Man stirbt nur einmal

Mit Franjo Tudjman ist auch seine HDZ-Partei in das Gruselkabinett der Geschichte abgetaucht. Die ehemalige Opposition wird es schwer haben, das Land aus der Misere zu holen.

Ein letzter Weihnachtsgruß war noch drin. Kurz vor den Feiertagen flatterte jenen mutmaßlichen kroatischen Kriegsverbrechern, die in Den Haag auf ihre Gerichtsverhandlungen warten, ein ganz besonderer Brief in die Zellen: Der Vizepräsident des kroatischen Parlaments, Vladimir Seks, wünschte den Söhnen der Heimat ein fröhliches Fest und einen guten Rutsch.

In den noch immer HDZ-treuen kroatischen Medien wurde die Postwurfsendung ausführlich behandelt und damit ein Signal für die Parlamentswahlen gesetzt: Die HDZ verlässt den Kurs des dahingeschiedenen kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman nicht und wird weiterhin die Helden des Vertreibungskriegs gegen die serbische Minderheit im Lande decken.

Alleine, Seks' Grüße decken sich nicht mehr hundertprozentig mit den politischen Zielen der HDZ. Der bisherige Außenminister und HDZ-Spitzenfunktionär Mate Granic gilt als erbitterter Gegner von Seks und möchte nicht zuletzt um der europäischen Integration des Landes willen einen etwas liberaleren Kurs verfolgen.

Der Kampf um die Nachfolge Tudjmans hat begonnen und mit ihm der Spaltungsprozess der HDZ. Die einigende Kraft des Übervaters Tudjman ist hinüber, die Erben verwickelten sich in den letzten Wochen vor den Parlamentswahlen in einen erbitterten Kampf um die Thronfolge. Auffällig dabei ist die völlige Konzeptlosigkeit, was den künftigen politischen Kurs betrifft. Europäische Integration? Oder doch nicht? Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal? Oder vielleicht doch Isolation? Die HDZ weiß es nicht.

Wie vergiftet das Klima zwischen den wesentlichen Flügeln der ehemaligen Regierungspartei ist, zeigen die gar nicht netten Wortmeldungen von Seks und Granic der letzten Wochen. »Granic sorgt sich nicht um kroatische Interessen«, ließ Vladimir Seks verlauten, und der, der sich nicht um diese Interessen sorgt, konterte mit den Worten: »Die Kandidatur von Vladimir Seks zu den Präsidentenwahlen ist ein Schritt gegen die HDZ.«

Da blieb den HDZ-Werbestrategen vor den Parlamentswahlen eigentlich nur noch übrig, den toten Tudjman aus der Gruft zu holen. Ganz Kroatien wurde mit Plakaten zugepflastert, auf denen Tudjman mit einem Kind auf dem Schoß in die Gegend lächelt.

Die Promotion-Leichenfledderei aber wollte nichts nützen. Die Umfragen für jene Partei, die seit 1991 das Monopol aufs Regieren hatte, wurden immer schlechter. Denn die Opposition hatte der HDZ eines voraus: Sie war geeint. Das Mitte-Links-Bündnis aus Sozialdemokraten (SDP) unter der Führung des ehemaligen KP-Funktionärs Ivica Racan sowie den Sozialliberalen (HSLS) unter dem ehemaligen Dissidenten Drazen Budisa hatte schon vor mehr als einem Jahr die Notwendigkeit erkannt, gemeinsame Sache zu machen und gründete in Split ein Zweckbündnis. Die beiden Parteien erhielten zusammen immerhin 39 Prozent der Stimmen.

Selbst bei den Kroaten in Bosnien-Herzegowina konnten SDP und HSLS deutlich zulegen und erreichten dort 15 Prozent der Stimmen. Zwar bleibt in Bosnien-Herzegowina die HDZ mit rund 64 Prozent stärkste Partei; doch einige Sitze für die Auslandskroaten, die bisher fast automatisch der HDZ zufielen, werden nun an die neue Regierungskoalition gehen.

