Det, Gretel und die Fernsehfee

Der Anfang vom Ende der TV-Werbung. Ein Apparat killt Mainzelmännchen und Herrn Kaiser.

Werbung, das war früher das, was zwischen den Mainzelmännchen lief. Wen interessierte die dämliche Clementine, wen die blöde Kuh von der Atrix-Handcreme-Werbung, wen der zugegeben niedliche Teddy von der Bärenmarke-Reklame? Und wen der Gardinen-Gilb, gegen den nur Fakt mit der Super-Waschkraft - damals hießen aus unerklärlichen Gründen Waschmittel so wie heute Magazin-Sendungen - half?

Wer brauchte ein Sandmännchen, wo es doch den schlaue Det und seine Freunde, den nimmersatten Anton, den fleißigen Berti, den musischen Conni, den schelmischen Edi und das sportliche Fritzchen gab?

Niemand. Die Mainzelmännchen waren sogar bei den Erziehungsberechtigten, die sonst abfällig vom »Konsumterror« sprachen, sehr beliebt, denn Det & Co. bewirkten, dass der Nachwuchs Ruhe gab.

Manchmal, wenn man ganz viel Glück oder bloß pflichtvergessene Eltern hatte, dann schaffte man es sogar, solange vor dem Fernseher sitzen zu bleiben, bis gegen 19 Uhr die »Kapriolen« kamen. Dieses umständliche Wort bedeutete einen richtig langen Auftritt der Mainzelmännchen, einen, in dem sie viel sprachen und Abenteuer erlebten wie das, in dem sie einen von einem bösen Wilderer gefangenen Hirschen retteten. Diese Kapriolen dauerten einige Minuten und wurden, was das Allerbeste war, nicht von Werbung unterbrochen. Und danach konnte man getrost schlafen gehen, denn so viel war klar, etwas Besseres würde man an diesem Tag im Fernsehen nicht mehr erleben können.

So hätte man in Ruhe groß werden können, wenn nicht eines Tages Pädagogen eine extended Mainzelmännchen-Diskussion begonnen hätten. Was sie genau wollten, verstand man zwar nicht, aber im Großen und Ganzen ging es darum, dass die Serie unrealistisch sei, weil die Gnome keine Frau hatten. So ein Blödsinn! Zum einen lief doch schon immer mal wieder der Spot, in dem sich eines der Männchen ein Weibchen malt und mit ihm dann Hand in Hand wegläuft, und zum anderen wusste doch jedes Kind, dass manche Männer einfach gar keine Frau wollten und auch ohne sehr zufrieden waren. Wie die Heinzelmännchen oder wie die Sieben Zwerge oder wie Onkel Thijs. Und wenn schon Frau, dann aber bitte Frauen, für jeden eine.

Die Pädagogen gaben schließlich auf und Ruhe, und die Mainzelmännchen durften auch weiterhin ohne weibliche Begleitung leben. Sehr gut, und das machte nun die Konkurrenz neidisch. Die bestand damals lediglich aus dem Ersten. Die ARD, die zunächst mit seltsamen grafischen Motiven zwischen den Werbefilmchen die kleinen Brüder und Schwestern der psychedelischen Flower-Power-Generation zu unterhalten gehofft hatte, brachte schließlich eigene Comic-Figuren heraus. »Ute, Schnute, Kasimir, jajaja, so heißen wir« waren klopsige Wesen, die natürlich absolut nicht an die Mainzelmännchen heranreichen konnten. Ihnen passierten ständig Dinge, die weder lustig noch spannend waren, und der kleine Kasimir stellte grundsätzlich hyperblöde Fragen, die für jeden in einem durchschnittlichen deutschen Kindergarten internierten normal entwickelten Dreijährigen den social suicide bedeutet hätten.

Ute, Schnute, Kasimir waren gleich drei Flops auf einmal. Und als sie irgendwann vom Bildschirm verschwanden, kam es in keinem einzigen Wohnzimmer zu lautstarkem Protestgeheul verzweifelter kleiner Fans, die sich weigerten, ins Bett zu gehen, ohne vorher von ihnen verabschiedet zu werden - die Mainzelmännchen hatten gewonnen.

