Blindflug in Jakarta

Kaum war Abdurrahman Wahid überraschend zum neuen Präsidenten Indonesiens gewählt, flogen auch schon die Fetzen. Enttäuschte Anhänger von Megawati Sukarnoputri lieferten sich heftige Straßenschlachten mit Polizei und Armee.

Kaum war Abdurrahman Wahid überraschend zum Präsidenten gewählt worden, flogen in Jakarta schon Molotow-Cocktails und Steine, Autos wurden angezündet und Geschäfte geplündert, die so genannten Ordnungkräfte - 60 000 Soldaten und 40 000 Anti-Riot-Polizisten standen anlässlich der Wahl in der Hauptstadt bereit - setzten Tränengas und Gummigeschosse ein. "Sieg oder Revolution", forderten die enttäuschten Anhänger von Megawati Sukarnoputri. Und Stanley Roth, beim US-State Departement für die Beziehungen zur Ostasien und Pazifikregion zuständig, zeigte sich besorgt: "Die nächsten 24 Stunden sind ziemlich kritisch." Die Alternative war klar: Megawati oder Mega-Riots - wie es in verschiedenen Presseerzeugnissen hieß. Die Börsenkurse plumpsten in den Keller.

Schon einen Tag später - nachdem Megawati Sukarnoputri, die Vorsitzende der PDI-P zur Vizepräsidentin gewählt worden war - flauten die Proteste ab. Auch auf der Urlaubsinsel Bali war es wieder ruhig, wie die Behörden freudig bekannt gaben. Für Touristen bestehe keine Gefahr. Tags zuvor hatten Megawati-Anhänger dort Gebäude angezündet und Straßenblockaden errichtet.

Bis zur Präsidentenkür selbst galt Megawati als sichere Siegerin. Bei den Parlamentswahlen Anfang Juni hatte die PDI-P 34 Prozent der Stimmen erreicht und stellt seitdem die größte Fraktion in der Volksversammlung. Aber nur ein Teil der Abgeordneten wird direkt gewählt; der Rest wird von Armee, Provinzen und besonderen Interessengruppen ernannt. Der in Sydney erscheinende Daily Telegraph titelte etwas voreilig: "Habibie ist aus dem Rennen: Megawati beginnt, Indonesien zu regieren."

Die eigentliche Kandidatenwahl erfolgte in den Hinterzimmern. Habibie hatte keine Chance mehr, als die Beratende Volksversammlung mit den Stimmen der Golkar-Partei seinen Rechenschaftsbericht ablehnte, während vor dem Gebäude Studenten gewaltsam protestierten. Die Ablehnung des starken Mannes, Armee-Chef Wiranto, als sein Vizepräsident zu fungieren, gab ihm schließlich den Rest. Nun will er sich offenbar philanthropischen Zielen hingeben. Einer seiner Berater sagte, der Ex-Präsident wolle in der Habibie-Stiftung für Menschenrechte arbeiten.

Nach seinem Rückzug schienen Megawatis Chancen zu steigen. Aber ihre Weigerung, am politischen Kuhhandel teilzunehmen, und ihr populistischer Appell an das Parlament der Straße ließ sie dem politischen und militärischen Establishment suspekt erscheinen. Ein Frau als Präsidentin in dem Staat mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung war wiederum für die islamischen Parteien kaum akzeptabel. Und so stand dem Erfolg von Wahid nichts mehr im Weg. Der sammelte die Stimmen der islamischen Parteien, die Amien Rais zu einem islamischen Block vereint hatte, die Stimmen der Golkar-Partei und des Militärs, übertrumpfte im zweiten Wahlgang Megawati mit 60 Stimmen Vorsprung und wurde neuer Präsident.

Das neue Führungsgespann Abdurrahman-Megawati wird nun international als Erfolg der Reformpolitik in Indonesien gefeiert. Anders als Wahids Vorgänger Habibie haben sie dem im vergangenen Jahr zurückgetretenen Diktator Suharto nicht als Minister gedient, sondern verstanden sich als Oppositionspolitiker. Und kaum wurde die Wahl Megawatis zur Vizepräsidentin bekannt, zeigten sich auch die Investoren erfreut. Die Sukarno-Tochter gilt als Garantin für die Umsetzung der IWF-Auflagen; nach ihrer Wahl zur Vizepräsidentin stiegen die Börsenkurse wieder. Ihr wirtschaftspolitischer Berater Laksamana Sukardi gehörte früher zum Führungsstab der Citibank.

Bedenklich erscheint allerdings der Gesundheitszustand des Präsidenten Wahid mit dem Spitznamen Gus Dur. Der 59jährige ist fast blind und hat bereits zwei Schlaganfälle hinter sich. Deswegen wird schon jetzt spekuliert, dass der neu gewählte Amtsinhaber während seiner Amtszeit zurücktreten und dann seine Stellvertreterin weiterregieren wird. Zudem gilt er als unberechenbar - was sich in dem Witz widerspiegelt: Bei drei Dingen kann man sich nie sicher sein: Beim Leben, beim Tod und bei Gus Dur.

