Elemente totaler Wissenschaft

Das Dresdener Hannah-Arendt-Institut droht wegen rechter Mitarbeiter auseinander zu fallen. Ein Verlust wäre das nicht.

Die Dresdner Bank spielt mit, will aber vielleicht bald nicht mehr. Die Landesregierung des Freistaates Sachsen ist ebenfalls dabei und will es auch bleiben. Selbst der Bundesverfassungsschutz mag sich nicht zurückhalten und gibt öffentlich Empfehlungen ab. Dies wiederum missfällt dem Bundestagspräsidenten. Aber nicht um Geldwäsche, schwarze Konten oder Spionage geht es, sondern um eine kleine wissenschaftliche Einrichtung in Dresden.

Das Hannah-Arendt-Institut - genauer: Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. (HAIT) - besteht seit 1993. In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Dresden arbeitet man dort seither eher still vor sich hin. Zum Thema »Arbeiterschaft im Raum Chemnitz und der Zweite Weltkrieg (1933-1945)«. Oder zur »Diktaturdurchsetzung in Chemnitz 1945-1952/53«.

1933, 1945, 1953 - irgendwie scheint das für die Dresdener Forscher alles eins zu sein. Totalitarismus eben. Entsprechend wurde 1995 in der Satzung das Institut auf die Aufgabe verpflichtet, »in interdisziplinärer Arbeit von Historikern und Sozialwissenschaftlern die politischen und gesellschaftlichen Strukturen von NS-Diktatur und SED-Regime sowie ihre Folgen für die Gestaltung der deutschen Einheit zu analysieren«.

Es ist aber nicht diese Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit der DDR, die zur Zeit Banker, Politiker und Beamte auf den Plan ruft. Vielmehr geht es um den Hitler-Attentäter Georg Elser und den Versuch des HAIT-Mitarbeiters Lothar Fritze, Elsers Bombenanschlag vom 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräu-Keller die Legitimität abzusprechen (Jungle World, 47 und 48/99).

Kurzerhand hatte Fritze am 60. Jahrestag des Attentats in der Frankfurter Rundschau dem »Durchschnittsbürger« Elser die »politische Beurteilungskompetenz« abgesprochen und ihm gleichzeitig die »moralisch nicht zu rechtfertigende« Gefährdung von Unschuldigen vorgeworfen. Ganz nebenbei wurden auch noch die 1923 in München bei einem Schusswechsel mit der Polizei getöteten Hitler-Putschisten in Opfer des Hitler-Putsches umdefiniert.

Der wissenschaftliche Beirat des HAIT reagierte nur wenige Tage später und warf Fritze zunächst in einer internen Sitzung »gravierende argumentative Schwächen und Fehler« vor. Die Mehrheit der Mitarbeiter, unter ihnen auch der Leiter des Instituts, Klaus-Dietmar Henke, distanzierte sich von Fritzes Text. Henke hatte schon vorher vor einer Veröffentlichung gewarnt. Nur einer zeigte sich solidarisch: der stellvertretende Instituts-Direktor Uwe Backes.

In einer vergangene Woche veröffentlichten Erklärung des Beirats heißt es sogar, Backes habe »den Autor zur massenmedialen Verbreitung des Artikel ermuntert. Er hat das ausdrücklich in einer gegen den Direktor des Instituts (...) gerichteten Konfliktstrategie getan.« Mehrheitlich drängt der Beirat nun auf die Entlassung von Backes. Der stellvertretende Beiratsvorsitzende und US-amerikanische Holocaust-Forscher Saul Friedländer wurde noch deutlicher: Wenn Backes nicht bis zum 15. Januar das Institut verlasse, kündige er seine Mitarbeit im Beirat auf.

Dieser Schritt hätte für das Institut Konsequenzen, wobei die Umbesetzung des wissenschaftlichen Beirats nur eine Lappalie wäre. Rund ein Sechstel der finanziellen Mittel und der zur Zeit wohl wichtigste Forschungsauftrag könnten verloren gehen: Die Dresdner Bank, die das Institut mit einer Untersuchung der Firmengeschichte in der NS-Zeit beauftragt hat und rund 500 000 Mark dafür bezahlt, macht eine weitere Zusammenarbeit vom Verbleiben Friedländers im Institutsbeirat abhängig.

Vielleicht droht sogar die Umbenennung der Einrichtung: Wenn »ganz gravierende, grässliche Dinge passieren«, erklärte vergangene Woche Lotte Köhler, die Nachlassverwalterin Hannah Arendts, gegenüber dem Spiegel, werde sie dem Dresdener Institut das Recht enziehen, weiterhin den Namen der jüdischen Philosophin zu verwenden.

Das wollen selbst Uwe Backes und seine Unterstützer nicht. Zu einer Ehrenerklärung für den Instituts-Vize hatte sich vor Weihnachten der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Peter Frisch, veranlasst gesehen. Eine »befremdliche Einmischung« nannte dies Wolfgang Thierse. Hier irrt der Bundestagspräsident, denn es geht um Solidarität unter Kollegen. »Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist stolz darauf, mit ihm zusammen zu arbeiten«, hatte Frisch in einem Brief an das Institut geschrieben: Backes ist seit Jahren als Autor, Referent und Berater für den Verfassungsschutz tätig. Umgekehrt schreibt Frisch gelegentlich auch in dem von Backes und Eckhart Jesse herausgegebenen Jahrbuch Extremismus & Demokratie.

