Die Roten und die Rosa

Gefährliche Orte LXXXV: Die alljährliche Luxemburg-Liebknecht-Demo. Also lieber zu Hause bleiben und Cocktails trinken

Stalin hat mal gesagt: »Ein Mensch mit einer Rübe auf den Schultern an Stelle des Kopfes - das ist die Parteilosigkeit.« Das ist natürlich Quatsch. Eine Armada von Rübenköpfen, alle Mitglied der einen oder anderen verrückten Partei, Seilschaft oder Sekte - das ist die Luxemburg-Liebknecht-Demo. So 'rum wird ein Schuh draus.

Auch die Antifaschistische Aktion / Bundesweite Organisation (AA/BO) wird sich dort dieses Jahr auf der manischen Suche nach Massen wieder einreihen - zwischen Schalmeienkapellen, Mauerschützen, Stasi-Seilschaften, Kommunistischen Plattformen, DKP, MLPD, Rim-Maoisten, Roten Garden, blauen Hemden, Ost-Spinnern und ähnlich Abgedrehten. Warum?

Fragt man AA/BOlerInnen, bekommt man in unterschiedlicher Reihenfolge folgende Antworten: a) »Wann drücken schon mal so viele Leute auf einem Haufen ihren Willen zu grundsätzlichen gesellschaftlichen Veränderungen aus?« b) »Es ist wichtig, die Erinnerung an die Geschichte der sozialistischen Bewegung wachzuhalten.« c) »In diesen Zeiten kann man sich seine Bündnispartner nicht immer aussuchen.« d) »Wir machen ja unseren eigenen Antifa-Block, gerade um uns von diesen ganzen Spießer-Kommunisten abzugrenzen und denen nicht das Feld zu überlassen.«

Das einzige ernst zu nehmende Argument ist dabei - wenn überhaupt - d). Die anderen lassen sich schnell aus dem Ring pfeffern. Zu c): Warum macht ihr dann nicht einen Antifa-Block auf der Love-Parade oder beim Hertha-Heimspiel? Zu b): Warum muss man sich ausgerechnet auf die linken SozialdemokratInnen Luxemburg und Liebknecht beziehen, um die eigene Vorstellung von einer neuen Gesellschaft auszudrücken? Wieso inszeniert die AA/BO nicht eine eigene Thälmann- oder Dimitroff-Demo? Das würde doch viel besser passen.

Und wenn es wirklich um »Rosa und Karl« geht, kann man sich auch der SPD anschließen. Die legt jedes Jahr zeitgleich im Tiergarten Kränze für die beiden ab. Außerdem stehen die ganzen Stasi-Linken, mit denen man da zum Klang der Internationale marschiert, ja nun wirklich nicht für eine antiautoritäre und herrschaftsfreie Sozialismus-Vorstellung.

Tatsächlich beziehen sich jene linken Positionen auf Luxemburg und Liebknecht, weil hinter ihren Klassenkampf-Parolen doch nur wachsweicher Revisionismus steckt - ganz in SED-Tradition. Damit sind wir auch schon bei a): Ein Bündnis vom autoritären Stalinisten bis zum wirren MLPD-Sektenmitglied, dazwischen autonome Antifas, Hauptsache, viele sein und irgendwie auf rote Fahnen stehen - zu diesem unpolitischen Massenpopulismus der AA/BO war Liebknecht schon vor fast 90 Jahren eingefallen: »Nur aus schonungsloser Kritik kann Klarheit erwachsen, und nur aus Klarheit Einigkeit.« Schon deshalb muss, wer Liebknecht ernst nehmen will, zu Hause bleiben und den Massenauflauf der autoritären Sozialisten meiden.