Offenbar wird das taktische Gespür des vierten indonesischen Präsidenten unterschätzt. In der Vergangenheit ist der PKB-Chef, der zugleich auch die Nahdlatul Ulama - mit rund 30 Millionen Mitgliedern stärkste islamische Organisation des Landes - anführt, vor allem durch seine wechselnden Allianzen aufgefallen. So galt er bis 1997 als durchaus Suharto-konform und suchte den Kontakt zur Oppositionspolitikerin Megawati erst, als die Proteste gegen das repressive Regime deutlich zunahmen. Vorher unterhielt er rege Kontakte zum Suharto-Clan und bemüht sich auch nach dem Sturz des über 32 Jahre herrschenden Diktators noch um ein gutes Verhältnis zur Suharto-Tochter Siti Hardianti Rukmana, die mehrere große Firmen besitzt. Daneben sind seine Beziehungen zum bürokratischen Apparat und vor allem zur Armee auch nicht die schlechtesten.

Über seine Bündnispartnerin Megawati, mit dessen PDI-P er bereits vor den Parlamentswahlen eine Zusammenarbeit vereinbarte, soll sich Wahid nach Angaben der Washington Post abfällig geäußert haben: "Obwohl sie dumm ist, ist sie beliebt." Und damit nützlich.

Mit Unterstützung durch den islamischen Block des Reformers Amien Rais und von Golkar und TNI zugleich, kann sich das Duo Abdurrahman-Megawati als "Regierung der nationalen Einheit" präsentieren - den einflussreichsten Gruppen verdanken sie ihre Macht. Die Frage ist nun, mit welchen Kabinettsposten für welche Gruppe sie sich erkenntlich zeigen werden.

Bisher ist nicht ersichtlich, welche Rolle die Armee dabei spielt. Nach Einschätzung von William Dowell, Jakarta-Korrespondent des US-Magazins Time, war Armeechef Wiranto mit seiner Taktik zuletzt sehr erfolgreich: "Wiranto hat sich damit begnügt, Habibie als Frontmann für einige unpopuläre Entscheidungen zu benutzen." Eigentlich habe aber er die Geschicke des Landes bestimmt, so Dowell. Seit dem Suharto-Abgang geriet Wiranto - zugleich auch Verteidigungsminister - jedoch wiederholt ins Visier der indonesischen Protestbewegung, die insbesondere die Machtstellung der TNI angriff.

Die neue Regierung wird die Armee noch gebrauchen können. Nachdem die Volksversammlung nun der Unabhängigkeit Ost-Timors zugestimmt hat, könnten sich in anderen Regionen separatistische Tendenzen verstärken. In Irian Jaya und Aceh gibt es bereits Bewegungen, die sich von Jakarta lossagen und lieber ihren eigenen Staat mit eigenen politischen und wirtschaftlichen Elite wollen. Am Freitag demonstrierten rund 10 000 Studenten in Ujung Padang für die Ausrufung eines unabhängigen Ost-Indonesien. Sulawesi, Irian Jaya, Timor und das einträgliche Bali sollen nach dem Willen der Demonstranten dazugehören, die Barrikaden errichteten und mit der Stürmung des örtlichen Flughafens drohten.

Zudem ist der wirtschaftliche Spielraum der neuen Regierung minimal. Ohne das 43 Milliarden Dollar schwere Rettungspaket, das mit IWF, Weltbank und anderen Agenturen 1997 wegen des Asien-Crashs ausgemacht wurde, ist ökonomisch nichts zu machen. Kürzlich haben IWF und Weltbank die Auszahlung weiterer Kredit-Tranchen gestoppt - wegen des Verdachtes, Jakarta wolle den Bank Bali-Skandal unter den Teppich kehren, in den Teile der Golkar und Personen aus dem engsten Umfeld Habibies verwickelt sind.

Das Paket ist außerdem mit harten politischen Auflagen verknüpft. Das Ziel des indonesischen Staates in diesem Jahr ist deshalb hoch gesteckt: kein größeres Haushaltsdefizit als 5,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Aber einige zig Milliarden dürften allein dabei draufgehen, das marode Bankensystem und hoch verschuldete Unternehmen vor dem Kollaps zu retten.

Da ist guter Rat teuer - und riskant. Die New York Times zitierte Mari Pangestu, eine Ökonomin am Center for Strategic and International Studies in Jakarta: "Sie müssen die Ausgaben reduzieren, einschließlich einiger heikler Subventionen, wie etwa Brennstoff." Brennstoff wird in Indonesien vor allem zum Kochen benötigt. Als Indonesien das letzte Mal - im Mai 1998 - unter IWF-Druck die Brennstoffsubventionen beschnitt, kam es zu heftigen Riots. Kurz darauf war Suharto nur noch Ex-Diktator.