Alle für einen

Mit dem Beginn der Ermittlungen gegen Helmut Kohl rückt der CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble ins Zentrum der Kritik. Der Kampf um die Macht in der Union hat begonnen.

William Clinton hat es überlebt, Felipe González konnte es nichts anhaben - und auch Helmut Kohl sammelte schon vor über anderthalb Jahrzehnten Erfahrungen mit den Ermittlungsbehörden seines Landes. Aller guten Dinge sind drei: Pünktlich zum Jahresbeginn versucht die Bonner Staatsanwaltschaft erneut, was ihr Mitte der achtziger Jahre zweimal misslang - den damaligen Bundeskanzler vor Gericht zu bringen.

»Zwar spricht manches dafür, dass Dr. Kohl über die von ihm bestätigten Zuwendungen des Flick-Konzerns hinaus auch die Beträge von 30 000 und 25 000 Mark erhalten hat«, räumten die Staatsanwälte bei der Einstellung der Ermittlungen wegen Verdachts der uneidlichen Falschaussage 1986 ein. Doch »greifbare Anhaltspunkte« dafür, dass der Kanzler vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags konkrete Erinnerung an die Zahlungen gehabt habe, wollten die Ermittler nicht erkennen: Das Verfahren gegen den CDU-Chef wurde eingestellt; die Beamten gestanden ihm zu, vor dem Flick-Ausschuss einen - wie Kohl es nannte - »Blackout« gehabt zu haben.

Die Ausrede, sich an konkrete Spenden-Zahlungen nicht mehr erinnern zu können, wird dem Ex-Kanzler im Jahr 2000 jedoch nichts nutzen. Seit seinen Bekenntnissen im ZDF Mitte Dezember - einer der Grundlagen für die seit Montag laufenden Ermittlungen wegen Verdachts der Untreue - ist ein erneuter »Blackout« als Notlüge unmöglich: vor den Bonner Staatsanwälten ebenso wie vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss, der unter anderem klären soll, ob sich die Regierung Kohl bei der Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien 1991 hat bestechen lassen. Dumm gelaufen: Zu detailliert hatte Kohl vor laufenden Kameras beschrieben, wie er die CDU bei Kasse hielt - und gar zu offensichtlich mafiöse Abmachungen zwischen vermeintlichen Privatleuten über das Grundgesetz stellte: »Diese Spender haben mir diese Summe anvertraut unter der Voraussetzung, dass die Spender nicht genannt werden«, verteidigte er sein System schwarzer Konten. »Ich habe nicht die Absicht, deren Namen zu nennen, weil ich mein Wort gegeben habe.«

Einen Abgrund von Partei- oder gar Landesverrat, wie ihn die Bonner Staatsanwälte und einige von Kohls früheren Zöglingen nun sehen wollen, sieht Kohl auch nach der Forderung des CDU-Präsidiums, die Spender-Namen zu nennen, nicht. Im Gegenteil: »Das waren deutsche Staatsbürger, die in gar keiner Branche etwas zu tun haben mit Regierungshandeln, die mir aber helfen wollten«, lobte er die Wohltäter.

Die Regierung geschmiert? Der Verkauf von Panzern von der Industrie beeinflusst? Die Übernahme einer Raffinerie vom Kanzler persönlich begünstigt? Mitnichten. Kohl hielt auch zum Jahreswechsel daran fest, dass das, was in jedem feudalen System üblich ist - persönliche Beziehungen über offizielles Regierungshandeln zu stellen -, auch für parlamentarische Demokratien wie die Bundesrepublik zu gelten habe: Der Staat bin ich!

Eine Sichtweise, die auch innerhalb der CDU von vielen nach wie vor als Grundlage moderner Staatsführung betrachtet wird: nicht zuletzt von der Nachwuchs-Riege der Unions-Mitt-Vierziger. Aufklärung, ja - aber nicht gegen Helmut Kohl, lautet die Devise der jungen Milden. Roland Koch, vor einem Jahr mit Hilfe einer rassistischen Wahlkampf-Propaganda in Hessen zum Ministerpräsidenten gewählt, dürfte exemplarisch stehen für die CDU-Funktionäre, für die der Kanzler der Einheit ruhig auch der Kanzler der Konten sein durfte. Einer für alle, alle für einen: »In 30 Jahren werden Straßen und Hallen nach Helmut Kohl als Kanzler der Einheit und Motor der europäischen Einigung benannt sein«, verwahrte Koch sich gegen Kritik an seinem Ehrenvorsitzenden.

