Krisen als Lösung

Asienpfanne, XIII. Folge: Die mit der Asien-Krise verbundene Hoffnung der Linken kann ein theoretisches Update gut vertragen.

Als 1997/98 in den so genannten TigerStaaten Ostasiens Währungen und Aktienkurse abstürzten, Großunternehmen vor dem Bankrott standen und die Real-Einkommen der Bevölkerungsmehrheit zum Teil um 30 oder 40 Prozent sanken, waren die Wirtschaftsexperten zwar überrascht, aber um Erklärungen und Rezepte nicht verlegen. Von konservativen und liberalen Ökonomen wurden einerseits institutionelle Mängel für die Krise verantwortlich gemacht: ein wenig transparentes Finanzsystem, eine zu große Kreditaufnahme auf dem internationalen Finanzmarkt, die Cliquenwirtschaft von Politikern und Konzernchefs, die Geld in marode Projekte gesteckt hätten, spekulativ überbewertete Immobilienmärkte, etc.

Andererseits sollte es auch »zu wenig Markt« gewesen sein (d.h. ein Zuviel an Regulierung und Kontrolle), was die Krise begünstigt habe. Es wurden somit genau die Phänomene, die in den letzten zwanzig Jahren zur Erklärung des ostasiatischen Wirtschaftswunders dienten - die besondere Konsens-Kultur zwischen Staat und Unternehmen, der spezifische Staatsinterventionismus etc.-, mit einem negativen Etikett versehen (Korruption und zu wenig Markt) und zur Ursache der Krise umdefiniert. Die Botschaft dieser Krisen-Erklärung war jedenfalls eindeutig: Der Kapitalismus an sich ist schon in Ordnung, man muss ihn eben nur richtig organisieren.

Den Gegenpol zu diesem simplen neoliberalen Weltbild nahmen auf der Linken diejenigen Zirkel ein, die immer schon den Zusammenbruch des Kapitalismus prophezeit hatten und glaubten, mit der Asien-Krise sei nun aber wirklich der Anfang vom Ende gekommen: Diese Krise werde sich über die gesamte Weltwirtschaft verbreiten, Spekulationsblasen würden überall platzen und der Niedergang des Kapitalismus, auch wenn er noch einige Zeit brauchen würde, sei damit unaufhaltsam und unübersehbar geworden.

Beide Positionen scherten sich nicht viel um die historische Entwicklung, die zum Kapitalismus der neunziger Jahre und zu der besonderen Rolle Ostasiens geführt hatte. Für beide Positionen diente die Krise lediglich als Illustration der eigenen, unverrückbar feststehenden Weltsicht: Überlegenheit des Marktes bzw. bevorstehender Zusammenbruch des Kapitalismus.

Gegen derartige Vereinfachungen hilft ein kurzer Rückblick. Die fünfziger und sechziger Jahren hatten, vor allem am Beispiel Lateinamerika, deutlich gemacht, dass die so genannten unterentwickelten Länder im Rahmen des kapitalistischen Weltmarktes kaum eine Chance auf eine eigenständige ökonomische Entwicklung hatten. Die Entwicklung der kapitalistischen Metropolen des Nordens schien unausweichlich die Unterentwicklung des Trikont hervorzubringen: Nicht allein wegen ungünstiger Austauschverhältnisse, sondern vor allem durch die Etablierung einer fragmentierten, lediglich auf die Bedürfnisse des Weltmarkts ausgerichteten Wirtschaftsstruktur würde die Peripherie für alle Zukunft unterentwickelt und von den Metropolen abhängig bleiben. Mit dieser Dependenz-Theorie begründete die Linke in den sechziger Jahren, dass die so genannten Entwicklungsländer nur jenseits des Kapitalismus eine Chance auf Entwicklung hätten.

Seit den siebziger Jahren machten jedoch eine Reihe von ostasiatischen Ländern eine anscheinend erfolgreiche kapitalistische Entwicklung durch. Damit schien bewiesen zu sein, dass »Entwicklung« auch innerhalb des kapitalistischen Weltmarktes möglich war, wenn man es nur richtig macht - nämlich so wie in diesen mehr oder wenig diktatorisch regierten, westlich orientierten Staaten, die mit billiger Arbeitskraft billige Exportprodukte herstellten.

Die Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems nach dem Zweiten Weltkrieg war jedoch nie allein von ökonomischen Faktoren bestimmt, auch der Kalte Krieg spielte eine wesentliche Rolle. Er sorgte nicht nur dafür, dass sich die ökonomische und militärische Konkurrenz zwischen den führenden kapitalistischen Nationen in Grenzen hielt; er bestimmte auch das Verhältnis dieser Länder zu denen des Trikont.

Damit die Exportstrategien der ostasiatischen Länder überhaupt erfolgreich sein konnten, genügte es nicht, das Wachstum der Löhne zu begrenzen, indem die Gewerkschaften mehr oder weniger unterdrückt wurden. Die Produkte dieser Länder mussten auch Märkte finden. Vor allem die USA öffneten den ostasiatischen Ländern ihre Märkte und akzeptierten zugleich deren häufig protektionistische Politik. Derart günstige ökonomische Bedingungen (zu denen auch noch ein relativ weitgehender Technologietransfer gehörte) erhielten die asiatischen Tiger-Staaten aus politischen Gründen - als Bollwerke gegen den sowjetischen und chinesischen Kommunismus. Im Austausch für die wirtschaftlichen Vorteile wurden eine stramm antikommunistische Orientierung, die Akzeptanz US-amerikanischer Militärbasen sowie umfangreiche Waffenkäufe in den USA erwartet - Erwartungen, die von den autoritären Regimes gerne erfüllt wurden.

