Kampf um öde Orte

Die israelische Siedler-Bewegung versucht, vor den Verhandlungen mit den Palästinensern über den Endstatus zu retten, was zu retten ist.

Manchmal haben die Orte noch nicht mal einen Namen. Nur eine administrative Bezeichnung wie Hügel 804, Hügel 827 oder Punkt 52/51 macht deutlich, dass es sich um mehr als ein einfaches Stück Land in der palästinensischen Halbwüste handelt. Häufig stehen lediglich Geräteschuppen, Wachtürme oder Wassertanks herum, kein Mensch lebt hier.

In anderen Fällen, beispielsweise auf Hügel 777 nahe Itamar, sind es gerade mal sieben Familien - rund 30 Menschen -, die dort leben. Mehr werden es nur, wenn wie in der vergangenen Woche israelische Sicherheitskräfte samt Sattelschlepper und Kran anrücken, um diese öden Orte noch öder zu machen. Alle Häuser sind so gebaut, dass sie sich als Einheit abtransportieren lassen.

Schließlich haben sich im Abkommen von Sharm el Sheikh (Wye II) Israels Premier Ehud Barak und der Chef der palästinensischen Autonomiebehörde, Yassir Arafat, geeinigt: Sicherheit und Frieden für Israel gegen Land und Autonomie für die Palästinenser. Im nächsten Jahr sollen die Endstatus-Verhandlungen zwischen beiden Seiten beginnen. Da mit den Streitpunkten Wasserversorgung und Jerusalem - als künftige Hauptstadt Palästinas oder als unteilbare Stadt, die zu Israel gehört - genügend Probleme zu erwarten sind, soll bis dahin alles andere geregelt sein. Vor allem das Thema Siedlungen.

Aber es sind nicht nur israelische Soldaten, Polizisten und Umzugshelfer, die anrücken. Plötzlich sind auch mehr Siedler da. Aktive der Dor Hahemshech (Nächste Generation), ein Zusammenschluss verschiedener Jugendorganisationen der Siedler-Bewegung, kommen, um passiven Widerstand zu leisten. Gegen die Räumung einer der illegalen Siedlungen. Aber auch gegen den Beschluss von Yesha, des Rates der Siedler in Judäa, Samaria und Gaza.

Denn Yesha übernimmt, unterstützt von den Sicherheitskräften, die Evakuierung von sechs Siedlungen in der Westbank. Ganz so, wie es in einer Vereinbarung mit Ehud Barak steht - Aufgabe der illegalen Außenposten gegen staatliche Unterstützung für die legalen Siedlungen. Außenposten nennen die Siedler neue Siedlungen, die als Ableger einer alten entstanden sind. Auch der allein auf einem Hügel stehende Wasserturm ist ein Außenposten. Der Begriff umschreibt gleichzeitig die Maxime, dass einmal genommenes Land israelisches Land ist. Und bleibt.

Um die Gesamtzahl israelischer Siedlungen seit 1967 streiten sich zur Zeit der palästinensische Unterhändler Saeb Erekat und Danny Yatom, ein Berater von Barak. Wo Erekat mehr als 3 000 Einheiten gezählt haben will, sind es für Yatom gerade mal 1 800, "die alle legal aufgestellt wurden", wie er der Palästinensischen Autonomiebehörde in einem Schreiben mitteilte.

Allein in der Westbank geht es um 42 Außenposten, die zu 144 Siedlungen gehören. Alle Außenposten wurden bereits im vergangenen Jahr mit dem Abkommen von Wye Plantation als illegal eingestuft. Dennoch legalisierte Baraks Vorgänger Benjamin Netanyahu 26 von ihnen und stellte sie unter den Schutz des israelischen Staates. Vier weitere bekamen den Segen des neuen Premiers, zwölf sollen nun geräumt werden.

Dutzende jüngerer Siedler und theologischer Seminaristen verschanzten sich deswegen am Dienstag vergangener Woche hinter Steinbarrikaden am "Außenposten Berg 804", den die Siedler Shvut Rahel II nennen: "Wir werden den Abriss der Siedlungen und eine Evakuierung der Juden nicht zulassen", erklärte Avi Cohen, einer der Siedler des Berges. Schien es zuerst, dass so eine Räumung unmöglich gemacht würde - die israelischen Sicherheitskräfte haben angekündigt, erst ab Anfang November auch mit Gewalt gegen Blockierer vorzugehen - konnte zwei Tage später doch noch geräumt werden. Von als Umzugshelfer tätigen Bau-Unternehmen, die vom Staat bezahlt, aber von Yesha organisiert werden.

