Sieg im Volkskrieg

Die Nato-Intervention war erfolgreich: Der Aufbau einer multi-ethnischen Gesellschaft im Kosovo ist von den Vereinten Nationen für gescheitert erklärt worden.

Es war ein ganz normaler Freitagabend. Neun Verletzte und ein Toter lagen auf dem Boden des Cafés, als die Kfor-Soldaten eintrafen. Sie kamen zu spät: Die Männer der internationalen Kosovo-Eingreiftruppe konnten am vergangenen Freitag gerade noch die Scherben und die Reste der zerborstenen Innen-Einrichtung auflesen, die Opfer zählen - und ihr Bedauern über den Anschlag auf das Kaffeehaus äußern.

Wie so oft seit ihrem sommerlichen Einmarsch in die serbische Provinz: Vermutlich zwei Angreifer, teilte die Kfor-Pressestelle in der Provinz-Hauptstadt Pristina am Tag nach dem Anschlag mit, hätten Handgranaten in das Café der im Südwesten des Kosovo gelegenen Kleinstadt Orahovac geschmissen. Danach seien sie geflohen, ohne von den Kfor-Männern identifiziert werden zu können. Wem der Angriff galt, ist hingegen klar: Die Opfer des Handgranaten-Anschlags waren allesamt - das berichteten die jugoslawische Nachrichtenagentur Beta und die Kfor-Pressestelle am Wochenende in seltener Einmütigkeit - Serben.

Und der Angriff auf das Café kein Einzelfall. Im Gegenteil: Attacken wie die vom vergangenen Wochenende zählen seit dem Sommer zum Nachkriegs-Alltag im völkerrechtlich immer noch zu Jugoslawien gehörenden Kosovo. Die Liste der nicht-albanischen Opfer im Süden Jugoslawiens wird von Tag zu Tag länger. Seit dem Einzug der Kfor-Truppen ist kein Wochenende vergangen, an dem nicht Roma, Juden, Serben oder Kroaten von Angehörigen der albanischen Bevölkerungs-Mehrheit angegriffen oder bedroht wurden. Ohne dass die Kfor oder die internationale Uno-Polizei es verhindert hätten: »Wir haben nicht erreicht, dass es keine Verbrechen hier gibt«, räumte Tom Koenigs, Uno-Verwalter für das Kosovo und langjähriger Kampfgefährte des deutschen Außenministers Joseph Fischer, vorletzte Woche gegenüber der Frankfurter Rundschau ein. Nur, um die Nato-Intervention gegen Jugoslawien doch noch zu rechtfertigen: »Es ist ja nicht so, dass nichts passiert wäre, wenn die Nato nicht eingegriffen hätte.«

Durchschlagender als die Kosovo-Albaner jedenfalls hätte das westliche Bündnis die Befreiung von der serbischen Staatsgewalt, die bis zum Sommer dieses Jahres das Sagen in der Provinz hatte, nicht organisieren können. Auch wenn die ehemaligen Soldaten der Kosovo-Armee UCK offiziell nicht mehr auftreten dürfen, halten sie außerhalb der Kontrolle von Kfor und Uno den kosovo-albanischen Kriegs-Konsens aufrecht: Serben raus aus der Provinz!

Eine Forderung, deren Umsetzung von den neuen Verwaltern fast nur noch dokumentiert wird. »Kosovo - gesehen und erzählt« lautet der Titel eines zweiteiligen Berichts, den die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) Anfang des Monats vorlegte (Jungle World, 51/99). Der erste Teil umfasst die Zeit vom Beginn der OSZE-Mission im Dezember 1998 bis zum Juni dieses Jahres. Im zweiten werden die Begründungen, mit der das westliche Angriffsbündnis im Frühjahr die Bombardierung Jugoslawiens einleitete, gründlich blamiert: Allein 150 Morde für die Zeit vom 12. Juni, dem Tag des Kfor-Einmarschs, bis zum 31. Oktober listet der Bericht auf. Die Dokumentation der »auf einem ethnischen Hintergrund beruhenden« Menschenrechtsverletzungen erstreckt sich über 135 Seiten - und »weckt Erinnerungen an die schlimmsten Praktiken aus der jüngsten Vergangenheit des Kosovo«.

Die zu beenden die Nato angetreten sein will. »Frieden setzt voraus, dass Menschen nicht ermordet, dass Menschen nicht vertrieben, dass Frauen nicht vergewaltigt werden«, hatte im Mai der deutsche Außenminister Joseph Fischer den Nato-Krieg auf dem Grünen-Sonderparteitag verteidigt. »Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen«, teilte Schröder am Tag des Kriegs-Beginns der deutschen Bevölkerung mit. »Damit will das Bündnis weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbinden und eine humanitäre Katastrophe verhinden.«

