Letzte Ausfahrt Hamburg

Bei Otto jetzt im Angebot: Die Hamburger Morgenpost. Das ehemals sozialdemokratische Boulevardblatt wurde zum dritten Mal verkauft.

"Tintenpisser": Als es im Zeitungsgewerbe noch Schriftsetzer und Metteure gab, war das ihr Ausdruck für den journalistischen Nachwuchs. Vor dem Chefredakteur hatte man Respekt, sagt Gerd-Peter Hohaus, seit 25 Jahren Redakteur bei der Hamburger Morgenpost, aber vor der Elite der Schwarzen Kunst fürchtete man sich. Orthografie und Grammatik beherrschten sie allemal besser als jeder Redakteur. Und neben ihrer Professionalität glänzten viele von ihnen mit einem unschlagbaren Allgemeinwissen. Hohaus: "Für heranreifende 'Tintenpisser' war es überlebenswichtig, sich mit diesen Kollegen gut zu stellen. Im Grunde waren es gutmütige Menschen. Wenn man gelernt hat, dass Bier die bleihaltige Luft neutralisieren konnte."

Seit Hohaus bei der Morgenpost arbeitet, musste er mit der Zeitung zwei Mal umziehen, er hat um die 20 Chefredakteure erlebt und wurde vergangene Woche zum dritten Mal verkauft. Vom Verlag Gruner+Jahr (G+J) an die beiden Erben Hans Barlach und Frank Otto. Der Chefredakteur der Springer-Zeitung Hamburger Abendblatt giftet in einem Kommentar: "Der Verkauf des Traditionstitels an zwei Amateure ist eine verlegerische Bankrotterklärung." Wird die Morgenpost also demnächst von zwei Tintenpissern regiert?

Früher war die SPD Eigentümerin der Mopo, wie das Blatt in Hamburg genannt wird. Zu ihren besten Zeiten fand die älteste Boulevard-Zeitung der Republik 400 000 Käuferinnen und Käufer. Im Jahr 1980 verkaufte die SPD die Mopo an die Schweizer Verlegerfamilie Greif. Von der Innenstadt zog die Redaktion in den Stadtteil Bahrenfeld in die Nähe einer Autobahnauffahrt. Dort ist sie noch heute in einem verwinkelten Altbau untergebracht. "Wir sind so weit weg vom Schuss, wir merken gar nicht, wenn der Rathausturm umfällt", sagt Hohaus, und: Die Mopo sei sozusagen die letzte Zeitung vor der Autobahn. Auch zu den Schweizern fällt ihm nichts Gutes ein: "Die machten, was sie von Haus aus konnten - Löcher! Aber nicht in den Käse, sondern in die Haushaltskasse der Mopo."

1986 wollte der Hamburger Hochglanzverlag G+J in das Tageszeitungsgeschäft einsteigen und kaufte die Mopo. Wegen der manchmal bizarren Themenwahl der diversen Chefredakteure - u. a. der ehemalige Regierungssprecher Conrad Ahlers und der heutige Ministerpräsident von NRW, Wolfgang Clement - erzählte man sich, das Blatt könne täglich das Hamburger Telefonbuch nachdrucken und werde trotzdem gekauft.

Dieser Witz wurde jetzt umgedeutet: "Wir bringen den Otto-Katalog als Fortsetzungsgeschichte" oder: "Die Mopo heute mit der dicksten Beilage, die es je gab!" Frank Otto ist Erbe des gleichnamigen Versandhauses und hält Beteiligungen an mehreren privaten Radio- und TV-Stationen. Sein Partner ist der Galerist und Immobilienkaufmann Hans Barlach, Enkel des Bildhauers Ernst Barlach.

Otto und Barlach wollen jetzt das bewerkstelligen, was dem Großverlag in 13 Jahren nicht gelang: die Mopo in die Gewinnzone führen. Mit detaillierten Zahlen hält man sich im Mediengewerbe zurück. "Oberhalb einer siebenstelligen Summe" liege der Verkaufspreis, sagte G+J-Vorstandschef Gerd Schulte-Hillen. Um die 140 Millionen Mark soll der Verlag in das Blatt gesteckt haben. Durchgesickert ist, dass Barlach und Otto fünf Millionen Mark auf den Tisch geblättert haben. Ein völlig überhöhter Preis, sagen Branchenkenner und mutmaßen, dass Gruner+Jahr die Bilanzen geschönt habe.

Auch beim Mutterkonzern Bertelsmann wird hart kalkuliert, Vorstandschef Thomas Middelhoff gilt als kühler Rechner. "Wir trennen uns von allem, was sich nicht rechnet", sagte er kürzlich. Gern verdient man sich noch ein paar Mark mit dem Verkauf eines defizitären Teilbereichs dazu. Täglich 140 000 verkaufte Mopos waren dem Verlag zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.