Die ehemaligen Oppositionsparteien wollen nun so schnell wie möglich die außenpolitische Isolation des Landes überwinden. Wichtigstes Ziel dabei ist die Aufnahme in die EU; die Verhandlungen lagen bisher wegen des autoritär-nationalistischen Kurses von Tudjman auf Eis. Der EU-Kommissar für Erweiterung, Günter Verheugen, hat bereits erste Zustimmung signalisiert. Ein demokratisches Kroatien sei als EU-Beitrittskandidat durchaus vorstellbar, sagte er vergangene Woche.

Und auch das trübe Verhältnis zu Den Haag soll sich endlich klären. Racan, der nach dem Wahlsieg nun Premierminister werden möchte, hat bereits angekündigt, sich verstärkt um die Aufklärung von Kriegsverbrechen zu kümmern. Er sei nicht glücklich darüber, dass einigen Leuten nicht der Prozess gemacht worden sei, sagte Racan Ende vergangener Woche. »Wir sollten niemand verteidigen, nur weil er Kroate ist.«

Außerdem in der neuen Regierungskoalition vertreten ist die so genannte Vierer-Allianz der kleineren Parteien: Bauernpartei (HSS), Liberale (LS), Kroatische Volkspartei (HNS) und die Istrische Demokratische Versammlung (IDS) erhielten zusammen 13 Prozent der Stimmen und gelten als weiter rechts stehend. Auch die kleinen Parteien unterstützen die außenpolitische Orientierung der Allianz. Die HDZ dagegen dümpelte bei 28 Prozent der Stimmen.

Trotz der wilden Zusammensetzung wird in der neuen Koalition vorerst Einigkeit herrschen. Zwar ist Franjo Tudjman ein toter Mann, die HDZ geschlagen und man verfügt über eine stabile Parlamentsmehrheit, die Strukturen des Staates von Tudjmans Gnaden aber können nicht ohne weiteres aufgelöst werden. Das Problem dabei: Die Verfassungsmehrheit hat man verfehlt, und genau diese Verfassung ist nach Meinung der neuen Regierenden die Wurzel allen Übels.

Schließlich hat sich der verstorbene Chef seinen Staat per Verfassung zurechtgeschrieben, sich selbst einen unheimlichen Machtspielraum gegeben, seine Günstlinge in sämtliche Bereiche der Verwaltung gesetzt und dafür gesorgt, dass auch bei einem eventuellen Mehrheitsverlust genügend Posten für HDZ-Protegés übrigbleiben.

Also muss die neue Regierungskoalition zuerst einmal die Vollmachten des Staatspräsidenten in der Verfassung aushebeln und dem Parlament einen gesellschaftlichen Stellenwert geben. Recht geschickt hatten die nunmehrigen Wahlsieger während des kurzen Wahlkampfes diese Forderung ins Zentrum gestellt und zum damaligen Zeitpunkt auch damit punkten können: Jeder halbwegs einsichtige Kroate erkannte die durch den Tod des Präsidenten entstandene Destabilisierung der Institutionen.

Bloß ist es eben nicht so einfach, die Rechte des Präsidenten zu beschneiden, wenn man mit der eigenen Parlamentsmehrheit keinen Zugriff auf Verfassungsänderungen hat. Möglich also wäre ein Handel mit der noch immer mächtigen HDZ: Die neuen Mächtigen einigen sich mit der künftigen Opposition darauf, die verbliebenen HDZ-Einflußzonen zu erhalten, keinen Frühjahrsputz gegen die allgegenwärtige HDZ-Korruption zu beginnen. Im Gegenzug stimmt die HDZ einer Verfassungsänderung zu Gunsten des Parlaments zu.

Aber auch das ist so sicher nicht. Am 24. Januar wird in Kroatien ein neuer Präsident gewählt, und da wird es höchstwahrscheinlich zu einer Stichwahl zwischen dem offiziellen HDZ-Kandidaten Mate Granic und dem Sozialliberalen Drazen Budisa kommen. Sollte Budisa diese Wahlen gewinnen, wird die neue Regierung plötzlich nicht mehr so fanatisch an einer Entrechtung des Präsidentenposten interessiert sein.

Die neuen Machthaber jedenfalls werden sich mit den alten Machthabern arrangieren. Der Tod Tudjmans war nicht umsonst.