Gehemmtes Gericht

Das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal hat angekündigt, das Vorgehen der Nato im Kosovo zu untersuchen.

Der US-amerikanische Colonel war am Morgen des 8. Mai guter Dinge. Am Stützpunkt der amerikanischen Luftwaffe im italienischen Vicenza war gerade ein B2-Bomber gelandet, der eine der heikelsten Missionen des Kosovo-Krieges bravourös gemeistert hatte: Mit zwei hochpräzisen JDAM-Bomben war die chinesische Botschaft in Belgrad getroffen worden. »Das war einfach großartig. Wir haben diese beiden Bomben in das Büro des Militärattachés gesteuert. Die Chinesen werden das Gebäude nicht mehr so schnell für ihre Spionagetätigkeit zu Gunsten der Serben nutzen können, und Arkan wird jetzt wohl schwere Kopfschmerzen haben«, meinte der US-Militär entspannt.

Als der britische Observer vor etwa einem Monat die wirklichen Hintergründe der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad in eine ziemlich runde Story packte, war das Entsetzen der US-amerikanischen und britischen Politiker groß. Madeleine Albright dementierte sofort, das US-amerikanische Außenministerium meinte in einer Aussendung, die Geschichte sei »abenteuerlich«, und auch der britische Außenminister Robin Cook wies das Londoner Blatt zurecht. Doch die Journalisten hatten gut recherchiert. Schon seit Monaten hatte die CIA gewusst, dass Zeljko Raznatovic, hauptberuflich Paramilitär und besser unter seinem nom de guerre »Arkan« bekannt, die chinesische Botschaft als Nachrichtenzentrale nutzte.

Auch ein hochrangiger Offizier des französischen Verteidigungsministeriums bestätigte vor einiger Zeit die Vermutung, dass falsches Kartenmaterial - so die offizielle Erklärung der USA - mitnichten schuld an der »irrtümlichen« Bombardierung der diplomatischen Vertretung sein konnte. »Wir wurden schon vor dem Angriff informiert, dass dieses Objekt ein militärisches Ziel sei und die Amerikaner herausgefunden hätten, dass dort militärische Nachrichten für die jugoslawische Armee versandt würden.«

Der Angriff jedenfalls kostete drei Journalisten, die sich zum Zeitpunkt des Angriffes in der Botschaft aufgehalten hatten, das Leben. Die US-Amerikaner kostet der militärisch sinnvolle »Irrtum« nach einem in der vorvergangenen Woche in China geschlossenen Abkommen 28 Millionen US-Dollar (rund 14 Millionen Euro), die chinesische Regierung wiederum wird den Kollegen in Washington sieben Millionen Dollar als Schadenersatz für die bei Protestdemonstrationen beschädigten US-amerikanischen Vertretungen in China zahlen.

Jetzt kommt möglicherweise eine juristische Dimension dazu. Die Chefin des Kriegsverbrecher-Tribunals in Den Haag, Carla del Ponte, störte die Beschaulichkeit der Weihnachtstage für die US-Regierung mit der Bemerkung, dass nun ein Bericht über mögliche Kriegsverbrechen der Nato während des Kosovo-Krieges fertig sei. Deutlich um mäßigende Worte bemüht, meinte Del Ponte am vergangenen Dienstag: »Die Nato wird vom KriegsverbrecherTribunal in Den Haag untersucht. Aber dies ist keine offizielle Untersuchung.« Der Konter aus Washington war trotzdem entsprechend scharf. Das Weiße Haus ließ verlauten, die Untersuchung sei »komplett ungerecht«. Und einer von Bill Clintons Sprechern, James Fallin, wies noch einmal auf die Sorgfalt hin, mit der der Nato-Krieg gegen Jugoslawien geführt worden sei: »Die Nato hat außergewöhnliche Anstrengungen unternommen, um Kollateralschäden zu vermeiden.«

Doch die Anstrengungen haben wohl nicht besonders gefruchtet: Während noch darüber spekuliert wurde, ob die drei Journalisten tatsächlich zur schreibenden und nicht doch zur spionierenden Zunft gehörten - als wenn das den Angriff auf die Botschaft gerechtfertigt hätte -, ist der andere nun vom Kriegsverbrecher-Tribunal untersuchte Fall schon mit mehr Kollateralschaden verbunden: Neben der Bombardierung der Botschaft untersucht Carla Del Ponte auch noch den folgenschweren Beschuss eines internationalen Reisezuges in Leskovac am 12. April vergangenen Jahres. Damals kamen zehn Menschen ums Leben.

Dennoch werden diese Opfer voraussichtlich nicht reichen, um aus dem geheimen Bericht tatsächlich auch juristische Konsequenzen für die Nato-Offiziellen folgen zu lassen. Schwer vorstellbar, dass US-General Wesley Clark in Handschellen den Haager Richtern vorgeführt wird.

Schließlich gehört die Nato zu den Sponsoren des Kriegsverbrecher-Tribunals. In jeder Hinsicht. Als Anklage gegen Slobodan Milosevic erhoben wurde, fütterten Nato-Spezialisten die Haager Fahnder mit juristischem Know-how über mögliche Verbrechen des jugoslawischen Präsidenten.

Auch finanziell greifen die Nato-Staaten den Haager Richtern immer wieder gerne unter die Arme. Obwohl nach den Statuten das Tribunals sein Budget aus »den regulären Mitteln der Vereinten Nationen« bestritten werden, gibt die US-Regierung regelmäßig sechsstellige Dollarbeträge zu treuen Händen der Haager Fahnder (Jungle World, 48/99).

Die Einseitigkeit der UN-Ermittlungen im Kosovo wird auch durch andere Berichte bestätigt. Insgesamt haben die Häscher des Westens im Kosovo 34 mutmaßliche Kriegsverbrecher in den Kerkern der Krisenprovinz eingebuchtet, allesamt aber sind es Serben, die hinter Gitter gebracht worden sind.

Dagegen hat das Massaker von Gracko am 25. Juli 1999 trotz einer Untersuchung durch die Haager Fahnder bislang noch kein Ergebnis gezeigt. Damals wurden 14 serbische Bauern höchstwahrscheinlich von marodierenden Einheiten der eigentlich aufgelösten kosovo-albanischen Befreiungsarmee UCK während der Feldarbeit niedergemetzelt. Einen Tag später gab das Kriegsverbrecher-Tribunal bekannt, den Anschlag unverzüglich aufklären zu wollen. Bisher aber sind die Ermittlungen im Sande verlaufen.