Alles für das Vaterland

In Madrid stehen Mitglieder der Gonzales-Regierung, der Guardia Civil und der Ex-Regierungspartei PSOE vor Gericht. Sie sind angeklagt, an der staatlichen Todesschwadron GAL beteiligt gewesen zu sein.

In Spanien stehen in zwei Prozessen wieder einmal hohe Angehörige der paramilitärischen Guardia Civil und frühere sozialdemokratische Staatsfunktionäre vor Gericht. Wegen Entführung, Folterung und Ermordung der beiden baskischen Linksnationalisten Joxean Lasa und Joxi Zabala im Oktober 1984 sind vor dem Staatsgerichtshof angeklagt: der Ex-Staatssekretär für die Staatssicherheit, Rafael Vera, der Generalleutnant der Guardia Civil, Enrique Galindo, und fünf weitere Personen.

Des Mordes an dem Leiter der baskisch-nationalistischen Partei Herri Batasuna, Santi Brouard, am 20. November 1984 sind angeklagt: ein zweiter Ex-Staatssekretär für Staatssicherheit, Julián Sancrist-bal, ein Oberleutnant der Guardia Civil, Rafael Masa, und sieben weitere Personen. In U-Haft sitzen bei beiden Prozessen nur die unteren Chargen - die mutmaßlichen unmittelbaren Täter.

Im Fall Lasa-Zabala arbeiteten bis auf den damaligen Staatssekretär, der deshalb auch nicht der Zugehörigkeit zu einer bewaffneten Bande angeklagt ist, alle Angeklagten am selben Arbeitsplatz: In der Guardia-Civil-Kaserne von Intxaurrondo, einem Stadtteil von San Sebastián. Die zur Festung ausgebaute Kaserne ziert über dem Tor die monarchistische spanische Flagge mit der Aufschrift »Alles für das Vaterland«. Joxean Lasa und Joxi Zabala wurden hier zu Tode gefoltert.

Der Generalleutnant der Guardia Civil, Enrique Galindo, leitete die Kaserne von Intxaurrondo mit Unterbrechungen von Beginn der achtziger Jahre bis 1996. Vor Gericht bestritt er, dass es unter ihm antiterroristische Gruppen gegeben habe. Der Generaldirektor der Guardia Civil, L-pez Voldivielso, sah sich bei seiner Einführungsrede für den neuen Leiter der Kaserne von Intxaurrondo am 16. Dezember gezwungen, sich von Galindo zu distanzieren: »Es gab hier die AT-Gruppen, was die Abkürzung für Antiterroristische Gruppen war«, aber es habe nach Galindo andere Leiter der Kaserne gegeben, die den Terrorismus genauso effektiv nur mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft hätten.

Als im März 1999 in dieser Kaserne ein gefangenes Eta-Mitglied beim Verhör zu Tode kam, hatte das keinerlei Konsequenzen - kein Behördenvertreter wollte Folter nachweisen, und es war ohnehin alles während der ersten fünf Tage nach der Inhaftierung passiert: Dann gilt ganz gesetzlich der incomunicado-Status, währenddessen Gefangene keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Solche Fälle sind aber gar nicht Gegenstand der zwei aktuellen Verfahren. Hier geht es um den inoffiziellen Staatsterrorismus nach Dienstschluss: Um die Aktivitäten der GAL, der Grupos Antiterroristas de Liberaci-n (Antiterroristische Befreiungsgruppen).

In der Zeit der Franco-Diktatur hatte Frankreich Flüchtlinge aus dem baskischen Untergrund nicht an Spanien ausgeliefert. Bereits kurz nach Francos Tod 1975 waren zwei Vorläufergruppen der GAL aufgetaucht, die nördlich der Pyrenäen Mordanschläge verübten. Die GAL schließlich erreichten in Frankreich eine Änderung der Asylpolitik: Seit Juli 1986 liefert Frankreich Flüchtlinge aus dem Eta-Umfeld ohne Verfahren direkt an Spanien aus.