Gedeckt wird Backes auch von der sächsischen Landesregierung; besonders Kultusminister Matthias Rößler (CDU) versucht ihn im Institut zu halten. Schließlich hat Backes seinen im März letzten Jahres angetretenen Job Rößler zu verdanken, der ein Gegengewicht zum SPD-Mitglied und Direktor Henke suchte. Dass es bisher noch zu keiner Kündigung kam, geht ebenfalls auf den sächsischen Kultusminister zurück: Er ist Vorsitzender des HAIT-Kuratoriums, eines Gremiums, das bei Geld- und Personalfragen nicht übergangen werden darf.

Nun bemühen sich alle Beteiligten, bis zum 15. Januar, dem Tag, an dem alles auseinanderbrechen könnte, eine einvernehmliche Lösung zu finden: Friedländer muss bleiben - und mit ihm die Dresdner Bank sowie das Recht, den Namen Hannah Arendts führen zu dürfen. Auch mit dem Politologen Backes will man trotz des zerstörten »Vertrauensverhältnisses im Direktorium« eine »außerrechtliche Lösung des Konflikts« finden, wie es in einer Mitteilung des Beirats heißt.

Auch Henke betont im Gespräch mit Jungle World, dass sein Stellvertreter »radikal andere Auffassungen« vertrete als er. Dies zeigte Backes zuletzt am vergangenen Donnerstag in einem Interview mit den Dresdener Neuesten Nachrichten: »Moralisch verbrämte Machtpolitik« wirft er Henke ebenso vor wie die Erzeugung eines »wissenschaftsfeindlichen Klimas« und die Verwendung von »Totschlagbegriffen«.

Es klingt, als ob Martin Walser spricht. Und es klingt nicht nur so: Backes hält den »Umgang von Teilen der deutschen Öffentlichkeit mit NS-Geschichte« für »neurotisch«, dies habe sich gerade bei der »Walser-Debatte« gezeigt. Gegenüber der Frankfurter Rundschau ging er nur einen Tag später noch einen Schritt weiter: Backes plädierte hier für eine »reine Wissenschaft«, die auch die Frage nach der tatsächlichen Kapazität der Gaskammern beleuchten und die tatsächlichen Opferzahlen des NS überprüfen müsse. Auch sei »nicht alles erstunken und erlogen, was aus der rechten Ecke« komme.

Backes weiß, wovon er spricht. Zusammen mit seinem langjährigen wissenschaftlichen Mitstreiter Eckhart Jesse - der im wissenschaftlichen Beirat des HAIT sitzt - und dem neurechten Publizisten Rainer Zitelmann gab er 1990 den Sammelband »Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus« im Ullstein-Verlag heraus.

In diesem Werk versuchten sich Zitelmann, Backes und Jesse an der Verharmlosung des Nationalsozialismus durch Historisierung. Historisierung meint die Entsorgung des NS als geschichtliche Altlast, die mit der deutschen Nachkriegsgesellschaft nichts mehr zu tun habe. Und sie dient gleichzeitig als Möglichkeit zur Neubewertung: »Wer nicht sehen will, dass bestimmte Maßnahmen der Sozialpolitik (im Nationalsozialismus; M.S.) deutliche Verbesserungen gegenüber der Weimarer Republik brachten, erfasst nicht die komplexe Wirklichkeit des Dritten Reiches«, schrieben die Autoren und wiesen auch auf die »Erfolge« in der »Wirtschaftspolitik« der Nazis hin.

Auch die Totalitarismustheorie dient Backes und Jesse - das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung nennt die beiden ein »universitäres Extremismus-Duo« - als Hebel zur Relativierung des Nationalsozialismus. Wenn Backes jetzt in den Dresdener Neuesten Nachrichten Hannah Arendt für sich und seinen Schützling Fritze in Anschlag bringt (»Die Art des Umgangs mit Fritzes Thesen - da bin ich mir sicher - hätte ihren Beifall nicht gefunden«), versucht er gleichzeitig eine Verbindungslinie zwischen zwei Ansätzen zu konstruieren, die einander ausschließen.

Hannah Arendts Ansatz zur Definition und Funktion des totalen Staates gründet in einer Analyse der historischen und strukturellen Formen autoritärer Herrschaft. Verschiedene Bereiche des totalen Staates im Dritten Reich werden miteinander ver-glichen, auch zur Sowjetunion erfolgt eine Untersuchung zur Durchdringung der Gesellschaft durch den Staat. Vergleiche zwischen totalen Staaten sind bei ihr selten, Gleichsetzungen gibt es nicht. Für Arendt endet die staatliche Totalität in der Sowjetunion 1953 mit dem Tode Stalins.

Ganz anders ist Backes' Ansatz der Totalitarismustheorie, der untersucht, um neu zu bewerten, und der vergleicht, um gleichzusetzen: den Nationalsozialismus mit der Sowjetunion und der DDR. Oder der vergleicht, um zu unterscheiden: die Nazis im Dritten Reich und ihre aktuellen neonazistischen Nachfolger von der »Neuen Rechten«, also die »Extremisten« von den »Demokraten«.

Wenn auch der Leiter des HAIT, Klaus-Dietmar Henke, gegenüber Jungle World betont, »die Totalitarismustheorie« sei für ihn »kein Dogma«, so lässt die in der Instituts-Satzung formulierte Gleichsetzung von »SED-Diktatur und NS-Regime« doch den Wunsch aufkommen, dass Saul Friedländer aus seiner Ankündigung Ernst macht. Dresden könnte dann ab dem 15. Januar ein weiteres Institut abwickeln. Ein besserer Ort für ein neues Arendt-Institut, das den Namen verdient, findet sich allemal.