Ziele, die in Deutschland von einer rot-grünen Regierung durchgesetzt wurden, deren Mitglieder einst selbst gegen den Krieg der Nato-Hegemonialmacht USA in Vietnam demonstriert hatten - und nun mit dem Feind von damals zusammen Krieg führten: Leute wie der Uno-Verwalter Koenigs, der die vom Vater geerbte Million Anfang der siebziger Jahre dem Vietcong schenkte. Weshalb Kosovo zwar nicht Vietnam, die Nato aber doch so etwas wie der Vietcong ist, erklärte im Mai der Kommune-Herausgeber und Fischer-Berater Joscha Schmierer: »Sieg im Volkskrieg. Sozialismus. Inzwischen kann man wissen, dass die Verhinderung von Vernichtung und Vertreibung, die Geltung von Menschenrechten und Regeln der demokratischen Republik unter den Mitgliedstaaten der Uno revolutionär genug wäre. Wenn man schon vergleichen will, dann ist Kosovo das Vietnam Milosevics, ein hemmungsloser Anti-Befreiungskrieg, der im Unterschied zu damals nur auf die Bevölkerung zielt und auf keinen inneren Widerstand stößt.«

Sieg im Volkskrieg eben. Fischer und Bundeskanzler Gerhard Schröder mussten auf derart national-revolutionäre Begründungen für den Einsatz im Kosovo zwar verzichten. Um das Schreiben einer eigenen Geschichte, gespeist aus deutscher Gegenwart und nicht so sehr Vergangenheit, ging es ihnen trotzdem. »Ich stehe auf zwei Grundsätzen: Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz«, postulierte Außenminister Fischer auf dem Kriegs-Parteitag der Grünen den anti-totalitären Konsens der endlich zu Regierungs-Ehren gelangten 68er-Generation im Kampf gegen das Jugoslawien von Milosevic: »Nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus - beides gehört bei mir zusammen.« So wie das Deutschland des Jahres 1933 mit dem Serbien von heute.

Mit dem Unterschied, dass die Juden im Kosovo 1999 nicht von Serben vergast, sondern von Kosovo-Albanern vertrieben werden. Oder während des Krieges vor Nato-Bomben fliehen mussten, wie Aca Singer, Präsident des Bundes jüdischer Gemeinden in Jugoslawien im April beschrieb. Auch Ignatz Bubis, inzwischen verstorbener Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und selber Kriegs-Befürworter, ließ Fischer und Schröder den Auschwitz-Vergleich nicht durchgehen. »Dass es Deportationen gegeben hat, steht außer Frage; dass es Morde gegeben hat, steht außer Frage«, sagte er nach einem Monat Krieg der Jungle World. »Aber die Vergleiche mit dem Völkermord der Nazis, mit Auschwitz, sind nicht angebracht.«

Das sahen Schröder, Fischer und auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping von Beginn an anders. Dass vor dem Krieg nicht nach dem Krieg, und von Milosevics Truppen verübte Menschenrechtsverletzungen eben anders zu gewichten sind als die der UCK, zeigt nicht nur der OSZE-Bericht: Von der Einrichtung einer auch nur rudimentär parlamentarisch organisierten Demokratie ist das Kosovo weiter entfernt als vor Beginn des Nato-Krieges. Vom Aufbau, geschweige denn dem Erhalt einer »multi-ethnischen« Gesellschaft kann zum Jahresende keine Rede sein. »Der Krieg im Kosovo wurde gefochten, um die ethnischen Säuberungen zu beenden«, rekapitulierte die Washington Post nach der Veröffentlichung des Berichts die Nato-Argumentation. Nur um zu konstatieren: »Er bedeutete den Anfang einer neuen Runde von Gewalt und Terror, diesmal angeführt von den Albanern - gegen ihre serbischen, kroatischen, Roma- und muslimisch-slawischen Nachbarn.« Der Nato-Krieg, ein Sieg für die Menschenrechte? Fischer hielt auch letzte Woche an der deutschen Kriegs-Legitimation fest: Berlin werde weiter für einen »friedlichen, stabilen und multi-ethnischen Kosovo« eintreten.

Die Vereinten Nationen vorerst nicht mehr. Aus den verheerenden Erfahrungen des ersten halben Jahres ohne serbische Verwaltung zog Bernard Kouchner, Chef der Uno-Missions für das Kosovo (Unmik) und damit höchster Repräsentat des internationalen Protektorats, letzte Woche die Konsequenz: »Versöhnung und der Aufbau einer multi-ethnischen Gesellschaft sind heute nicht möglich, sondern müssen auf ein Morgen warten.« Kriegsziel nicht erfüllt: »Die Intervention der Nato im Kosovo sollte eine Minderheit - die Albaner - und die Menschenrechte der Unterdrückten und Verletzbaren schützen. Unsere Anstrengungen, dies auch für die heutigen Minderheiten - insbesondere die Serben - zu machen, sind teilweise gescheitert.« Künftig, so Kouchner, werde man sich eher an einem »Nebeneinander der Volksgruppen« orientieren.

Falls bis dahin außer sich albanisch definierenden noch andere Menschen im Kosovo übrig bleiben: 234 000 aus der Provinz nach Serbien oder Montenegro eingereiste Flüchtlinge zählte das jugoslawische Rote Kreuz bis Anfang letzten Monats.