Kutschma bleibt Präsident der Ukraine

Part of the Show

Von München bis New York ging es wieder mal um Schicksalswahlen: Kapitalismus oder Barbarei. "Wird die Ukraine als souveräner Staat überleben, in dem eines Tages die Prinzipien von Demokratie und Marktwirtschaft gelten?" fragte sich z.B. Thomas Urban, Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung.

Wie im Märchen hat sich das Gute nach einigen Rückschlägen am Ende durchgesetzt. Der Amtsinhaber Leonid Kutschma gewann mit rund 60 Prozent deutlich. Nun will er, damit Demokratie und Marktwirtschaft richtig auf Touren kommen, das Parlament auflösen und Neuwahlen anberaumen, denn entscheidungsfreudige Regierungen brauchen "stabile Mehrheiten" in der Volksvertretung.

Die alte Paranoia vor dem Kommunismus, der von den gestandenen Kalte-Kriegs-Berichterstattern seit Jahr und Tag in die westlichen Gazetten und Hirne projiziert wird, nahm auch die mit dem Kutschma-Klan assoziierte Presse dankbar auf - obwohl das rote Teufelchen in den GUS-Staaten längst seinen Schrecken verloren hat.

Die antikommunistische Hysterie brachte bei der Stichwahl am vorletzten Sonntag nochmal erstaunliche 75 Prozent Wahlbeteiligung, obwohl ein konsequenter Richtungswechsel gar nicht zur Debatte stand. Selbst die als Radikalsozialistin bezeichnete Natalia Witrenko, die im ersten Durchgang jede zehnte Stimme erhielt, bewegt sich im Rahmen des derzeitigen Systems, so ein Kiewer Meinungsforschungsinstitut, das nicht als linke Hochburg bekannt ist.

KP-Chef Petro Simonenko wiederholte vergeblich gegenüber dem Westen, dass er nichts Böses im Schilde führe: "Jedes unabhängige Land hat das Recht, seine Partner und Allianzen frei zu wählen. Es ist bekannt, dass wir zu schwach sind, um der EU beizutreten. Deshalb müssen wir unsere Zusammenarbeit mit unserem natürlichen Partner, der Russischen Föderation, die mit uns über Sprache, Geschichte und Religion verbunden ist, ausweiten. Niemand hat von einem neuen Staat oder einem Militärbündnis gegen den Willen der Nation gesprochen."

So werden staatliche und militärische Bündnisse in die pluralistische Demokratie eingepasst. Jeder kann mit jedem koalieren, grundsätzliche Differenzen gibt es nicht. Nur von den Umständen hängt es ab, welche Partei sich mit welchem Regime und internationalem Bündnis zu einem Interessenverband zusammenfindet.

Der Westen hat entschieden, dass er mit Kutschma arbeitet, nicht mit Simonenko. Der eine ist Kopf einer Partei-Clique, der andere stützt sich eher auf die Medien, sobald Wahlen anstehen. Ohne moralisches Unterscheidungskriterium allein gelassen, packt der bürgerliche Ideologe die Bastelbögen von früher aus, um einen Konflikt und seine Wichtigkeit überhaupt plausibel zu machen.

An die Stelle der hegemonialen Clique der kommunistischen Partei trat seit der Perestroika ein System sich bekämpfender Gruppen, Cliquen und Banden. Simonenko und Kutschma wollen beide "Korruption und Mafia" bekämpfen - d.h. die gegnerischen Banden.

Was geopolitisch interessant sein mag - ob sich die Ukraine nach Moskau und Minsk oder nach Warschau, Berlin, Brüssel und Washington orientiert -, ist für ukrainische Wähler eher part of the show. Man hat sich dran gewöhnt, seinen Teil zum Gelingen des Spektakels beizutragen. An Veränderungen durch den Wahlzettel glaubt niemand wirklich. Das war früher nicht anders.

Die Wahl ist der Initiationsritus der Demokratie, bei der man zeigen muss, dass man sich restlos mit der Macht identifiziert, von der man geschlagen wird. Bei dieser Prüfung darf man, wie bei jeder, ein bisschen bluffen, man glaubt einfach nicht an sie. Doch dieses Ritual besagt nur, dass man auch an nichts anderes glaubt. Der Sinn ist, zu demonstrieren, aufgegeben zu haben.