Riot in Noerrebro

Zornige Migranten

In kürzester Zeit waren auf einer Strecke von einigen Hundert Metern sämtliche Geschäfte, Banken, McDonald's und kleine Pizzabars demoliert. Ungefähr 30 vermummte Jugendliche verwandelten letzte Woche den Kopenhagener Stadtteil Noerrebro in ein Schlachtfeld. Hunderte Schaufenster an der Hauptstraße Noerrebrogade gingen dabei zu Bruch, Autos wurden umgekippt oder gleich abgefackelt. Brennnende Müllcontainer legten den Verkehr lahm.

Vor allem Jugendliche aus Migrantenfamilien des Viertels hatten sich an den Straßenkämpfen beteiligt. Anlass für ihren Zorn war der Ausweisungsbeschluss gegen einen 23jährigen Türken. Wegen seiner Drogenabhängigkeit war Ercan Cicek wiederholt straffällig geworden - nun soll er nach Ablauf seiner dreijährigen Haftstrafe in die Türkei abgeschoben werden. Cicek ist in Dänemark geboren und lebt hier mit seiner gesamten Familie. Seine Abschiebung wäre die erste Ausweisung eines Ausländers aus Dänemark in ein Land, mit dem der Betroffene - außer der Staatsbürgerschaft auf dem Papier - faktisch nie etwas zu tun hatte.

Möglich wird diese Abschiebepraxis erst durch ein unlängst beschlossenes Gesetz, mit dem die sozialdemokratisch-liberale Regierungskoalition gegen die sogenannte "Jugendkriminalität im Migrantenmilieu" vorgehen will. Ein Gesetz, das selbst von zahlreichen dänischen Juristen als eklatanter Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention bezeichnet wird. Entsprechend kündigte Ciceks Anwalt an, den Fall wenn nötig vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu bringen, um die Abschiebung seines Mandanten zu verhindern.

Kein Wunder also, dass die Jugendlichen der zweiten Migrantengeneration die geplante Abschiebung als offene Kampfansage verstanden haben. Ihre heftige Reaktion stieß jedoch in Noerrebro, dem Kreuzberg Kopenhagens, nicht nur auf Zustimmung. Zwar applaudierten letzte Woche viele Bewohner den Straßenkämpfern. Es gab aber auch Unverständnis darüber, dass die Auseinandersetzungen im eigenen Viertel ausgetragen wurden und nicht dort, wo die "Reichen" ihre Geschäfte haben. Außerdem befürchtet die autonome Szene, dass Konservative jetzt die Gelegenheit nützen könnten, um erneut Stimmung gegen das selbst verwaltete Jugendzentrum Ungdomhuset zu machen. Dem Zentrum droht zur Zeit die Räumung.

Der Riot von Noerrebro war auch das zentrale Thema in der dänischen Presse. Kritisiert wurde dabei vor allem das Verhalten der Polizei. Denn diese war erstaunlicherweise erst nach zwei Stunden mit Hundertschaften und gepanzerten Wagen angerollt, um unter Einsatz von Tränengas die Straßenkämpfer zu zerstreuen. Den Beamten gelang es dabei gerade mal, einen Demonstranten zu verhaften. Die Polizei begründete ihren späten Einsatz mit Personalmangel. Zudem seien die Ausschreitungen "sehr gut" geplant gewesen.

Trotz der großen Schäden wurde bei den Straßenkämpfen lediglich ein Pressefotograf verletzt - ganz anders als bei den letzten schweren Zusammenstößen 1993, als die Polizei in Noerrebro Schusswaffen gegen Demonstranten einsetzte. Damals waren Autonome nach der Volksabstimmung über den dänischen EU-Beitritt auf die Straße gegangen.