Alternative Lebensformen

Das Ende der Trennkost

Wenn in den letzten Tagen in Kreuzberg, Neukölln, Tempelhof und angrenzenden Bezirken von der "Wiedervereinigung" gesprochen wurde, war nicht das kollektive Coming-out der Ossis vor zehn Jahren gemeint, sondern was Wichtiges: die Wiedervereinigung der Lebensmittelabteilung bei Karstadt am Hermannplatz. Rund ein Jahr hatte die umbaubedingte Teilung gewährt; Produkte, die unbedingt zusammengehören, wie Nudeln und Ketchup, Zwieback und Tee, Wasser und Wein, wurden auseinandergerissen und auf A- und B-Zone verteilt, nur, dass man nie wissen konnte, wo welches Lebensmittel gerade versteckt gehalten wurde, da die wöchentliche Umverteilungspolitik des Hauses für Außenstehende nur schwer zu durchschauen war.

Nur Insider wussten zwischen Frischabteilung (A) und Bierabteilung (B) grob zu unterscheiden und behielten einigermaßen die Übersicht. Der Kauf von etwas Büroproviant - Beispiel: ein Apfel (A), eine Dose Cola (B) - konnte allerdings trotz guter Ortskenntnisse schon mal leicht zu einer halbstündigen Angelegenheit werden, denn die Krönung jedes Einkaufs, das Anstehen an der Kasse, durfte man bei Trennkost-Karstadt ja gleich zweimal miterleben. Immerhin war es gestattet, den Einkaufswagen von einer in die andere Zone zu überführen und die gefüllte Karstadttüte des ersten Kaufs zum zweiten mitzunehmen. Die Möglichkeiten, einen extrem billigen Einkauf zu tätigen, waren ungezählt.

Es war halt nicht alles schlecht. Auf der Transitstrecke, die durch variable Stellwände, hinter denen es hämmerte und brummte, begrenzt wurde, begegneten einem zumeist verwirrte oder fluchende Leute. Das waren die, die A- und B-Abteilung bereits durchlaufen hatten, in B aber feststellen mussten, dass die Erdnusslocken neuerdings in der Frische-Zone (A) untergebracht sind. Bei einem durchschnittlichen Wochenend-Einkauf - zwei warme Mahlzeiten, Frühstück, Snacks, Getränke für zwei Personen - kamen Ungeübte im Handumdrehen auf fünf A- und vier B-Durchläufe.

Selbst die anfangs eingesetzten Supervisoren, deren Aufgabe darin bestand, hilflose Personen aufzugreifen und diese in eine für sie einkaufstechnisch sinnvolle Zone zu überführen, waren offenbar überfordert und wurden wieder abgezogen. Zu den schwierigsten Aufgaben gehörte es, die sich im gesamten Erdgeschoss auftuenden toten Gänge frühzeitig als solche zu erkennen, ansonsten - die Beschilderung half da kaum weiter - konnte es passieren, dass man auf dem Weg in die Weinabteilung geradewegs in einem U-Bahn-Schacht landete. Tödliche Unfälle muss man in C, den wiedervereinigten Lebensmittelabteilungen von Karstadt, nicht mehr befürchten; finden, was man sucht, wird man allerdings auch nicht.

Aber Teilung und Wiedervereinigung der Lebensmittelabteilung sind Schnee von gestern. Für Silvester plant Karstadt bereits einen neue Coup, die Kreuzberger Mega-Fete zu "Wahnsinns"-Preisen oben auf der Parkterrasse. Andere mögen den Jahrtausend-Wechsel auf der Chinesischen Mauer oder dem Empire State Building feiern, wie langweilig! Aber Millenniums-Party bei Karstadt am Hermannplatz, auf dem Parkdeck!, das hat Glam.