Diese relativ geschützte Position ermöglichte nicht nur den ökonomischen Aufstieg Ostasiens in den siebziger und achtziger Jahren, sie begünstigte auch den Aufbau industrieller Überkapazitäten. Als dann in den neunziger Jahren spekulatives Geldkapital immer schneller um den Globus raste, erhöhte sich auch die Verschuldung der ostasiatischen Länder erheblich, wobei die glänzende Vergangenheit mit ihren (weltweit gesehen) weit überdurchschnittlichen Wachstumsraten sowohl die internationalen Anleger als auch die nationalen Unternehmen in trügerischer Sicherheit wiegte: Den Anlegern erschienen die Perspektiven der asiatischen Ökonomien als überaus günstig, sodass sie ihr Kapital gerne lieferten, und die Unternehmen benutzten dieses Kapital, um wie bisher zu verfahren und es zumeist in die Sektoren zu investieren, in denen sich bereits Überkapazitäten aufgebaut hatten.

Dass sich bei einer derart aufgeheizten Konjunktur auch auf den Immobilien-Märkten spekulative Blasen bildeten, ist geradezu selbstverständlich: Überbewertete Immobilien dienen als Sicherheit für Kredite, mit denen in der Erwartung weiter steigender Preise neue Immobilien finanziert werden. Steigen die Preise aber nicht wie erwartet, platzt die Blase, Bau- und Immobilienfirmen gehen bankrott; gleichzeitig werden die den Banken gestellten Sicherheiten entwertet, sodass auch diese mit in den Strudel gerissen werden bzw. staatlich gestützt werden müssen.

Als Kehrseite des beschleunigten Wachstums der Jahre davor steuerte Ostasien in den neunziger Jahren auf eine geradezu klassische Überproduktionskrise zu (begleitet von einer Überschuldung vieler Unternehmen). Gleichzeitig veränderten sich mit dem Ende des Kalten Krieges grundlegend die politischen Bedingungen, unter denen die Weltwirtschaft funktionierte. Für die USA war es nun nicht mehr nötig, im Austausch gegen eine antikommunistische Orientierung allzu große ökonomische Zugeständnisse zu machen - Russland und China hatten kein Sozialismus-Modell mehr zu exportieren, beide bemühten sich jetzt darum, möglichst schnell den Kapitalismus zu importieren.

Seit den achtziger und verstärkt seit den frühen neunziger Jahren hatte bereits Japan einen stärkeren wirtschaftlichen Gegenwind aus den USA zu spüren bekommen. Ab Mitte der Neunziger musste auch Südkorea diese Erfahrung machen. Japan reagierte mit einer Abwertung des Yen (er büßte zwischen 1995 und 1997 über die Hälfte seines Wertes gegenüber dem Dollar ein) und einer Ausdehnung der Exporte in den asiatischen Raum. Im selben Zeitraum drängte auch China, das 1994 seine Währung um 35 Prozent abgewertet hatte, verstärkt auf den Weltmarkt, wo es unmittelbar mit den ostasiatischen Ländern, deren Währungen mehr oder weniger stark an den Dollar gekoppelt waren, konkurrierte. Die Zeit war reif für eine Krise.

Was sich in Asien abspielte, war weder ein bedauerlicher, aber im Prinzip vermeidbarer Betriebsunfall des Kapitalismus, noch ein Anzeichen seines baldigen Endes. Die Asien-Krise war das, was Krisen im Kapitalismus schon immer waren: eine gewaltsame Lösung angestauter Probleme. Diese Pseudo-Lösung stürzt einerseits viele Menschen ins Elend (Arbeiter, die Arbeitsplatz und Einkommen verlieren, aber auch Kapitalisten und Anleger, deren Kapital ganz oder teilweise vernichtet wird); andererseits produziert die Krise aber auch eine ganze Reihe von Gewinnern, die gerade von den Entwertungsprozessen profitieren: entwertete Immobilien, Unternehmen und Aktien können billig aufgekauft, Arbeitskräfte können zu geringeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen eingestellt werden.

Generell stärkt die Vernichtung des »überschüssigen« Kapitals - die Beseitigung der Überkapazitäten - die Position derjenigen Kapitalien, die überlebt haben. Auf der geschrumpften Grundlage ist dann (wie momentan auch in Asien zu beobachten) ein neuer Aufschwung möglich - bis sich erneut so viele Probleme und Fehlentwicklungen angestaut haben, dass es wiederum der Gewalt einer Krise bedarf, um sie zu lösen.

Ist die Asien-Krise insoweit eine typische kapitalistische Krise, so markiert sie in der historischen Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems aber doch einen gewissen Einschnitt: Sie zeigt an, dass die bipolare Nachkriegsordnung mit einer durch den Kalten Krieg gezähmten kapitalistischen Konkurrenz endgültig vorbei ist und ein globaler Konkurrenzkapitalismus begonnen hat. Hier wird mit harten Bandagen gekämpft, ohne Rücksicht auf Verluste. Auch die vom IWF gewährten Kredite dienen lediglich der Einleitung von so genannten Anpassungsprozessen: der Anpassung an die vom kapitalistischen Weltmarkt gesetzten Zwänge.

Krisen wie die Asien-Krise wird es auch in Zukunft geben, und bestimmt nicht selten. Solche Krisen sind aber keineswegs Ausdruck der Schwäche oder gar der Überlebtheit des Kapitalismus, sie gehören mit all den von ihnen angerichteten Zerstörungen zu seinem normalen Funktionieren: Aus diesen Krisen schöpft das kapitalistische System immer wieder frische Kraft, um eine neue Runde der Ausbeutung und Profitmacherei einzuläuten.