Die Kultur des Faschismus

Zeev Sternhell analysiert den Faschismus als ideologische Synthese, nicht, wie der Verlag suggeriert, als Gegenstück zum Linksradikalismus.

Manchmal geht die Rezeption wirklich verschlungene Wege. So hatte der israelische Historiker Zeev Sternhell bereits 1976 in einer seiner ersten größeren Arbeiten, »Fascist Ideology«, erklärt: »Es gibt in unserem politischen Vokabular nicht viele Begriffe, die sich einer solch umfassenden Beliebtheit wie das Wort Faschismus erfreuen, aber es gibt gleichfalls nicht viele Konzepte in der zeitgenössischen politischen Terminologie, die so verschwommen sind und so unpräzise umrissen.« Daran hat sich trotz zahlreicher Veröffentlichungen bis heute kaum etwas geändert. Sternhell selbst konnte sich durch noch so viele gründliche und detailreiche Arbeiten bemühen, diesem Mangel abzuhelfen, vergebens: In Deutschland wurde er schlicht ignoriert.

Nach 25 Jahren Arbeit zum Thema, die in der Historikerzunft außerhalb Deutschlands für heftige Debatten gesorgt hat, liegt jetzt mit »Die Entstehung der faschistischen ldeologie« erstmals eine deutsche Übersetzung eines der Hauptwerke Sternhells vor. Und prompt löst die Ausgabe der Hamburger Edition eine Reihe von Irritationen aus. Bereits mit dem Untertitel wird eine falsche Fährte gelegt, der der Rezensent Jochen Baumann (Jungle World, 52/1/99) folgt: »Von Sorel zu Mussolini« ist gewählt worden. »From cultural rebellion to political evolution« (Von der kulturellen Rebellion zur politischen Evolution) heißt es in der erweiterten und überarbeiteten US-amerikanischen Ausgabe (Princeton University Press, 1994). Grundlage der deutschen Übersetzung ist aber nicht etwa diese neuere Fassung, sondern die ursprüngliche französische aus dem Jahr 1989.

Mindestens ebenso ungewöhnlich ist der Umstand, dass der Verlag mit Cornelia Langendorf eine Übersetzerin gewählt hat, die sonst häufig für rechte Verlage wie Karolinger in Wien und Matthes & Seitz in München arbeitet. Dies mag manche fragwürdige Formulierung der deutschen Fassung erklären. So, wenn es dort heißt, die Kritiker der Demokratie »wurden doch nicht alle vom Faschismus verführt«. Bei Sternhell heißt es schlicht - und richtig: »Nicht jede Empfindlichkeit für die institutionellen Schwächen der Demokratie führt notwendig zu einer Verleugnung ihrer Prinzipien.« (»Not all criticism of the existing order necessarily developes into fascism; not all sensitivity to the institutional weeknesses necessarily leads to a denial of its principles.«) Das verständnisheischende verführerische Element spielt bei ihm keine Rolle.

Und tatsächlich ist Sternhell auch weit davon entfernt, ein Loblied auf die real existierende bürgerliche Demokratie zu singen. Im Gegenteil. Auch deshalb ist der Versuch des Verlages zum Scheitern verurteilt, Sternhell im Klappentext zum Kronzeugen für einen antitotalitären Ansatz aufzubauen. »Die Wurzeln des Faschismus liegen in der radikalen Linken am Beginn das 20. Jahrhunderts« heißt es dort. Sternhell zeige »den gemeinsamen theoretischen Kern der später feindlichen Brüder«.

Wäre dies tatsächlich Sternhells Absicht, könnte man das Buch getrost an dieser Stelle aus den Händen legen. Zwar widmet er der Entwicklung des revolutionären Syndikalismus breiten Raum, doch erarbeitet er gerade nicht eine eindimensionale Ableitung der faschistischen Ideologie aus dem von ihm so genannten revolutionären Syndikalismus, sondern demonstriert, dass zunächst eine mehrstufige Modifikation des revolutionären Syndikalismus vorgenommen werden musste, um ihn dann in einem zweiten Schritt zu einer Synthese geeignet zu machen. Erst diese Synthese mit einem antidemokratischen und oft biologistisch-deterministischen Nationalismus sowie mit der kulturellen Avantgardebewegung des Futurismus führt zum Faschismus als eigenständiger Bewegung, die dem zeitgenössischen Betrachter tatsächlich als »weder links noch rechts«, »ni droite ni gauche« (so der Titel seines 1983 publizierten Buches zur faschistischen Ideologie in Frankreich), erscheinen konnte, da diese Bewegung sowohl mit der alten (besitzbürgerlichen und konservativen) Rechten als auch mit der alten (sozialdemokratischen und marxistischen) Linken gebrochen hatte.

