenster des südafrikanischen Kapitalismus bis in die achtziger Jahre den Weißen alle Annehmlichkeiten geboten hatte, für diese als No-Go-Area.

In dem Vakuum, das die in ihre ummauerten Zitadellen geflüchteten weißen Wohlstandsklassen hinterließen, entfalten sich die neuen Räume der Post-Apartheid. Die Aneignung von Straßen und Plätzen durch informell Arbeitende, die Besetzung verlassener Fabriken, Bürogebäude und Lagerhallen zum Wohnen, die Entstehung von Märkten und der Zustrom von MigrantInnen fegen den rassistischen Symbolgehalt einfach fort.

Am Beispiel Kapstadt zeigt sich jedoch, welch ambivalentes Verhältnis das neue System zu solchen Entwicklungen hat. Dort dient Johannesburgs "Verfall" als Vorwand für die Einführung von Law and Order-Politiken und die Privatisierung öffentlicher Räume. Verantwortlich dafür ist die Cape Town Partnership, eine Gemeinschaftsinitiative der lokalen Business-Community und der städtischen Behörden zur Rettung der Innenstadt: Die Einführung privatisierter City Improvement Districts, die Mobilmachung gegen informelle Händler, Straßenkinder und Bettler und die Installation eines geschlossenen Video-Überwachungssystems deuten darauf hin, dass New South Africa und zero tolerance keinen Widerspruch darstellen, wenn es um die Aufrüstung jener Räume geht, die für die Dienstleistungsökonomie, das Konsumerlebnis der Wohlhabenden und den Tourismus von Bedeutung sind. Eine Entwicklung, die die Ausstellung leider nicht thematisiert.

Der Architekt Hilton Judin, einer der Kuratoren der Ausstellung, betont, dass "blank_" weniger von Südafrika handelt, sondern vielmehr die politischen und sozialen Folgen der Apartheid analysiert. Aus hiesiger Perspektive ist die Ausstellung so nicht nur ein Lehrstück über die strukturelle Nähe der neoliberalen Metropolen zum räumlichen Erbe der Apartheid, sondern auch über die Anschlussfähigkeit der rassistischen Ideologie an den westlich-modernen Städtebau.

So erinnern Abbildungen von Townships der fünfziger Jahre an Einfamilienhaus-Teppiche, wie man sie etwa aus der Peripherie US-amerikanischer Agglomerationen kennt. Waren die Siedlungen im ersten Fall das Ergebnis einer brutalen Zwangsumsiedlung aus vitalen innerstädtischen Quartieren, die dann den Bulldozern zum Opfer fielen, verkörpern sie im anderen den Traum vom Kleinfamilien-Glück im Eigenheim. Beide aber entspringen demselben Prinzip.

Nicht zufällig konnten die Apartheid-Ideologen direkt an modernistische Konzepte wie etwa jenes der Gartenstadt anschließen und die Errichtung segregierter Townships als soziales Programm tarnen: Das System des kontrollierten Wohnens aller Arbeiter, verbunden mit einer Kontrolle der Zuwanderung, so zitiert der empfehlenswerte Ausstellungs-Reader den Apartheid-Vordenker Hendrik Verwoerd, werde die Lebensbedingungen der "eingeborenen" Bevölkerung radikal verbessern.

Im neuen Südafrika wiederum fällt die Ähnlichkeit der nahe den Townships hochgezogenen Wohnsiedlungen mit dem Apartheid-Erbe ins Auge: Heute sind die monotonen Wohnzeilen, die aus identischen Einraum-Wellblechhütten bestehen, das Ergebnis einer neoliberalen Privatisierung der Wohnungsproduktion zu Gunsten Profit-orientierter Developer.

Die hehren Ziele der Rainbow-Nation-Urbanisten scheinen sich am ehesten dort zu verwirklichen, wo sie am wenigsten geplant und von den Mächtigen am wenigsten gewollt sind: In jenen Innenstädten, die auch für das neue Regime die Herzstücke eines modernisierten Kapitalismus darstellen. Offenbar ändert sich im Lefèbvreschen Sinne "das Leben selbst" nur dort, wo neben den Gesetzmäßigkeiten der Apartheid auch jene der kapitalistischen Produktion von Räumen aufgehoben sind. Allerdings ist dafür die Rationalität des "weißen Raumes", in dem Kontrolle und Ausschluss durch Teilung und Homogenität hergestellt werden, auf einer sehr grundsätzlichen Ebene zu durchbrechen.