So wie der neue Vorsitzende selbst: »Roland Koch wird Recht behalten, wenn er sagt, dass in 30 Jahren Hunderte von Straßen und Plätzen in Deutschland nach Helmut Kohl benannt sein werden. Seine etwaigen Verfehlungen, über die wir jetzt reden müssen, werden daran überhaupt nichts ändern.« Mit diesen Worten machte Wolfgang Schäuble in der Welt am Sonntag klar, wessen Ziehsohn er ist. Selbst der sanften Aufforderung von CDU-Generalsekretärin Angela Merkel an die Partei, »in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen«, und »unsere Zukunft selbst in die Hand zu nehmen«, mochte der Partei-Chef sich nicht anschließen. Der Erfolg der CDU und Kohls patriarchale Partei-Führung - für Schäuble gehört das auch nach Kohls Rücktritt untrennbar zusammen.

Was, ehe es die CDU weiter auseinander drängt, Schäuble selbst zum Verhängnis werden könnte: Für den Transfer von 1,1 Millionen Mark aus der Kasse der CDU-Bundestagsfraktion in das Schwarz-Konten-System der Partei 1997 soll Schäuble, der damals Fraktionschef war, verantwortlich sein. Ein weiterer Fall illegaler Parteienfinanzierung: Sollte sich der Verdacht bestätigen, bliebe Schäuble wohl nichts anderes übrig als zurückzutreten. Denn den Skandal, dass eine weitere Führungsperson um Kohls Finanzierungs-System wusste, würde der Parteisoldat Schäuble der CDU kaum zumuten: Der Kampf um die Spitze der organisatorisch in den fünfziger Jahren zurückgebliebenen Partei dürfte neu beginnen.

Ohne dass für ausreichenden Nachwuchs gesorgt wäre: Denn dass ausgerechnet Generalsekretärin Merkel diejenige sein sollte, die die Partei ins neue Jahrtausend führt, glaubt in der Union keiner. Zu sehr ist die CDU verankert in dem autoritären System, das Kohl in den siebziger Jahren ja lediglich von Konrad Adenauer übernahm. Wes' Brot ich ess', des' Lied ich sing': Alle zur Zeit relevanten CDU-Politiker profitierten früher oder später von der Förderung Kohls. Und die, die es nicht taten, sind zu alt, um den Laden noch einmal zu übernehmen. So wie der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der 1989 gemeinsam mit Heiner Geißler, Lothar Späth und Rita Süssmuth gegen Kohl rebellierte, mit der Parteiführung heute aber nichts mehr zu tun haben will: »Im Übri- gen weiß ich die Partei bei Wolfgang Schäuble und Angela Merkel in besten Händen«, erklärte er dem Spiegel.

Womit die Frage nach der Zukunft der Christdemokraten natürlich alles andere als geklärt wäre. Im Gegenteil: War die Partei-Spitze noch im November in der angenehmen Lage, sich nach der Serie von gewonnenen Landtagswahlen auf die nächsten beiden Siege in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen freuen zu können, hat sich die Situation nach dem Auffliegen von Kohls Konten grundlegend gewandelt: Nicht nur vorübergehende Niederlagen könnten folgen - sondern der langjährige Verbleib der Partei in der Opposition.

Angefangen in Schleswig-Holstein: Zwölf Jahre, nachdem Uwe Barschels Affären die Union um die Macht an der Waterkant brachten, haftet auch dem CDU-Spitzenkandidaten der Mief von 25 Jahren Kohl-Herrschaft an. Ob es Volker Rühe, Merkels Vorgänger auf dem Posten des Generalsekretärs, gelingen wird, wie Gerhard Schröder ohne Unterstützung der Partei an die Partei-Spitze zu gelangen, ist fraglich. Wenn er die Februar-Wahlen in Schleswig Holstein verliert, sagt Rühe selbst, »dann bin ich weg aus der ersten Reihe«.

Und mit ihm für eine Weile wohl auch die CDU. Denn unabhängig davon, wie viele Wählerstimmen die CDU die Affären der letzten Wochen kosten wird, kommen Kohls schwarze Konten die Partei schon jetzt teuer zu stehen. Nicht aufgeführte Spenden ahndet das Parteiengesetz mit Sanktionen in dreifacher Höhe des verschleierten Betrags: der Grund, weshalb CDU-Schatzmeister Matthias Wissmann über Weihnachten 7,3 Millionen Mark zurückstellen ließ, um etwaigen Forderungen der Bonner Staatsanwaltschaft rechtzeitig nachkommen zu können.

Auch wenn Wissmann betonte, dass mit den Rückstellungen »weder im rechtlichen noch im politischen Sinne ein Anerkenntnis entsprechender Verbindlichkeiten verbunden« sei, könnte der Schatzmeister zu knapp kalkuliert haben. Denn nicht einbezogen in die 2,43 Millionen Mark »noch ungeklärter Herkunft«, von denen Wissmann ausgeht, sind die Gelder, die 1997 von der Fraktion an die Bundespartei flossen - und für die die Opposition Schäuble verantwortlich macht. Doch was für Kohl gilt - alle für einen -, gilt für den Nachfolger nicht mehr: Der wird die Rechnung selbst bezahlen müssen.