Pick and Puck

Country ist vertonte Provinz und nur akzeptabel, wenn der Cowboy Kinky Friedman heißt.

Warum ausgerechnet Country-Musik bei vielen Menschen so beliebt ist, die ansonsten weder politisch noch lebenstechnisch in irgendeiner Form verdächtig sind, gehört zu den großen ungelösten Menschheitsfragen. Denn eigentlich ist Country, neben Dixieland, der wohl überflüssigste und spießigste Musikstil überhaupt - vertonte Provinz eben.

Und wenn es schon sein muss, dann bitte nur von Frauen gesungener Country. Denn schließlich können Männer nur eine einzige Sache besser als Frauen, und das ist, ihren Namen in den Schnee zu pinkeln - aber abendfüllend ist das auf keinen Fall. Und so ist das ländliche Herumgejaule nur halbwegs erträglich, wenn es von Frauen vorgetragen wird - Dolly Parton und Tammy Wynette rule okay. Songs wie »Stand by your man« sind trotz eindeutiger Zugehörigkeit zum Country-Genre auch für Landmusik-Hasser absolut großartig, und auch Nancy Sinatra hatte einige gute Momente. Dann hört's aber auch schon auf mit akzeptabler Country-Music.

Einzige männliche Ausnahme ist Kinky Friedman. Der ehemalige Sänger der schon lange aufgelösten US-amerikanischen Band The Texas Jewboys (größter Hit: »They Ain't Make Jews Like Jesus Anymore«) ist aber in erster Linie als Krimiautor bekannt geworden. Sein Held Kinky, der stark autobiografische Züge aufweist, stolpert immer wieder über Leichen, und während er das Verbrechen bekämpft, erzählt er aus seinem Leben. Oder aus dem seines Autors? »Meinen Country-Music-Gigs stand ich in letzter Zeit einigermaßen ambivalent gegenüber, und ich war zu dem Schluss gekommen, dass jemand, der das Wort ambivalent verwendet, wohl von vorneherein kein Countrysänger hätte werden sollen«, schreibt Friedman in »Gürteltier und Spitzenhäubchen«.

Der wahre Kinky Friedman tourt aber auch immer mal wieder als Country-Sänger durch die Welt. Und so kommen, als Friedman am vergangenen Donnerstag im Berliner ColumbiaFritz auftritt, natürlich zunächst die Country-Klons der Stadt - die mit den Cowboyhüten und Fransenjacken. Betont breitbeinig stehen sie vor Konzertbeginn im Foyer herum, rauchen Marlboro und unterhalten sich in einem nur Eingeweihten verständlichen Slang. Jeder, der nicht angezogen ist wie ein US-amerikanisches Landei, betritt den Club daher nur zögerlich, denn es kann ja nicht ganz ausgeschlossen werden, dass man sich in der Location geirrt hat und nun mitten in der Jahreshauptversammlung des Berlin Rednecks e.V. gelandet ist.

Ist man nicht. Obwohl es nicht nur so aussieht, sondern sich auch verdammt so anhört. Über die Saal-Lautsprecher läuft Country der allerunerträglichsten Sorte. Solcher, bei dem eine Männerstimme ohne große Höhepunkte zur Steelguitar schmachtet, bei dem der schmalzige Refrain von Geigen untermalt wird, und dann ist das Stück zu Ende, und das nächste beginnt, oder vielleicht ist es doch wieder dasselbe, wer weiß das schon.

Schließlich ist damit Schluss, und ein schwarz gekleideter Cowboy mit einem großen, gelben Davidstern am Gitarrenband und einem großen Bierglas in der Hand, betritt die Bühne. Der Texaner Kinky Friedman beginnt sein Konzert umstandslos, stellt kurz den Begleitmusiker vor und legt los. Er gilt als einziger jüdischer Country-Musiker und deswegen als Ausnahme-Erscheinung, ganz so, als seien die ersten Cowboys ausschließlich Christen gewesen. Waren sie nicht, im Gegensatz zu den Jahrzehnte später das Landleben verherrlichenden Musikern - Country gilt bis heute als reine Wasp-Veranstaltung.

Musikalisch unterscheidet sich Friedman nicht groß von seinen Wasp-Kollegen, denn die von ihm gespielten Melodien sind ebenso einfallslos: Dröge Pumpumpums und langweilige Bjoingbjoingbjoings wechseln einander ab. Die Texte sind dagegen sehr speziell. Wie der von »Ol'Ben Lucas«, den Friedman im Alter von elf schrieb, »als ich mit meiner kleinen Yamulke auf dem Kopf in der Garderobe für meine Bar Mizwa übte«. »Ol'Ben Lucas« ist ein Song über ein bisher wenig vertontes Hobby - das Nasenpopeln. »He'd pick and puck/ 'til it made you sick/ But back again it grows«, heißt es da.

Das Berliner Publikum singt die Geschichte vom kleinen Nasebohrer Ben Lucas auswendig mit - in Friedmans Büchern sind schließlich die meisten Songtexte abgedruckt. Außer der vom »Riding Jewboy«, den anscheinend keiner kennt, und der auch nicht besonders begeistert bejubelt wird: »I'm with you boy/ even if I got to ride six million miles/ How long will you be driven by the Hitlers of the world?«

Zwischendurch erzählt Friedman Storys aus seinem Leben, und es scheint so, als wären viele der Zuhörer eher wegen dieser Dichterlesung mit angeschlossenem Konzert gekommen. Natürlich kennen sie die Geschichten aus Friedmans Büchern, wie die vom Friedenskorps, für das der Singer/Bookwriter ab dem Jahr 1968 in Borneo als landwirtschaftlicher Berater arbeitete: »Ich sollte unter den Eingeborenen flussaufwärts Saatgut verteilen. Allerdings schickte mir das Friedenskorps in zweieinhalb Jahren kein einziges Samenkorn. Schließlich musste ich mich damit begnügen, meinen eigenen Samen zu verteilen, was ein ziemlich unangenehmes Nachspiel hatte.« Es folgen Pumpums und Bjoingbjoings, und dann erzählt Friedman wieder aus seinem Leben. Kurz zuvor war er in Österreich aufgetreten, und auf seiner Reise hatte er auch ein Besichtigungsprogramm absolviert: »In 90 minutes we saw Mozart's birthplace, Hitler's birthplace, Arnold Schwarzenegger's birthplace - the story of mankind in less than two hours.«