Dead Man Walking

Heldenverehrung verschoben: Wie die Berliner Polizei wegen einer Attentatsdrohung das Luxemburg-Liebknecht-Gedenken verbot und warum die PDS schuld daran ist.

Für viele Traditionsbewusste in Ostberlin ist klar: Am zweiten Sonntag im Januar geht's zu »Rosa und Karl«. Besser gesagt: zu deren Gräbern in der Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde. Früher war das so - und heute ist es nicht anders. Nur heißt die Veranstalterin nicht mehr SED, sondern PDS. Und hat im Gegensatz zu früher Konkurrenz von diversen anderen Grüppchen. Aber das ist ja nicht so schlimm.

Natürlich gibt es welche, denen das nicht passt. Viele sogar. Und die haben viele Arten, ihr Missfallen auszudrücken. Der Großteil ignoriert die inoffizielle Jahreshauptversammlung der K-Gruppen schlicht, andere schmeißen sich in grüne Gewänder, setzen sich einen weißen Astronautenhelm auf und versuchen, möglichst viele Veranstaltungsteilnehmer zu verletzen.

Und dann gibt es die völlig Durchgeknallten mit ihren Vernichtungsphantasien. Weil sie nicht nur was gegen die Veranstalter, sondern auch was fürs eigene Image tun wollen, kündigen sie im Vorfeld schon mal einen Anschlag an. Mit Maschinengewehr und Handgranaten werde er gegen die Gedenkrituale vorzugehen, drohte vergangene Woche ein 39jähriger Berliner in mehreren Briefen. Und das alles nur - so seine Erkenntnis -, weil die PDS eine reformistische Partei ist und in den Berliner Ostbezirken, wo sie nun mal besonders stark ist, stinknormale Realpolitik betreibt.

Dem Staatsschutz reichte ein Blick auf die Handschrift des Absenders, um daran den Mann zu erkennen: Olaf-Jürgen S. Bereits bekannt und polizeilich gesucht - seit er im September letzten Jahres sein Wohnhaus im Bezirk Friedrichshain anzündete, sich in der Szene-Zeitung Scheinschlag dazu bekannte und dabei auch gleich die parteilose (und von der PDS nominierte) Baustadträtin Martina Albinus-Klose als vermieterfreundliche Realpolitikerin enttarnte. Sie hatte nämlich seine Beschwerden über einen Vermieter ignoriert, der unter anderem die von Olaf-Jürgen S. an seiner Wohnungstür angebrachten Aufkleber mit einem frischen Anstrich versah.

Die Beamten des Staatsschutzes gaben schnell noch ein psychologisches Gutachten über Olaf-Jürgen S. in Auftrag und stellten dann fest: Der Mann meint seine Drohung ernst. Todernst, wenn man das so sagen will.

Die polizeiliche Antwort darauf war klar: Ohne Demonstration und feierliche Heldenverehrung kein Ziel für den Attentäter - Gefahr also gebannt. Nur die Veranstalter wollten da nicht mitmachen. Das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ist für die PDS trotz der Teilnahme etlicher Konkurrenzparteien seit Jahren das einzige Event, das der Partei von den Paraden der DDR-Massenbewegungen erhalten geblieben ist. Den 1. Mai dominieren andere Kräfte zur Mobilisierung der eigenen Basis. Abgesagt wird nicht, stellte Landesvorsitzende Petra Pau im Gespräch mit dem CDU-Innensenator Eckart Werthebach klar.

Einen Kompromiss gab es nicht, und dennoch waren am Ende beide Seiten zufrieden: Polizeipräsident Hagen Saberschinsky verbot Demonstration und Gedenkkundgebung, »da andernfalls ein nicht kalkulierbares Risiko für Leib und Leben« der Besucher dieser Großveranstaltungen entstehen würde, die PDS verlegte ihre Versammlung um sechs Tage auf den 15. Januar. An diesem Tag soll es auch eine Demonstration geben.

