Zuschauer sein heißt leiden lernen

Warum es nicht immer leicht ist, ausgerechnet ein Fan von Eintracht Frankfurt zu sein.

Nachdem die Frankfurter Eintracht in der letzten Saison den fast sicher geglaubten Abstieg durch ein furioses Saisonfinale doch noch verhindert hatte, war die fußballerische Welt in Frankfurt wieder in Ordnung. Schließlich feiert man in diesem Jahr das 100jährige Vereinsjubiläum, da wäre der Gang in die Zweitklassigkeit ziemlich peinlich gewesen. Als dann auch noch die ersten beiden Begegnungen dieser Spielzeit gewonnen wurden - und die Eintracht kurzzeitig Tabellenführer war -, träumten einige Unverbesserliche sogar schon wieder vom Titel.

Nach vier Niederlagen in Folge ist es mit diesem Traum aber auch schon wieder vorbei. Denn jetzt dürfte auch dem größten Optimisten (und davon gibt's in Frankfurt ja immer besonders viele) klar sein, dass die Eintracht vorerst gegen den Abstieg spielt.

Aber so war es ja schon immer am Main. Nach zwei bis drei Siegen in Folge setzt das Hirn des gemeinen Eintracht-Fans aus und er beginnt, wider besseres Wissen, zu phantasieren: "Wenn's gut läuft, können wir jeden schlagen ..., die anderen kochen auch nur mit Wasser ..., warum sollen wir nicht mal ..." usw. Vorübergehender Realitätsverlust ist ein immer wieder auftretender Zustand der Eintracht-Anhänger, auch wenn Trainer und Mannschaft zu Beginn dieser Saison vor übertriebenen Erwartungen gewarnt haben.

Aber als Eintracht-Fan sollte, nein, muss man vor allen Dingen mit zwei Tugenden ausgestattet sein: Geduld und Leidensfähigkeit. So auch wieder am Freitag vor zwei Wochen, beim Heimspiel gegen den VfB Stuttgart. Die Eintracht wollte, aber konnte nicht. Der VfB beschränkte sich darauf, 90 Minuten nichts zu tun und auf einen Fehler der Frankfurter Abwehr zu hoffen. Dieser Gefallen wurde den Stuttgartern dann auch in der 47. Minute getan - und so konnten sie zufrieden über das schmeichelhafte 1:0 nach Hause fahren.

Viele der 30 000 Zuschauer hatten die Hoffnung (die im Gegensatz zum Sprichwort bei Fußballfans nicht immer zuletzt stirbt) schon lange vor Spielschluss aufgegeben und sich ab der 70. Minute auf den Heimweg gemacht, denn "die packen's doch eh net mehr". Von der Euphorie der ersten Spiele war nichts mehr zu sehen und zu spüren. Natürlich feuerten ein paar semiprofessionelle Nachwuchs-Krakeeler ihre Mannschaft an, aber die Mühe war umsonst. Denn wen sollten sie auch mitreißen?

Ein paar Niederlagen in Folge lösen in Frankfurt sehr schnell einen Stimmungsumschwung aus, das hiesige Sportpublikum kann man guten Gewissens als eines der schlechtesten in ganz Deutschland bezeichnen. Der Frankfurter Erfolgsfan geht nur ins Stadion, wenn dort guter und vor allen Dingen erfolgreicher Fußball gespielt wird. Und wenn dazu noch die Sonne scheint. Da beides in naher Zukunft nicht zu erwarten ist, werden sich demnächst wohl nur die wahren Anhänger ins Waldstadion, eines der unattraktivsten Stadien in Deutschland, trauen. Und das bedeutet dann wieder, je nach Attraktivität des Gegners, ungefähr nur 20 000 bis 25 000 Zuschauer pro Spiel.

Aber als Frankfurt-Fan muss man nicht nur unter den Spielern und den unfähigen anderen Zuschauern leiden. Denn bei der Frankfurter Eintracht tut auch das Präsidium (Präsident, Schatzmeister, Manager ...) das Seine dazu - die Vergangenheit hat oft genug gezeigt, dass der Amateuranteil in den Entscheidungsgremien anderer Fußballmannschaften (und dort gibt es immer ein paar Vertragsamateure) weit übertrifft.