Bis man zu alt für die inzwischen überdies abgeschafften Kapriolen wurde. Und es plötzlich viel mehr als nur ARD und ZDF zu sehen gab, denn private Fernsehsender kamen auf. Deren Reklameblocks gingen nahtlos ineinander über, und erschwerend kam das dort praktizierte besonders rüde Werben hinzu. Wo gerade noch der Spielfilm lief, spazierte auf einmal Herr Kaiser über den Bildschirm, was zunächst entsetzlich nervte. Durchschnittlich intelligente Fernsehzuschauer hatten jedoch bald das Schema heraus, nach dem bei den Privaten geworben wurde. Und auch die ungefähre Länge der Unterbrechungen, sodass man sich in der Zeit bei anderen Kanälen informieren konnte.

Wenn man es denn wollte, denn plötzlich galt Werbung als etwas unglaublich Hippes. Ganze Abiturklassen nannten statt Sozialpädagogik oder Germanistik plötzlich Design als angestrebten Studiengang. Die »Cannes-Rollen« liefen in den Kinos rauf und runter. Und kamen überdies selbst ins Fernsehen, dem Sender Tele 5 gelang es sogar, eine Cannes-Rolle mehrmals mit Werbung zu unterbrechen, weil niemandem in den reklametreibenden Firmen auffiel, wie sehr man mit dem eigenen biederen Pampers- und Spülmittel-Advertisement gegenüber den preisgekrönten internationalen Kunstwerken abstank. Unglücklicherweise versuchten erste deutsche Firmen danach, auch so lustig zu werden. »Frech kommt weiter, sagt Hubert«, hieß es plötzlich anstatt »Gretel, dein Kaffee ist ja wieder ein Genuss«, aber das half auch nur partiell, dann saß auch schon Til Schweiger neben einer mit einem Fußball Schwangeren in einem Auto.

Und die Klientel schaltete bei der Werbung wieder um. Was die Sender noch tückischer werden ließ: Mittlerweile kann man sich nicht mehr darauf verlassen, dass das vertraute Schema eingehalten wird, denn die Eigenwerbung für den großen Samstagsfilm bedeutet nicht mehr automatisch, dass es jetzt auch wirklich jeden Moment mit dem Programm weitergeht. Pro 7 dagegen schrägt seine Werbeunterbrechungen ganz besonders brutal in die Filme, nur notdürftig angekündigt von kurz eingeblendeten gelben Tafeln, auf denen so witzige Sprüche wie »Sitzenbleiben!« stehen. Und auch bei den anderen Sendern wird man jedesmal von der Reklame kalt erwischt.

Nun soll damit jedoch Schluss sein, wenn man der blonden pudelgelockten Ruhrgebiets-Schönheit glauben darf, die kürzlich in fast jedem Sender mindestens einmal ihre bahnbrechende Erfindung anpreisen durfte. »Fernsehfee« heißt das Gerät, das für alle Zeiten mit dem Werbeterror Schluss machen soll.

Der jetzt im Handel erhältliche Apparat funktioniert ganz simpel: Er ist mit der Zentrale verbunden, in der die Fernsehfee-Mitarbeiter vor TV-Monitoren sitzen und alle laufenden Programme beobachten. Sowie irgendwo die Werbung beginnt, senden sie ein Signal an alle Fernsehfee-Haushalte, die gerade den Sender eingeschaltet haben. Dort wird dann automatisch und sofort umgeschaltet. Auf welchen gerade werbefreien Kanal, bestimmen die einzelnen Teilnehmer vorher, indem sie ein ausführliches individuelles Sender-Ranking festlegen. Wird das Programm fortgesetzt, schaltet die Fernsehfee-Crew - sofern sie nicht eingeschlafen ist - automatisch ins ursprüngliche Programm zurück.

Was als unglaublich tolle Neuerung gefeiert wurde, auch in Sendern, die im Fernsehfee-Erfolgsfall unter Umsatzeinbußen zu leiden hätten, ist in Wirklichkeit jedoch bloß extrem überflüssig. Zum einen, weil die Privatsender meistens alle zur gleichen Zeit werben und man daher alle Teilnehmer gleich zum Schäfchenzählen auf Arte oder Autofahren auf dem ZDF schalten kann, und zum anderen, weil die Fernbedienung schon erfunden worden ist.

Und wer allen Ernstes die Mainzelmännchen wegschaltet, hat sie sowieso nicht mehr alle beisammen.