Renaissance des Riot-Girls

Der Körper ist das Schlachtfeld in Luc Bessons »Johanna von Orléans«.

Frankreich pflegt einen besonderen Umgang mit seinen nationalen Musen; man denke nur daran, dass Laetitia Casta demnächst als Marianne in allen Bürgermeisterbüros hängt. Können Sie sich erinnern, wann Sie den letzten Rosa-Luxemburg-Film gesehen haben und ob der irgendwas mit Erotik zu tun hatte? (Zuletzt begegnete uns Luxemburg in »Der junge Indiana Jones«). Also jetzt - ein Denkmal in Bildern: »Johanna von Orléans«.

Sie solle sich endlich mal besteigen lassen, rät der britische Soldat in seiner Todesangst der kämpferischen Gegnerin Johanna. Ausdruck der Hoffnung, sie möge ihren Frieden im Bett und nicht auf dem Schlachtfeld machen und mit ihrer jugendlichen Unschuld auch ihre Kriegslust verlieren.

Doch Luc Bessons Johanna von Orléans, gespielt von L'Oréal-Prinzessin Milla Jovovich, weiß, warum solche Vorschläge nicht weiterhelfen, da sie ihre Unschuld schon in der Kindheit verlor: Vor Jahren wurde ihr Dorf von eben jenen Engländern überfallen, ihre ältere Schwester mit einem Schwert an die Tür gespießt und vergewaltigt. Johanna kann sich vor den Männern verstecken. Aber seitdem plagen sie schwere Schuldgefühle, sie flüchtet in die Religion. Hatte sie vor dem Überfall schon eine besondere Nähe zum Allmächtigen gespürt und war sie pro Tag drei Mal in die Kirche gelaufen, glaubte sie danach, seine Stimme selbst zu vernehmen. Sie sei »die Trommel Gottes«, auf der er seine Botschaften verkünde, und eine davon laute, sie solle die Engländer zum Teufel jagen. Ein Schwert, das sie auf einem Acker findet, ist für sie ein Zeichen.

Die 17jährige macht sich auf zum Dauphin (John Malkovich), dem späteren Charles VII., der sich nur allzu gern in der Kathredale von Reims krönen lassen würde. Doch im Vertrag von Troyes von 1420 ist festgelegt, dass der Thron an England fallen soll. Der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich (1337-1453) tobt, und mit der blasierten Adelsclique um Charles ist er kaum zu gewinnen, denn die hat ihre Untertanen längst zu Gunsten einiger kleiner Reichtümer im Stich gelassen. Um dem Konflikt die entscheidende Wendung zu geben, bedarf es der revolutionären Begeisterung der Soldaten.

In dieser Situation sucht Johanna den Dauphin auf und überbringt die Verheißung Gottes, sie werde Frankreich befreien und Charles die Krone verschaffen. In einer spannungsvollen Szene empfängt er Johanna. Doch weil man am Hof Attentäter fürchtet, versucht Charles Johanna zunächst zu täuschen und gibt seinen Adjutanten als Dauphin aus. Johanna durchschaut das Manöver; sie findet den richtigen in der Menschenmenge.

Während die Edelleute das Mädchen verachten, plädiert Charles' Schwiegermutter für deren Pläne. Die Jungfrau sei im Volk für ihre Prophezeiungen bereits bekannt und könne hilfreich sein. Charles lässt sich von Johanna überzeugen und stellt ihr Schwert, Schlachtross, Rüstung und Schreiber zur Verfügung, zunächst für die Befreiung der strategisch bedeutenden Stadt Orléans.

Dass Frankreichs Heere von einer Frau geführt werden sollen, stößt bei Engländern und Franzosen gleichermaßen auf Unverständnis. Nur, dass die Franzosen das Problem an den Hacken haben, derweil die Engländer sich amüsieren. Doch Johanna ist in ihrer gleißenden Rüstung eine imposante Erscheinung, und ihr Wesen duldet keinen Widerspruch. Man solle sich auf ihre Intuition verlassen, nicht auf lang und breit ausgearbeitete Schlachtpläne. Zunächst fordert sie die Engländer mehrmals auf, nach Hause zu gehen, erntet aber nur Hohn. Doch mit ihren Beschwörungen scheint sie die Franzosen zu verzaubern, die Schlacht beginnt, und so heftig und rasend haben die Männer noch nie gekämpft. Spätestens als das Mädchen nach einer schweren Verwundung am nächsten Tag wieder auf dem Schlachtfeld steht, folgen sie ihm ergeben und gewinnen ein Gefecht nach dem anderen.

