Burgen am Strand

Die Proteste auf der Karibik-Insel Vieques gegen die Kriegsspiele der US-Marine gehen weiter. Mit einem im Dezember vorgeschlagenen Kompromiss ist keine der beiden Seiten zufrieden.

Seit dem Zweiten Weltkrieg veranstaltet die US-Marine auf der Puerto Rico östlich vorgelagerten Karibik-Insel Vieques die Kriegsspiele ihrer Atlantikflotte. Zwei Drittel der knapp 135 Quadratkilometer kleinen Insel sind in Militärbesitz. Die 9 300 Insulaner haben sich dafür, bis auf einige mitunter lebensgefährliche Jobs, wenig Vorteile von ihren schießfreudigen Nachbarn, aber jede Menge gesundheitliche, wirtschaftliche und ökologische Risiken und Probleme eingehandelt.

Die Navy trainierte vor ihren Kriegseinsätzen, ob im Persischen Golf oder über Jugoslawien, auf der Insel Landemanöver mit Artillerieunterstützung von Bord ihrer Kriegsschiffe aus und übte dazu den Bombenabwurf aus Flugzeugen. Dabei wurde mit scharfer Munition geschossen, und es wurden auch Bomben mit abgereichertem Uran eingesetzt.

Als bei einem Manöver im vergangenen April zwei Irrläufer einen puertoricanischen Wachmann töteten, war die lange strapazierte Geduld der Puertoricaner erschöpft. Fischer besetzten die als Schießstätten missbrauchten Strände und fanden Unterstützung von Umweltgruppen, Gewerkschaften und kleinen militanten Parteien, die für die Unabhängigkeit von Puerto Rico eintreten. Politiker der in Puerto Rico vertretenen US-Parteien, darunter Gouverneur Pedro Rossello, wurden bei US-Präsident William Clinton vorstellig und verlangten den unverzügliche Abzug der Navy.

Nach siebenmonatiger Besetzung der Strände und zähen Verhandlungen zwischen puertoricanischen Offiziellen und der Clinton-Administration wollte das Pentagon nun im Dezember mit einem Schiffsverband um den Flugzeugträger Eisenhower, der im Persischen Golf eingesetzt werden soll, die Übungspraxis auf Vieques wieder aufnehmen. FBI-Agenten befanden sich bereits in ausreichender Anzahl auf der Insel, um auf die erwarteten Massenproteste auch mit Massenfestnahmen reagieren zu können.

Doch es kam vorerst anders. Vielleicht weil Clinton - gerade auch wegen seiner Gattin Hillary, die im Bundesstaat New York im Rennen um einen Senatsposten auf puertoricanische Stimmen setzt - Szenen wie kürzlich in Seattle nicht gebrauchen kann, schlug der US-Präsident einen Kompromiss vor. Erst einmal gab er vor, Verständnis für die Anliegen der Insulaner zu haben, doch vertrat er gleichwohl - im höher geordneten Dienst an der nationalen Sicherheit - das Interesse des Pentagon an einem angeblich einzigartigen Übungsplatz, für den es im Augenblick keinen Ersatz gebe.

Dennoch sollen das Training mit scharfer Munition eingestellt und die Übungen im Frühjahr mit Bombenattrappen fortgesetzt werden. Die Insulaner bekommen 40 Millionen Dollar als sofortige Hilfsmaßnahme, um, wie es heißt, die Schäden in den Beziehungen zwischen ihnen und den USA zu reparieren. Vielleicht hofft man darauf, mit dem Geld die Insel-Autoritäten dazu überreden zu können, den Bombardierungen doch noch zuzustimmen. Dazu gibt es das Versprechen, die Insel in spätestens fünf Jahren zu verlassen, sobald nämlich die Marine einen Ersatz für sie gefunden hat.

Wie es derzeit aussieht, sind jedoch weder die Puertoricaner noch das Pentagon mit diesem Deal zufrieden zu stellen. Die Proteste auf Vieques gehen unvermindert weiter. 500 durch das Einlenken Clintons ermutigte Demonstranten blockierten das Eingangstor eines Militärlagers mit Ketten und forderten den totalen Abzug der Marine. Auch der Gouverneur von Puerto Rico dringt, gemeinsam mit Kirchenführern und anderen Gesellschaftsvertretern, weiterhin auf die Rückgabe des vom Militär auf Vieques genutzten Landes. Am 26. Dezember wurde ein Protest-Camp vor der Navy-Basis angekündigt.

Die Armee droht dagegen, ihren Einfluss als Wirtschaftsfaktor in Puerto Rico geltend zu machen, indem sie auch ihre Einrichtungen auf der Hauptinsel, etwa den Flottenstützpunkt Roosevelt Roads, schließt, wenn sie nicht weiter bomben darf. Die Roosevelt Roads sind der größte US-Marinestützpunkt außerhalb der Vereinigten Staaten und gerieten erst im November in die Schlagzeilen. Da war das Verteidigungsministerium nach dem Freedom of Informations Act endlich gezwungen, auf Nachfrage eines puertoricanischen Journalisten und Friedensaktivisten zuzugeben, was bisher immer geleugnet wurde, nämlich dort von 1956 bis 1975 Nuklearwaffen gelagert zu haben.

Mitglieder der US-Kongress-Mehrheit gehen mit ihrer Erpressung noch einen Schritt weiter: Sie wollen im Falle einer drohenden Entmilitarisierung Puerto Ricos den Geldhahn zudrehen. Da Puerto Rico kein eigener US-Staat ist, sondern nur ein so genanntes Commonwealth-Territorium mit einer eingeschränkt operierenden lokalen Regierung, müssen seine Einwohner u.a. keine Steuern zahlen, jedes Jahr fließen zudem elf Milliarden Dollar Bundesgelder ins Land. Das ist der Preis, den die USA bisher zu zahlen gewillt waren, um auf der Insel den Betrieb eines komfortablen Militärstützpunkts zu gewährleisten und dessen Begleiterscheinungen, wie etwa die Umweltverseuchung, vom eigenen Land fernzuhalten.