Wir erinnern uns: Anfang der Neunziger, als die Eintracht ihre Fans mit "Fußball 2000" verwöhnte, musste Trainer Klaus Toppmöller gehen, da er sein Schicksal von dem des Torhüters Uli Stein abhängig gemacht hatte. Der hatte es gewagt, öffentlich Kritik zu äußern und wurde daraufhin suspendiert. Obwohl der Verein weder davor noch danach einen annähernd ähnlich guten Keeper unter Vertrag hatte. Zudem befand sich die Eintracht auf dem dritten Tabellenplatz - eigentlich kein Grund, die Nerven zu verlieren.

Kurze Zeit später brachte Trainer Jupp Heynckes das Kunststück fertig, aus einem Titelanwärter einen Abstiegskandidaten zu machen. Drei Spitzenspieler wurden von ihm wegen mangelnder Fitness aus dem Kader geworfen. Der Macher des Wiederaufstiegs, Horst Ehrmanntraut, musste vergangenen Herbst seinen Stuhl räumen. Alle bescheinigten Ehrmanntraut gute Arbeit. Mit der Mannschaft gab es keine Differenzen, der Tabellenplatz war der Leistung angemessen und gab keinen Grund zur Besorgnis. Aber er und der kurz zuvor verpflichtete Sportdirektor Gernot Rohr hatten einfach nicht dieselbe Auffassung von Fußball - in Frankfurt Grund genug für einen Rausschmiss.

Eintracht-Fan zu sein bedeutet aber, leidensfähig zu sein. Und durch kaum etwas wirklich erschüttert werden zu können. Weder durch Mitgliederversammlungen, auf denen unliebsame Redner schon mal kurzerhand per Faustschlag an einer Fortführung ihres Vortrages gehindert wurden, noch durch Präsidentschaftskandidaten, die einander im ZDF-Sportstudio beschimpfen. Da wäre es ganz nett, wenn der sportliche Erfolg diese Dinge wenigstens kompensieren würde ...

Der letzte Erfolg datiert aus dem Jahr 1988, als die Eintracht den DFB- Pokal zum vierten Mal gewann. Das ist allerdings schon elf Jahre her, und es ist ja auch nicht so, dass vor jenem Pokalsieg ein Titel nach dem anderen eingeheimst wurde. Immerhin, in der 1989er Saison wurde mit Spielern wie Stein, Bein, Yeboah, Binz, Weber, Gründel und Möller der "Fußball 2000" zelebriert. Fünf Jahre, bis 1994, spielte man regelmäßig um die Meisterschaft, um dann aber doch wieder bloß in Schönheit zu sterben und leer auszugehen.

1992 erlebte die Mannschaft in Rostock beim letzten Saisonspiel die Fußball-Hölle. Dem Titel näher als jemals zuvor, verloren sie mit 2:1. Bis heute halten sich in Frankfurt Verschwörungstheorien über das Spiel. Geholfen hat's nicht - der VfB Stuttgart wurde Meister. Spätestens seit diesem Zeitpunkt sollte jeder Eintracht-Fan wissen, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Titelgewinn mehr miterleben wird. Das ist ein hartes Los; aber sein Fan-Sein kann man ja nicht einfach so abschütteln: Fan ist man - oder eben nicht. Und den Verein einfach so zu wechseln kommt überhaupt nicht in Frage.

Aber vielleicht macht diese Unbeständigkeit und das daraus resultierende Leiden gerade den Reiz dieser Mannschaft aus. Wäre doch langweilig, wenn man jedes zweite Jahr Meister werden würde. Man könnte sich kaum noch über die jeweiligen Titel freuen, wenn man routinemäßig auf Siegerpodesten herumstehen würde und Pokale in Empfang nähme. Aber einmal, wenigstens einmal, würden auch wir gerne Meister werden.