Erst 1995 wurde gerichtsoffiziell, was die Angehörigen der Opfer und baskische Linksnationalisten von Anfang an vermutet hatten. Die GAL waren vom spanischen Staat und seinen Polizeiorganen geschaffen worden. Unmittelbar nachdem sie 1982 erstmals an die Regierung gekommen war, hatte die sozialdemokratische Partido Socialista Obrero Espa-ol (PSOE), die mit der Eta während der Jahre der Franco-Diktatur das französische Exil geteilt hatte, den Militär-Geheimdienst Cesid konsultiert, um zu erörtern, wie durch Einsatz von Todesschwadronen die Eta in Frankreich terrorisiert werden könnte.

Die alten Strategen der Aufstandsbekämpfung waren sich der Verlässlichkeit der Sozialdemokraten so sicher, dass sie alle Konzeptpapiere hierzu ordentlich archivierten - 1995 wurden sie der Tageszeitung El Mundo zugespielt. Es stellte sich heraus, dass es nicht nur eine GAL gab, sondern dass solche Gruppen bei verschiedenen Polizeieinheiten existierten. Von 1983 bis 1987 verübten sie Anschläge auf Flüchtlinge aus dem baskischen Untergrund, die im französischen Baskenland lebten. Als Treffpunkte bekannte Bars wurden beschossen, Flüchtlinge entführt und misshandelt, zahlreiche Menschen verletzt und 28 Personen erschossen.

Bei jeder neuen Enthüllung stellten sich die PSOE und ihr Ministerpräsident Felipe Gonzalez wieder hinter die kleinen Noskes. Als die Sozialdemokraten 1996 abgewählt wurden, war eine ihrer letzten Amtshandlungen ein Gesetz, das den Umgang mit Dokumenten der GAL betraf. Es verbot den Medien die Veröffentlichung geheimer Staatspapiere. Die neue Regierung ließ dieses Gesetz unangetastet.

So existieren selbst die durch Zeitungen veröffentlichten Dokumente für die Justiz nicht. Etwa das als Gründungsakte der GAL bekannt gewordene Papier vom 6. Juli 1983, in dem der Geheimdienst Cesid - rein hypothetisch selbstverständlich - erörtert, wie die Eta mit Attentaten bekämpft werden kann. Die diskutierten Maßnahmen schließen »körperliche Eliminierung« in Südfrankreich ein. Im Oktober desselben Jahres wurden genaue Dateien mit Mitgliedern der Eta in Frankreich erstellt und inoffizielle Repressalien gegen sie aufgelistet.

Im Berufungsverfahren wollte Gonzalez selbst die Verteidigung seines am 29. Juli 1998 zu zehn Jahren Haft verurteilten früheren Innenministers und Genossen José Barrionuevo (Jungle World 49/99) übernehmen. Das wird er zwar nicht mehr tun, aber nur deshalb, weil Barrionuevo und Co. bereits nach einem halben Jahr Knast begnadigt wurden. Alle elf waren hohe Funktionäre der PSOE und sind wegen Beteiligung an einer Entführung der GAL verurteilt worden.

In die öffentliche Kritik war die GAL zunächst aus anderen Gründen gekommen: Finanziert wurden Berufskiller und Bestechungsgelder über einen Geheimfonds zur Guerilla-Bekämpfung. Die damit verbundenen halboffiziellen Strukturen verlockten etliche der Terror-Experten, Geld für sich selbst abzuzweigen: etwa den langjährigen Chef der Guardia Civil, Luis Roldán, der zwischen 1986 und 1993 Millionen aus dem Geheimfonds privatisierte.

Während seiner Flucht beschuldigte Roldán Gonzalez, vom verdeckten Krieg gegen die Eta gewusst zu haben. Gonzalez wird von vielen Spaniern als der mysteriöse »Se-or X« gesehen, der oberste Chef der GAL. Neben den Korruptionsvorwürfen und der zunehmenden sozialen Ungleichheit in Spanien war der GAL-Skandal einer der Gründe, aus denen die PSOE-Regierung im März 1996 abgewählt wurde.

