Der Du bist im Nichts

»Willkommen, Bob«: Juan Carlos Onettis grausame Erzählungen.

Das Sein erscheint im Scheitern.« Es ist nicht allein ihre perfekte Prosodie, die Karl Jaspers' Formel so einprägsam macht. Glatte Sätze vergisst man bald. An diesem reizt gerade der Widerspruch zwischen der Eleganz der Fügung und seinem möglichen Inhalt: Das Scheitern bewirkt keine Erscheinung, schon gar nicht die eines abstrakten »Seins«. Das Scheitern ist Slapstick, a stick to slap you in the face.

Man scheitert niemals elegant; das Leben ist eine blutige Farce, der Tod ein bitterer Scherz. Eben darum beeindrucken die Schriftsteller so sehr, die uns dieser grausamen Komik - des, sagt Schiller, »bald langsam untergrabenden, bald schnell überfallenden Verderbens« - dadurch aussetzen, indem sie ihr Größe geben. Der aus Uruguay stammende Juan Carlos Onetti ist einer dieser Schriftsteller, die sich nicht kleiner als das Leben machen.

In Onettis Texten erscheint das Sein im Scheitern, auch wenn seine Figuren von Anfang dem Gefühl Ausdruck verleihen, »gescheitert zu sein, bevor uns die Stunde schlägt« (»Magda«, Ffm. 1989). Aber, »Figuren«, das ist vielleicht schon zuviel behauptet. Auch wenn das Personal von Onettis Erzählungen aus immer denselben Honoratioren und Huren, Bewohnerinnen und Bewohnern der fiktiven Stadt Santa Mar'a - dem Kosmos eines vom Glauben abgefallenen Katholiken - besteht, Figuren sind sie nur in einem schwachen Sinn.

Der nihilistische Arzt D'az Grey, der verbitterte Korrektor Lanza, die in einem träumerischen Wahnsinn befangene Moncha Insaurralde und der über allem und allen thronende Erbauer der Stadt, Juan Mar'a Brausen - man erkennt sie wieder, oder besser: man glaubt ihre Nähe zu spüren, aber sie sind keine naturalistischen Plastiken. Sie verleugnen niemals, Ausgeburten des Texts zu sein. Von einem zum anderen Moment verschwinden sie wieder in ihm.

»(Eine) Rauchleiste schnitt ihr durchs Gesicht«, »(sie) verbarg mit dem Kopf, mit der Spitze der Wollmütze den ausgebleichten Krug, den auf dem Plakat der Bierstube ein schnurrbärtiger Gringo hochhielt«. Dieses Foregrounding, Backgrounding löst mögliche Personen auf. Onetti wechselt die - auch grammatische - Perspektive, er verlässt vorzeitig den Schauplatz, ja, er lässt häufig bewusst offen, wo dieser Schauplatz liegen könnte und wer auftritt, er verwischt im entscheidenden Moment und wird peinlich genau in Kleinigkeiten. Onetti verabscheut Personen, er meidet Handlung. Aber er ist überaus interessiert an der Unmöglichkeit von Personen, an der Unmöglichkeit von Handlung. Und diese Unmöglichkeiten spielt er durch.

Es geht also nicht ums Erzählen, sondern um die Möglichkeit des Erzählens. Das gilt für alle reflektierten Erzähler des Jahrhunderts. Onetti sticht hervor durch die Besessenheit, mit der er auf diesem Punkt beharrt. Er ähnelt dem von den Militärs enteigneten Jorge Malabia, der einen Privatdetektiv beauftragt, dem Schicksal der Geliebten nachzuspüren (»Dasein«). Der Detektiv liefert die Elemente zu immer neuen lasziven Geschichten; aber Onetti, der Detektiv, Malabia und schließlich auch der Leser wissen, dass diese Geschichten völlig fiktiv sind, denn die Geliebte ist - vermutlich - von den neuen Machthabern ermordet worden. Nicht länger als unbedingt nötig beschäftigt sich der Text mit dieser Vermutung, dafür verbohrt er sich in das Imaginäre, das mit Schmerz gemischte Genießen der Trennung vom Anderen. Malabia glaubte von jeher, das »Glück« der Geliebten »zu erfinden»; es bleibt ihm nun nichts anderes, als mit diesen Erfindungen fortzufahren.

Es geht immer nur um das Sagbare. Und das Sagbare (das notwendig Fiktive) bestimmt sich stets durch das Nicht-Sagbare (das kontingente Leiden). »Sein Leben und er selber«, heißt es in »Das Haus in den Dünen«, »waren schon nicht mehr als jene Erinnerung, die einzige, die es verdiente, heraufbeschworen und korrigiert zu werden, die es verdiente, daß ihr Sinn immer wieder verfälscht wurde.« Dass ihr Sinn nicht zu treffen ist, ist selbstverständlich. Das Verstehen begründet sich in der Trennung vom Zu-Verstehenden.

