Im Zweifel für die Wehrmacht

Verbissen recherchierten die Kritiker nach Fehlern des Hamburger Instituts für Sozialforschung. An ihre eigene Arbeit legten sie weniger strenge Maßstäbe an.

Bogdan Musial hat mehr Mut als die meisten seiner deutschen Zunftkollegen", freute sich vergangene Woche einer, dem das Lob für einen Polen sonst nicht so leicht über die Lippen kommt: der Republikaner-Vorsitzende Rolf Schlierer. Und weil er schon einmal antinational gestimmt war, wetterte er gleich weiter gegen seine Landsleute: "Bezeichnend für den Stand der deutschen Geschichtswissenschaft" sei es, "dass ausgerechnet ein polnischer Historiker die Ausstellung 'Verbrechen der Wehrmacht' des so genannten Hamburger Instituts für Sozialforschung als bewusst geplante Diffamierung einer ganzen Soldatengeneration entlarvt" habe.

Das zeigt immerhin, dass der Ober-Rep den Aufsatz des ehemaligen Solidarnosclers und heutigen SPD-Mitglieds Musial auch wieder nicht für so bedeutend hält, als dass er sich die Mühe gemacht hätte, ihn zu lesen. Dass die Wehrmacht "an Verbrechen, besonders im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und auf dem Balkan, zum Teil massiv beteiligt war", das steht nämlich auch für Musial außer Frage. "Das eigentliche Thema der Ausstellung", erklärt Musial, sei "hier nicht Gegenstand der Untersuchung."

So wenig wie Musial das Lob haben die deutschen Geschichtswissenschaftler die Schelte Schlierers verdient. Zwar nahm etwa der Berliner Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz die Ausstellung in Schutz. Dafür wurde er aber auch prompt vom "Nationalen Infotelefon" zum Abschuss freigegeben. Zu einem längeren Zitat sowohl am Nationalen Infotelefon als auch in der Pressemitteilung der rechtsradikalen Partei brachte es dagegen Horst Möller, der Direktor des offenbar nicht nur so genannten Münchener Instituts für Zeitgeschichte und Mitherausgeber der Institutsschrift Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, wo Musials Aufsatz "Bilder einer Ausstellung" erschien. Möller stellte Heer gleich in eine Reihe mit Adolf Hitler. Wie Hitler habe Heer "diesen Einhämmerungseffekt" beabsichtigt, erklärte Möller der interessierten Leserschaft des Focus. Die These, die Wehrmacht sei "insgesamt ein Instrument des Verbrechens" gewesen, erklärte Möller schlicht für "falsch".

Noch klarer hatten diese These nur die rund 5 000 Neonazis formuliert, die am 1. März 1997 mit der Parole gegen die Ausstellung demonstrierten: "Unsere Großväter waren keine Verbrecher, und wir sind stolz auf sie!" In kaum einer der 30 Städte, in denen die Ausstellung gezeigt wurde, blieben solche Anfeindungen aus. Jede Ausstellungseröffnung bot den Anlass für die Mobilisierung der gesamten rechten Szene von CSU bis Stiefel-Faschos. Anmelder der Aufmärsche zumeist: Die Nazi-Partei NPD oder ihre Sturmabteilung Junge Nationaldemokraten.

Auf dem Bahnhof der sächsischen Nazi-Metropole Wurzen bewarfen 50 Faschos Anfang 1998 einen Zug mit Steinen, in dem Linke zu der Ausstellung nach Dresden fuhren, es folgte eine Schlägerei. Ein Jahr später kam es in Kiel zu einer Massenschlägerei zwischen Nazis, die gegen die Ausstellung aufmarschierten, und linken Gegendemonstranten, die versuchten, sie zu schützen. In Stuttgart bereitete die "Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditionsverbände e.V." eine Argumentationshilfe vor, mit der rechte Politiker veranlasst werden sollten, gegen die Ausstellung aktiv zu werden. In Erfurt attackierte der Nazi-Terrorist Manfred Roeder die Schautafeln mit Farbbeuteln, in Österreich drohte man nach Landessitte mit Bomben. Und in Saarbrücken wurde in der Nacht zum 9. März dieses Jahres versucht, gleich die ganze Ausstellung in die Luft zu jagen.