Die PSOE fühlt sich aber bis heute im Recht und hat den prominentesten beteiligten Polizisten Galindo noch 1995 zum General befördert. Die beiden einzigen verurteilten GAL-Killer, zwei Polizisten, wurden schnell zu Freigängern. Sie hatten damit gedroht, auszupacken. Und Barrionuevo konnte Mitte Dezember auf einer Konferenz der PSOE unbehelligt seine »Solidarität und Sympathie mit den sieben Personen« erklären, »die ungerechterweise angeklagt sind in diesem Prozess«.

Gemeint war das Verfahren wegen der Entführung von Lasa und Zabala, das mehr Aufmerksamkeit erregt hat als der Prozess wegen des Mordes an Brouard. Auch der Chef der Regionalregierung von Andalusien, Juan Carlos Ibarra, ebenfalls Mitglied der PSOE, versicherte den Angeklagten seine Unterstützung. Und Gonzalez, zur Zeit der Morde Ministerpräsident, erklärte, er habe nie die Regierung eines Staates geleitet, in dem es die Todesstrafe gab.

Seit 1996 regiert die PP, die rechte Volkspartei, die parlamentarisch mit den rechten baskischen Nationalisten zusammenarbeitet und gegenüber der Eta auf Konfrontation, Isolierung und Zerschlagung setzt. Als Reaktion hat die Eta von Mitte 1997 bis Mitte 1998 fünf Kommunalpolitiker der PP erschossen - an höhere Chargen, die wirklich Verantwortung in Staatsapparat oder Wirtschaft tragen, kam die Eta nur noch selten. Zunehmend führte sie einen Krieg gegen alle, die politisch den spanischen Staat vertraten.

Dieser planlose und rein militaristische Kurs ließ nicht nur immer mehr Leute daran zweifeln, wie frei ein Baskenland der Eta von militärischer Repression wäre, sondern verstärkte auch die Isolation der ihr nahe stehenden Wahlpartei Herri Batasuna. Die Eta-Anschläge richteten sich im Gegensatz zu den siebziger Jahren in einer von sozialen Kämpfen völlig losgelösten rein militaristischen Logik gegen Politiker, Militärs, Polizei und Gefängnispersonal. Angehörige reicher Familien entführte die Eta ausschließlich dann, wenn sie die von der Eta geforderte Revolutionssteuer nicht bezahlten. So bewirkte die Eta vor allem, dass sich Arbeiter, statt um ihre Interessen zu kämpfen, zu einer Betriebsgemeinschaft mit »ihrem Unternehmer« hinreißen ließen.

Auch beim Kale Borroka, dem Straßenkampf, ersetzen spontane militante Aktionen von Jugendlichen aus der MLNV (Movimiento de Liberaci-n Nacional Vasco / Baskische Bewegung der nationalen Befreiung - ein Sammelbegriff der LinksnationalistInnen) zunehmend die politische Auseinandersetzung. Vorrangig geht es um den militanten Angriff auf Symbole und Einrichtungen des Zentralstaates.

Seit 1990 nehmen die Aktionen des Kale Borroka stark zu. Verdächtige Jugendliche werden vom Staat als Angehörige einer kriminellen Vereinigung mit der Begründung verfolgt, sie seien als »Gruppen Y« die legale Ebene unter Eta-Kommando. Auch wenn das nicht zutrifft, genügt sich die Militanz des Kale Borroka trotz Repression genauso selbst, wie sich die MLNV insgesamt mittlerweile vor allem selbst bestätigt: Über allem steht die Kampagne »Baskische Gefangene ins Baskenland«.

Nach dem Waffenstillstand der Eta im September 1998 ist der militante Straßenkampf nicht zurückgegangen, aber einem verstärkten politischen Druck ausgesetzt. Und die Repression geht unvermindert weiter. Im Juli 1999 veranstaltete in Bilbao eine neu gegründete Angehörigenorganisation einen Aktionstag: gegen die anhaltende Kriminalisierung linksnationalistischer Jugendlicher.

Der Autor ist Mitglied der gruppe demontage.