Trennung ist die Voraussetzung von Besessenheit: Eine Frau schickt ihrem Mann und bald auch Bekannten des Mannes Fotografien, die sie mit fremden Männern im Bett zeigen. So formuliert Onetti Liebe; die Liebe des Mannes, die Liebe der Frau, das Erinnern, das Vorstellen, das Auskosten des Imaginären. »Warum nicht, dachte er schließlich, warum nicht akzeptieren, daß die Fotografien, ihre sorgfältige Vorbereitung, ihre pünktliche Sendung, derselben Liebe entstammen, derselben Fähigkeit zur Sehnsucht, derselben angeborenen Treue.« Man darf nicht unterschlagen, dass die Frau den Mann mit dieser Liebe umbringt. Die Besessenheit ist die Voraussetzung der Zerstörung.

Die Zerstörung, das Scheitern, zeichnen sich gleich ab, aber sie erscheinen dennoch langsam, sie wachsen mit jedem Satz. Die Stunde schlägt dem Scheiternden, aber jedes Mal, und selbst noch, wenn man eine Erzählung zum zweiten oder dritten Mal liest, überrascht das Ausmaß an Grausamkeit. Ein Alptraum von Befreiung, mit der eine Erzählung beginnt, wird an ihrem Ende zur »Sekunde durch Hirn« der Frau, die sich mit dem Revolver des Mannes in den Kopf schießt. Niemals ist man vorbereitet, das zu lesen.

Die Figuren selbst, die sich doch im Gefühl des Scheiterns eingerichtet zu haben scheinen, stehen verwundert vor dem, was ihnen widerfährt. »Und möglicherweise betet er Nacht für Nacht, weinend und auf Knien, zu Vater-Brausen-der-Du-bist-im-Nichts, um ihn zum Zwangskomplizen zu machen, um ihn in seine Ränke zu verwickeln, ohne ein wirkliches Bedürfnis, aus einem dunklen Drang nach künstlerischer Verfeinerung.« Der das über ein bigottes Gegenüber denkt, D'az Grey, ist selbst das Geschöpf des Gottes Brausen, des Errichters der Stadt, er ist die Kreatur des Autors. Aber er nimmt sich die Freiheit, diesem grausamen Gott die Gefolgschaft zu verweigern - ihm sogar die Grausamkeit abzusprechen.

Gott Autor erinnert an jenen Schöpfer in Lautréamonts Gesängen, der an den Knochen der von ihm Gemordeten nagt, um dann auszurufen: »Ich habe euch geschaffen; also habe ich das Recht, mit euch zu machen, was ich will. (...) Ich lasse euch leiden, und zwar zu meinem Vergnügen.« Die selbstquälerische Lust am Zu-Grunde-Gehen der Geschöpfe, d.h. der imaginären Anderen, ist in Onettis Universum die einzig denkbare Zuwendung.

Mit der Vorstellung vom Autor als Gott-im-Nichts verweist Onetti auf die radikalste Ausformung der mystischen Idee einer creatio ex nihilo: dass »Gott das Nichts sei« (G. Scholem). Hier ist, mit der Onetti eigenen Bosheit, die Erfahrung festgehalten, dass die Erzählung (vom Anderen), nach der man so verlangt hat, einem, wenn sie erzählt ist, als Fremdes, Totes entgegentritt, als Schrift. Die Schöpfung selbst fällt zurück ins Nichts; und es sind ironischerweise die Geschöpfe, die das ihrem Schöpfer sagen: »Die Wege Brausens waren für uns immer rätselhaft.« Nehmen wir an, D'az Grey versucht zu lesen, was ihm geschieht und wer hinter all dem steht. Und nehmen wir weiter an, Juan Mar'a Brausen versucht zu lesen, was er geschaffen hat. Sie würden nicht glauben, was ihnen unter die Augen kommt. Das Kind erkennt den Vater nicht, und der Vater verstößt sein Kind, weil er es nicht für sein eigenes hält.

»Das Sein erscheint im Scheitern.« An diesem Satz fasziniert, dass er nichts bedeutet, aber einen Schwarm von Bildern anzieht. An der Erzählung, an der Liebe faszinieren, dass sie unmöglich sind, aber gerade dadurch dem Imaginären Raum geben. Es scheitern in den Spiegelungen (vor allem Selbst-Spiegelungen) dieser contes cruels keine konkreten Personen - als ob das vorstellbar wäre -, sondern die immer neu unternommenen Anstrengungen, vom Scheitern der Anderen zu erzählen. Das muss man als Zärtlichkeit begreifen. Es bedeutet gleichzeitig eine seltene Grausamkeit eines Autors gegen sich selbst.

Denn niemand handelt grausamer gegen sich als der Autor, der sich - schreibend - selber liest. Und kaum ein Text ist mehr des Lesens wert als einer, der sich selbst zu lesen begonnen hat. In jedes Bild, jede Wendung Onettis fließt die Erfahrung des Schreibens ein. Im Schreiben erscheint das Scheitern.

Juan Carlos Onetti: Willkommen, Bob. Gesammelte Erzählungen. Aus dem Spanischen von Jürgen Dormagen, Wilhelm Muster und Gerhard Poppenberg. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1999, 452 S., DM 49,80