1 433 Fotos zeigt die Wehrmachtsausstellung. Bei neun davon meint Musial nachweisen zu können, dass sie nicht Verbrechen der Wehrmacht zeigen, sondern solche des sowjetischen Geheimdienstes NKWD. Der historische Hintergrund: Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 mussten sich die Sowjets teilweise so schnell zurückziehen, dass der NKWD Schwierigkeiten hatte, seine Gefangenen zu evakuieren. Unmittelbar nach der sowjetischen Besetzung der polnischen Osthälfte im September 1939 hatte der NKWD eine groß angelegte Verhaftungsaktion gegen polnische Nationalisten, bürgerliche und rechte Politiker und jüdische Intellektuelle gestartet. Nach dem deutschen Überfall kamen Kriegsgefangene und so genannte Volksdeutsche dazu.

Am 24. Juni 1941 erteilte NKWD-Chef Lawrentij Berija einen Geheimbefehl, "konterrevolutionäre Elemente unter den Gefängnisinsassen" kurzerhand zu erschießen. Die Folge waren zahlreiche Massaker im gesamten Frontgebiet. Die Toten wurden meist nur notdürftig in der Nähe der Gefängnisse verscharrt oder einfach liegen gelassen. Auf ihrem Vormarsch, so Musial, hätten die Deutschen regelmäßig solche Gräber öffnen lassen, um die Toten zu Propagandazwecken zu fotografieren. Dabei seien die meisten der Fotos entstanden, die er nun als falsch identifiziert habe. Dass seine Untersuchung gerade mal 0,6 Prozent der Ausstellung betrifft, stellt für Musial kein Problem dar: "Die Konsequenzen für die Ausstellung" seien "gravierender, als es dieses quantitative Verhältnis zunächst vermuten lässt". Denn bei den betreffenden Fotos handele es sich "um sehr aussagekräftige Fotos, die für die Ausstellung (...) von großer Bedeutung sind".

Für die sogenannten Zloczow-Fotos trifft das mit Sicherheit nicht zu. Die fünf Fotografien verbergen sich im hintersten Teil des Ausstellungskatalogs, wo weitgehend unkommentiert im Kleinformat - jeweils neun Bilder auf einer Seite - zahlreiche Fotografien veröffentlicht werden, bei denen meist eine genaue örtliche Zuordnung nicht mehr möglich war. Dennoch bezeichnet Musial sie als "besonders aufschlussreich" und verwendet elf Seiten - mehr als ein Drittel seiner Arbeit - darauf, die fehlerhafte Zuordnung dieser Bilder zu diskutieren.

Musial, das steht außer Frage, war fleißig, und seine Kritik ist berechtigt. Die Frage ist nur, ob das die Grundthese der Ausstellung berührt - dass die Wehrmacht am Holocaust beteiligt und eine verbrecherische Organisation war. Bei zwei der Zloczow-Fotos wird angegeben, dass der Ort nicht bekannt sei. Zu drei weiteren heißt es: "Gebiet Kiew, Ukraine." Und diese Angabe ist falsch. Musial kann beinahe lückenlos nachweisen, dass die Fotos kurz nach dem deutschen Einmarsch in der Zitadelle der damals ostpolnischen Kleinstadt Zloczow, einem ehemaligen NKWD-Gefängnis, entstanden und die Exhumierung von rund 700 ermordeten Häftlingen zeigen.

Wie daraus eine Entlastung der Wehrmacht konstruiert werden soll, bleibt allerdings unklar, zumal, wie Musial eher beiläufig erwähnt, die Jüdinnen und Juden, die von den Nazis gezwungen worden waren, die Leichen auszugraben, sich danach in die offenen Gräber legen mussten und unter dem Schutz der Wehrmacht von Ukrainern und Einheiten der Einsatzgruppe C erschossen wurden. In der Folge wurde die gesamte, 10 000 Menschen zählende, jüdische Bevölkerung der Kleinstadt ermordet.