Nochmal zu d), dem Argument vom eigenen Antifa-Block. Wo ist in der Außendarstellung in den letzten Jahren jemals etwas von diesem Antifa-Block zu hören gewesen? Zu den Organisatoren des Blocks gehörte von Anfang an die KPF (Westberlin). Im AA/BO-Demo-Aufruf vom letzten Jahr wird Rassismus - ganz im Sinne der KPF - als rein ökonomisches Problem abgetan. Den Herrschenden gehe es »nicht um ein 'arisches' Deutschland«, also nicht um ideologisch geprägten Rassismus, sondern um »ein möglichst reibungsloses kapitalistisches Wirtschaften«.

In dem Abschnitt, wo es um die eigene »Vision« geht, den »Traum von einer Sache«, heißt es: »Der durch Produktion erzeugte gesellschaftliche Reichtum muss so verteilt werden, dass die Grundversorgung gewährleistet und Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt werden können« - »für alle Menschen« natürlich. Das ist alles. Wer so geringe Ansprüche an eine zukünftige Gesellschaft hat, bringt locker 100 000 Menschen auf die Straße. Dafür fänden sich auch 500 000. Im Grunde gab es das ja auch schon mal.

Dieses Jahr wirbt die AAB gar nicht erst mit vielen Worten für die LL-Demo. Ein Plakat mit dem Bild des Boxchampions Muhammad Ali ist alles. Motto: »Starke Linke«. Dazu ein Kalenderspruch: »Die Gedenkveranstaltung ist die größte linke Veranstaltung in der BRD. Jährlich demonstrieren 100 000 Menschen an diesem Tag, dass sie den Kapitalismus nicht als letzte Weisheit der Geschichte akzeptieren und die aktuellen Lebensbedingungen verändern wollen.«

Das ist die ganze Begründung, zur Demo zu gehen. Ohne Frage auch NPD-kompatibel. Dabei heftet man sich hier noch falsche Lorbeeren an: Zwar defilieren jedes Jahr rund 100 000 - vor allem SeniorInnen - bei Ernst-Busch-Liedern an der Gedenkstätte vorbei, zu dem Sektenumzug vom Platz der Vereinten Nationen kommen jedoch nur ein paar Tausend.

1992 gab es die erste Demo dieser Art. Sie richtete sich gegen den geplanten Abriss des Lenin-Denkmals auf dem damaligen Leninplatz (heute Platz der Vereinten Nationen). Aufgerufen hatte eine alte Stasi-Seilschaft namens Initiative Leninplatz. Zunächst hieß die Demo dann auch LLL-Demo (Lenin, Luxemburg, Liebknecht). 1998 wurde der Antifa zuliebe auf das dritte L verzichtet. Doch augenzwinkernd lud das Vorstandsmitglied des Bundes der Antifaschisten (BdA), Jürgen Horn, im letzten Jahr noch im allgemeinen Einladungsschreiben zur »LL (...) Demo« ein.

Aber das Wichtigste: Der Antifa-Block der AB/BO hat sich nie inhaltlich vom übrigen Teil der Spinner-Parade abgegrenzt - bewusst. Man will ja Stärke demonstrieren, durch Masse, Einigkeit vorgaukeln. Wozu aber dann ein eigener Antifa-Block? Oder - was viel schlimmer wäre - ist die Einigkeit womöglich gar nicht vorgegaukelt, sondern echt? So oder so. Einigkeit mit Idioten ist immer falsch. Haben wir nicht nur dann eine Chance, Lehren aus den Fehlern der sozialistischen Geschichte zu ziehen, wenn wir uns von denen deutlich distanzieren, die diese Fehler noch heute feierlich zu ihrem Politik-Ansatz erklären? Müsste man nicht eher gegen 90 Prozent dieser LLL-MarschiererInnen demonstrieren als mit ihnen?

Übrigens war ich kürzlich bei einer netten AAB-Party, wo es Cocktails mit witzigen Namen gab. Einer hieß: »Heraus zur LL-Demo«. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um einen schlichten Tequila ohne alles. Spätestens das sollte doch wohl überzeugen. Da bleib ich lieber zu Hause und mix mir einen schönen Campari-Orange.