Und schon begann bei allen die fieberhafte Vorbereitung auf den geänderten Tagesablauf für den Liebknecht-Luxemburg-Gedenktag. Die PDS demobilisierte schon einmal ihre Basis. Die Demonstrationsanmelder bemühten sich um eine Ersatzroute - erfolglos. In der Redaktion der Tageszeitung junge Welt bastelte man sich Verschwörungsszenario und Dolchstosslegende zusammen, empörte sich über die Unfähigkeit der Polizei sowie die Kompromissbereitschaft der PDS. Es sei fraglich, ob »es den behaupteten Attentäter tatsächlich« gebe.

Aufregung aber auch innerhalb der PDS: Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke warf ihrer Parteifreundin Pau vor, sie habe gegenüber dem Innenministerium »eine völlig unkritische Rolle« eingenommen. Dabei hätte die PDS juristisch und politisch gegen das Verbot vorgehen müssen. Schließlich sei »das Ziel der Herrschenden« eindeutig: »Sie wollen diese Demonstration in Berlin unterbinden, möglichst für immer.«

Deren Lakaien waren zunächst mit anderem beschäftigt: Polizei und Bundesgrenzschutz suchten an der Gedenkstätte und der angrenzenden Bahntrasse nach Sprengstoff - und nicht nur dort. In Bussen von aus Schweden angereisten Linken schaute man sich ebenfalls etwas genauer um, wurde dort aber genau so wenig fündig wie in Friedrichsfelde.

Es half dann aber alles nichts. Am Sonntag kamen die Leute teilweise doch. Sie wollten zur Gedenkstätte und zur Demonstration und hätten für Olaf-Jürgen S. wohl ein gutes Ziel abgegeben. Der Brandstifter aus Friedrichshain aber ließ sich nicht blicken - wie fast alle anderen Veranstaltungsgegner. Allein die grün gekleideten Gegner der Demonstration waren erschienen. Und taten alles, damit niemand sie übersehen konnte: parkten ihre Autos in der zweiten Spur, blockierten sogar die Gehwege und waren ständig versucht, die Formierung größerer Gruppen zu verhindern, um später eine Demonstration zwar nicht zuzulassen, aber zu dulden. »So ein Sonntagsspaziergang ist ja mal ganz nett«, erklärte ein Polizeisprecher am Rande der Demo. Und seine grün gekleideten Kollegen mit den Astronautenhelmen zeigten, was sie unter »ganz nett« verstehen: Einkesseln, Kick-Boxen, mehr als 200 Festnahmen und platzierte Schläge gegen Journalisten.

Fähigkeiten, für die die Hauptstadtpolizei nach eigenen Angaben europaweit Interesse erregt: Obschon nicht gerade für ihre Ausländerfreundlichkeit bekannt, führte sie während des Einsatzes immer zwei Kollegen aus Dänemark mit, die sich über Einsatzkonzepte der Berliner Polizei weiterbilden wollten. Wieso die ausländischen Kollegen immer wieder in den Demonstrationszug hineinfotografierten, konnte der Polizeisprecher ebenfalls klarstellen: »Das sind Touristen, die wollen natürlich auch ein paar Fotos machen.«

Nächstes Wochenende geht die Gedenkshow dann in die nächste Runde: Polizei gegen Veranstalter, junge Welt gegen den Verrat der PDS und Olaf-Jürgen S. gegen die ganze Welt - wenn er bis dahin nicht festgenommen ist.

Aber für diesen Fall haben sich Werthebach und Pau vorsorglich schon einmal geeinigt: Am kommenden Samstag kann die Veranstaltung stattfinden - unabhängig davon, ob der verhinderte Massaker-Mann bis dahin verhaftet ist oder nicht. Die Polizei will für die Unversehrtheit von Demoteilnehmern und Gedenkstättenpilgern garantieren. Im Zweifelsfall kommen eben alle in Schutzhaft.