Prominenter stehen im Katalog die so genannten Tarnopol-Fotos. Musial und der Münchener Historiker Dieter Schmidt-Neuhaus monieren, drei dieser vier Fotos zeigten gar keine Nazi-Opfer, sondern ebenfalls vom NKWD ermordete Häftlinge. Sie verschweigen allerdings, dass der Katalogtext den Vorgang genauso darstellt wie die von ihnen befragten Zeitzeugen: Die Nazis holten die NKWD-Opfer aus dem Keller des Gefängnisses, lasteten die Morde den Juden an und lösten so ein Pogrom aus. Auf dem vierten Bild sind die Folgen dokumentiert: die erschlagenen Juden von Tarnopol am Fuß der Freitreppe vor dem Gerichtsgebäude der Stadt. Die angeblich falsche Zuordnung beschränkt sich tatsächlich darauf, dass nicht jede einzelne Leiche einer Opfergruppe zugeordnet wurde.

Zwei weitere Fotos untersuchte Musial; dabei kam er zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Wie viele Fotos er geprüft und für richtig befunden hat, erwähnt er nicht. Noch haarsträubender argumentiert Musials Kollege Kriszti?n Ungv?ry, ein junger ungarischer Militärhistoriker, der seinen Beitrag in der dem Verband der Geschichtslehrer angegliederten Monatsschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht veröffentlicht hat.

In dem elfseitigen Aufsatz wimmelt es vor Unterstellungen gegenüber den Ausstellungsmachern, falschen Behauptungen und willkürlichen Auslegungen von Begriffen. Einmal argumentiert Ungv?ry rechtspositivistisch, nach der Haager Landkriegsordnung sei die Hinrichtung von Partisanen erlaubt. Ein andermal meint er, die bloße Anwesenheit bei einem Verbrechen, ohne es zu verhindern, sei ja wohl noch keine Straftat. Der einzige Rechtsgrundsatz, den Ungv?ry zu kennen scheint, ist offenbar: im Zweifel für den Angeklagten.

Mehrfach zitiert er zustimmend die prominenten revisionistischen Historiker Alfred de Zayas und Wolf Stoecker. Ungv?rys Buch "Die Schlacht um Budapest" erschien im rechten Herbig-Verlag und ist im Buchdienst der Jungen Freiheit erhältlich, der Autor stand dem faschistophilen Blatt auch für ein langes Interview zur Verfügung.

In einigen Fällen ist freilich auch dem Uniformspezialisten Ungv?ry der Nachweis gelungen, dass es sich auf Fotos der Ausstellung nicht um Soldaten der Wehrmacht handelt, sondern um solche der verbündeten Armeen aus Ungarn und Finnland, deren Uniformen große Ähnlichkeit mit denen der Hitler-Armee hatten.

Gewiss sind solche Erkenntnisse peinlich für die Ausstellungsmacher. Die zentrale These der Wehrmachtsausstellung stellen sie jedoch in keiner Weise in Frage. In der deutschen Öffentlichkeit wird die Reputation der Wehrmacht nach der Kapitulation des Hamburger Instituts für Sozialforschung nicht sinken. Und dafür sind die Hamburger mitverantwortlich: der Ausstellungsleiter Hannes Heer, weil er sich weigerte, sich mit Musials Einwänden auseinander zu setzen. Aber auch Institutschef Jan Philipp Reemtsma, weil er mit der Schließung der Ausstellung deren konservativen und rechtsradikalen Gegnern, denen es um nichts weniger geht als um die Rehabilitierung der deutschen Wehrmacht, indirekt Recht gegeben hat.

Schon fordern rechte Historiker wie der Bonner Geschichtsprofessor Klaus Hildebrandt im Einklang mit den Ausstellungsgegnern bei FAZ und Focus, die Dokumentation für alle Zeit zu schließen.