Da vernimmt Johanna eine neue Stimme, die ihres Gewissens, das überzeugend von der Hollywood-Größe Dustin Hoffman gespielt wird: Was sie denn da für grausame Gemetzel angerichtet habe? Als ein französischer Soldat einen Engländer mit einer Stachelkeule erschlagen will, um sich seine Zähne zu sichern, sieht sie sich von großen moralischen Zweifeln befallen und verlangt eindringlich nach einer Beichte. Obwohl die Engländer bald darauf abziehen und die Stadt Orléans befreit wird, ist ihr Kampfgeist gebrochen. Er soll auch nicht mehr benötigt werden. Der Sieg hat Charles den Weg nach Reims freigemacht, wo nun die Krönung stattfinden kann. Die Engländer sind jetzt verhandlungsbereit, Johanna wird ausgeliefert. Die Kirche klagt sie der Ketzerei an, doch zugleich muss sich Johanna vor sich selbst rechtfertigen. Sie habe getötet, Zweifel an ihrer göttlichen Aufgabe seien mehr als angebracht. Johanna, die göttlich Berufene, nur eine Amokläuferin, wenn auch von höheren Weihen - den größten Kampf führt die Arme mit ihrem gespaltenen Bewusstsein.

Schuldig im Sinne ihres Gewissens wurde sie, als sie Realität selbst definiert hat. Denn die Rolle der politisch handelnden Frau ist in diesem Film schon von Charles' Schwiegermutter besetzt. Die Visionen des Bauernmädchens sind also eine ätzende Sache und werden bestraft. Das Gemeinwesen ist gerettet, der Preis für das Kettenhemdmassaker war mörderisch. Die exzessive Schluss-Szene - Gott hat sich verborgen, es hat ihn nie gegeben, und die, die ihn gebraucht hätten, müssen am meisten auf ihn verzichten. Seine vermeintliche Botin soll verbrannt werden. Wie der Kamerablick sie zu Beginn des Drei-Stunden-Epos mit elegischen Bildern erschuf, so zerstört er sie jetzt mit ebensolchem Aufwand. (Stunt-Koordinator Philippe Guegan: »Es war sehr heiß. Jeder ging durchs Feuer - der Regisseur, die Assistenten, die Elektriker, alle« - genauso sieht es aus.)

Luc Besson hat mit dem oftmals verfilmten Stoff eine gewaltige Orgie veranstaltet: Der nationale Befreiungskampf dreimal schlimmer als gewohnt (z.B. aus »Braveheart«), die Herzklappen flattern, das Taschentuch liegt bereit - man hat sich benommen, als stünden die Nazis vor Paris. Seine Johanna steht nicht da mit großen fragenden Augen wie einst Ingrid Bergman, sie ist der Erzengel selbst, und Jovovich spielt sie, wie wir uns Klaus Kinski in der Rolle vorstellen würden. Da läuft vor Wut der Sabber runter, sie schreit und hüpft wie von Sinnen durch die Bauten. Und Besson immer mit der Handkamera hinterher, mitten in die Schlacht hinein und abgefeiert.

Was ein Film: Besson zeigt den Teenager der Renaissance als Opfer der Politik. Das schöne junge Mädchen, sein Körper ist das Schlachtfeld, das ist die Botschaft. Um das zu unterstreichen, fährt Besson einen Haufen Spezialisten auf, um die Verbrennung zu inszenieren; eine Horrorfilmszene, in deren Verlauf genau gezeigt wird, wie die einzelnen Körperteile verschmoren und wie der Schmerz unerträglich wird.

Ein letztes Augenzwinkern in dieser großen, bunten Hoffnungslosigkeit gönnt Besson den Zuschauern gerade doch noch. Nicht zuletzt die lockere Rede, das irre Spiel der Darsteller und der Umgang mit der Gewalttätigkeit weisen ab und zu eine gewisse ironische Distanzierung auf: Hier und da darf gelacht werden. Ironie Nummer zwei: Frankreichs nationaler Abwehrkampf wurde von einer amerikanischen Filmgesellschaft finanziert. Gerade von jener Filmindustrie, der sich die Franzosen so vehement verweigern wollen. Die Amerikaner liefern die Waffen zur eigenen Niederlage - Milla von Orléans schlägt nicht nur die Truppen von England in die Flucht, sondern auch die von Hollywood!

»Johanna von Orléans«. F/USA 1999. R: Luc Besson, D: Milla Jovovich, John Malkovich, Faye Dunaway, Dustin Hoffman, Pascal Greggory. Start: 13. Januar