Die von Jochen Baumann in ihren Ergebnissen als »dürftig« bezeichnete Studie zeigt gerade in der Darstellung der Phasen der antimarxistischen Revision des Sozialismus einen hohen aktuellen Gebrauchswert. Sie verdeutlicht nämlich, dass der Beurteilung des sozialen Konstrukts »Nation« ein entscheidender Anteil daran zukommt, ob eine faschismuskompatible Revision vorgenommen werden kann oder nicht. Sternhell unterstreicht: »Luxemburg, Hilferding, Parvus, Radek, Trotzki, Otto Bauer, Max Adler, Karl Renner und viele andere (...) verabscheuten den völkischen Nationalismus, der in ganz Europa wucherte, in den unterentwickelten Landgebieten des Ostens wie in den Industriezentren des Westens. (...) Ihnen lag nichts an der 'Heimat', an der so viele westeuropäische Sozialisten hingen.«

Die Ablehnung des Prinzips Nation wird von Sternhell durchgängig als immunisierender Faktor gegen die antimarxistische Revision des Sozialismus angesehen. Ein Umstand, der Jochen Baumann ebenso entgeht wie der, dass Sternhell nirgends behauptet, während der faschistischen Herrschaft seien in der »praktischen Politik« Spuren der revolutionär-syndikalistischen Wurzeln zu finden. Nein, Sternhell geht zurück zu den Wurzeln, ihn interessiert nicht der Faschismus an der Macht, sondern der Bewegungsfaschismus. Er nimmt den italienischen Sozialismus Angelo Tascas in dessen Ausspruch ernst, eine Faschismustheorie zu entwickeln, heiße zunächst, die Geschichte des Faschismus zu schreiben. So wird bei Sternhell vor allem deutlich, welches die übergreifenden ideologischen Bindeglieder waren, die das Zusammenfinden der einzelnen Bestandteile der späteren Synthese erst ermöglichten.

Der Charakter des Faschismus als Bewegung der Rebellion sowie der Revolte, und zwar »zunächst einer kulturellen Revolte und danach einer politischen«, habe sich gerade durch die Einbeziehung des Futurismus herausgebildet. Man könne, schreibt Sternhell, kaum die Bedeutung des avantgardistischen Elements im ursprünglichen Faschismus übertreiben, die Bedeutung der revolutionären Ästhetik, die er enthielt. Zu dieser Synthese aus revolutionärem Syndikalismus und integralem Nationalismus, die im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts heranreifte, fügte Filippo Tommaso Marinetti mit der Veröffentlichung des »Futuristischen Manifests« im Jahr 1909 die enthusiastische Unterstützung der kulturellen Avantgarde hinzu.

Nicht die Feindschaft zur Arbeiterbewegung ist das treibende ideologische Moment, sondern - wie auch Herbert Marcuse ausführte - der Antiliberalismus. Ihn selbst habe von den Konservativen stets unterschieden, erklärt heute der Hofgeschichtsschreiber der Konservativen Revolution, Armin Mohler, dass er Kommunismus und Sozialismus lediglich als zweitwichtigsten Feind angesehen habe. Unter der Überschrift »Ich bin ein Faschist« heißt es bei ihm, dass der Hauptfeind immer und überall der Liberalismus sei. Und er verweist - in diesem Punkt einig mit Sternhell - darauf, dass Faschismus nicht zu verstehen sei ohne dessen Stil, Ästhetik und Lebensgefühl.

Weit entfernt von allen vulgärmarxistischen Ansätzen, von allen rein ökonomischen Ableitungen geht es Sternhell gerade darum, die zentrale Rolle eines Begriffs wie dem der Dekadenz sowie die Bedeutung des antibürgerlichen Denkens herauszuarbeiten, die verbindende ideologische Momente aller europäischen faschistischen Bewegungen darstellten. Erkennbar werden dabei auch die Ursprünge von heutigen Leitbildern wie dem des »politischen Soldaten«. Er konzentriert sich gerade deshalb auf die Frühphase der Ideengeschichte des Faschismus, weil hier die zentralen Ideologeme besonders deutlich zum Ausdruck kommen. Ein Blick nach Spanien oder Rumänien bestätigt das Urteil, das er für Italien und für Frankreich fällt. Ihm folgend, wird man künftig nicht mehr so leicht von der extremen Rechten sprechen können, sondern von den extremen Rechten, organisiert in verschiedenen Familien.

Sternhell liefert in der Tat einen Beitrag zur vergleichenden Faschismusforschung, der nicht ignoriert werden kann. Intelligente Vertreter der extremen Rechten wie Armin Mohler haben dies schnell erkannt. Sternhell liefert jedoch - hier ist Baumann zu widersprechen - keine Studie zu den typisch deutschen Verhältnissen. Er beharrt vielmehr gerade darauf, dass der Nazismus, besonders wegen seines exterminatorischen Antisemitismus, nicht in eine Reihe mit den anderen Faschismen gestellt werden dürfe. Als deren deutsche Entsprechung sieht er, mit der angebrachten Zurückhaltung, eher die Exponenten der Konservativen Revolution und deren Vorläufer wie Paul Anton Lagarde.

Ausdrücklich zustimmen möchte ich jedoch Baumanns Urteil, dass die These von der antimarxistischen Revision zu kurz greift. Aber das ist bloß ein Teil von Sternhells stimmiger Grundthese. So sind die Ergebnisse insgesamt keineswegs dürftig, wenn man das Buch erstens ganz liest und zweitens für die deutschen Verhältnisse weiterdenkt.

Bisher erschienen zu Zeev Sternhell Beiträge von Jochen Baumann (Jungle World, 52/1/99) und Elfriede Müller (Jungle World, 2/00). In der nächsten Ausgabe veröffentlichen wir dazu einen Beitrag von Bernhard Schmid.