Yesha hatte das Gespräch mit den Aktiven von Dor Hahemshech gesucht - erfolgreich, wie ein Sprecher erklärte. Kritiker des Abkommens zwischen Barak und Yesha gehen hingegen davon aus, dass beide Organisationen eine gemeinsame Strategie verfolgen: Dor Hahemshech würde durch seine Aktionen Yesha bei der Regierung eine bessere Verhandlungsposition verschaffen.

Und: Die Siedlerbewegung wird zum permanenten Gesprächspartner Baraks, der ursprünglich Distanz zu dieser Ansammlung von religiösen Fanatikern und Ultra-Konservativen halten und allein mit ihrer parlamentarischen Vertretung, der mitregierenden Nationalreligiösen Partei (NRP), verhandeln wollte. Gleichzeitig wartet die israelische Friedensbewegung noch immer auf ihr erstes Gespräch mit dem seit Juli regierenden Premier.

Hinzu kommt, dass Kompensationsregelungen für die Siedler innerhalb der Regierungskoalition mittlerweile auch von denen begrüßt werden, die sie bislang ablehnten. Der Knesset-Abgeordnete Anat Maor von der liberalen Meretz - einer gleichermaßen neoliberalen wie laizistischen Partei, die den Einluß aller religiösen Organisationen strikt begrenzen will - setzte sich in der vergangenen Woche erstmals für Kompensationszahlungen an Siedler ein. Wer seine Wohnung oder seine Geschäftsräume verlegen müsse oder bereits verlegt habe, solle in Zukunft großzügig entschädigt werden.

Der Siedlerrat Yesha zeigt sich gegenüber diesem Vorschlag noch unentschieden: Zwar ist man froh, dass die von Evakuierungen Betroffenen Geld erhalten sollen, doch überwiegt die Angst vor einem Ausverkauf des eigenen Projekts. Was wäre, wenn immer mehr Siedler das Angebot annehmen würden und die Siedlungen - anstatt zu wachsen - kleiner würden?

Dass es ein gemeinsames Vorgehen der Siedler tatsächlich gibt, zeigt sich zur Zeit bei der für die Räumung vorgesehenen Ma'on Farm südlich von Hebron: Die Bewohner sowie zahlreiche Angehörige der Siedlerbewegung brachten vergangene Woche einfach eine "heilige Thora-Rolle" in die Synagoge des Ortes. Somit ist ihnen die Unterstützung aller religiösen und konservativen Parteien sicher. Die Räumung musste vorerst verschoben werden.

Eine für die nächsten Wochen geplanten Kampagne der Siedler gegen illegale palästinensische Siedlungen in Judäa, Samaria und vor allem im arabisch dominierten Osten Jerusalems scheint ebenfalls für eine gemeinsame Strategie zu sprechen. Und doch lassen sich auch Unterschiede beim Vorgehen der Siedlerbewegung erkennen. Hanan Porat, NRP-Abgeordneter in der Knesset, kündigte am vergangenen Montag an, sein Mandat abzugeben.

Parlamentarisch sei sein Kampf für "Erez Israel" nicht zu gewinnen, zumal sich nach der NRP nun auch noch Yesha habe integrieren lassen. Seine Partei müsse sich entscheiden, ob sie in einer Regierungskoalition verbleiben wolle, welche den Gründungskonsens der NRP - die Besiedelung der Westbank durch Israelis - so radikal in Frage stelle.

Nicht nur die Räumung der Siedlungen ist es, die Porat erschreckt, sondern vor allem die zur Zeit anhaltende Diskussion um die zukünftige Grenze zwischen Israel und einem palästinensischen Flickenteppich, der sich daran macht, Staat zu werden. Selbst Ehud Barak unterstützt mittlerweile den Plan, eine deutlich sichtbare Grenze zum Gaza-Streifen und zu den palästinensischen Gebieten in der Westbank aufzubauen.

Die israelische Tageszeitung Ha'aretz legte vergangene Woche einen detaillierten Plan der Grenzbefestigungen vor: Danach sind Zäune, Wachtürme, ständige Patrouillien sowie 15 bis 18 Übergänge vorgesehen. Die Errichtung einer festen Grenze aber, das weiß Porat eben so gut wie die anderen Siedler, würde den Status quo festschreiben, den weder die NRP noch Yesha und erst recht Dor Hahemshech nicht will. Zumal dann der Trick, einfach neue Siedlungen oder Außenposten zu errichten und einen Teil davon, wie in jüngster Zeit geschehen, zu opfern, damit die anderen legalisiert werden, nicht mehr funktionieren würde.