Die Hiobsbotschaft kam für die Redaktion kurz nach den Feiern zum 50. Geburtstag der der Mopo. Die meisten Redakteurinnen und Redakteure waren bereits zu Hause, als die Nachricht den Spätdienst erreichte: Verlagsgeschäftsführer Bernd Buchholz bestätigte am vergangenen Mittwoch der eilig zusammentelefonierten Redaktion den Deal. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Springer-Blätter Bild-Hamburg, Welt und Hamburger Abendblatt schon Wind von der Sache bekommen und platzierten die Geschichte in ihren Donnerstags-Ausgaben.

Wie wollen Barlach und Otto schaffen, was G+J in 13 Jahren nicht geschafft hat? Schlüssige Konzepte konnten die beiden noch nicht vorlegen. Vielleicht, so Schulte-Hillen lapidar, sei die Mopo in den Händen eines mittelständischen Unternehmens besser aufgehoben als bei einem Großverlag. Barlach jedenfalls übt seit einem Jahr das Zeitungsmachen: Der 43jährige kaufte die bankrotte Wochenzeitung Hamburger Rundschau und funktioniert diese gerade zu einem Kultur- und Veranstaltungsblatt um. Ansonsten ist über ihn bekannt, dass er auf VIP-Partys ein gern gesehener Gast ist, sich um den Nachlass seines Großvaters kümmert und Kunst und Immobilien sammelt. An der eigens für den Kauf der Mopo gegründeten "City Boulevard-Betriebsgesellschaft" hält er ein Drittel, die anderen zwei Drittel gehören Otto.

Seine Erbschaft, angeblich 60 Millionen, hat Otto in die Beteiligungen an privaten Hörfunk- und TV-Sendern gesteckt. Zur Frank Ottos Mediengesellschaft gehören der TV-Sender Hamburg eins und die Radiostationen Fun-Radio 95 (Hamburg), Kiss FM (Berlin), Delta Radio (Kiel) und Elbewelle (Dresden). Der 42jährige ist Hobbymusiker. Schmächtige Statur, halblanges blondes schütteres Haar, ein Dauergrinsen und eher nachlässig gekleidet - ein wenig erinnert Otto an den gleichnamigen Komiker. Der Hamburger Medienkritiker Miklos Pataky charakterisierte ihn in einem Porträt der Mopo vom 4. Januar dieses Jahres als einen, "der schon immer aus den Reihen tanzte". Er würde für seine Sache "hart und kompetent" kämpfen, habe aber mit einem Manager so viel gemein wie "Verona Feldbusch mit einer Soldatin der Heilsarmee".

Redakteur Hohaus findet an Otto Gefallen. Mit dessen unkonventionellem Herangehen an den Markt und seiner politischen Geradlinigkeit könnte es gelingen, wieder einen Kurs einzuschlagen, der eine echte Alternative zu den Springer-Blättern biete. Seinem Ex-Arbeitgeber wirft er vor, journalistische Qualität und Kontinuität zur Nebensache degradiert zu haben: "Leserinnen und Leser wurden zu Zehntausenden durch alberne Optikspielereien und die Abkehr von der linksliberalen Grundeinstellung hin zu neoliberalem Schnickschnack weggegrault."

Otto hat bereits angekündigt, dass er den "sozialliberalen Kurs der Mopo stärken" möchte. Mit der seit einem Jahr amtierenden Chefredakteurin Marion Horn hat Otto "erst wenige Minuten" geredet. Horn hat sich entschieden, "vorerst hier zu bleiben", schließlich arbeite sie gern mit einer so "hoch motivierten, leidenschaftlichen und leidensfähigen Redaktion" zusammen.

Die Redaktion, die sich nach Umstruktierungen erst kürzlich von rund 20 Kollegen und Kolleginnen trennen musste, ist tatsächlich einiges gewöhnt und übt sich in Gelassenheit. In der Freitagsausgabe teilte sie den Lesern "in eigener Sache" mit: "An den Fakten können wir nichts ändern, also sollten wir uns bedanken. Für 13 Jahre Know-how eines Großverlages, aber auch für neun Chefredakteure und eben so viele unterschiedliche Konzepte (...) Wir wünschen Frank Otto und Hans Barlach eine glückliche Hand - und Herrn Schulte-Hillen und Assistenten 'good financial times'!" Demnächst will Gruner+Jahr mit einer deutschen Financial Times den Markt der Wirtschaftspresse aufmischen.