Streetball im Nichtschwimmer

Unbekannte Sportarten IV: Aquaball. Einfache Regeln, jeder kann mitmachen, aufblasbare Tore - dem Aquaball gehört die Zukunft.

Der Oliver Bierhoff des Aquaballs heißt Dominik Esken von den Soester Haien. Ende September vergangenen Jahres schaffte Esken nämlich den ersten Sudden Death in der Geschichte dieser noch jungen Sportart.

Aquaball lässt sich am leichtesten als »Wasserball im Nichtschwimmerbecken« beschreiben: Die Akteure werfen im urinerwärmten Teil des Hallenbades mit großen Bällen herum. Soziologisch jedoch ist Aquaball eher so etwas wie »Streetball im Nichtschwimmer»: kaum organisiert, kaum reglementiert, für alle offen und eine Erfindung der Neunziger.

Dominik Esken brachte durch sein zum 4:3 führendes Sudden-Death-Tor in der Nachspielzeit des 1999er-Finales um die Deutsche Meisterschaft die Soester Haie zum Titelgewinn. Gegner war der Vorjahresmeister Berliner Haie, das Aquaball-Team des Kreuzberger Sportclubs Welle. Dominik Eskens Wembley-Stadion war das Kombibad Berlin-Mariendorf, und bei so viel historischer Vergleichbarkeit ist es ein Muss, dass ein Tor - das 1:0 für die Soester bereits nach wenigen Spielminuten - sehr umstritten war und als das »Mariendorf-Tor« in die Aquaball-Geschichte eingehen wird.

Soweit zur wirklichen historischen Dimension. Das Spektakel wird jedoch verharmlost. »Eine richtige Meisterschaft ist das ja nicht«, relativiert Wolfgang Lehmann vom Deutschen Schwimmverband (DSV), »es gibt keine Wettkampfordnung und keine Statuten.« Lehmann weiß es, denn er hat das Spiel 1995 selbst erfunden. Damals erwartete der Schwimmverband von dem Sportwissenschaftler, der als hauptamtlicher Breitensportreferent in der DSV-Geschäftsstelle in Kassel arbeitet, Ideen, wie möglichst viele und möglichst jugendliche Mitglieder gewonnen werden könnten. Man suchte die Antwort des Schwimmsports auf das populäre Streetball, das dem Basketball einen immensen Popularitätsschub verschafft hatte. Anforderungen waren: Einfache Regeln (beim Aquaball bestehen sie aus gerade fünf Sätzen), wenig Ausrüstung (ein Ball und ein aufblasbares Tor), und auch Untrainierte sollten jederzeit sofort mitmachen können (flaches Wasser).

Heraus kam ein Spiel vier gegen vier, bei dem ein Ball auf ein wie ein Schlauchboot ausschauendes Tor geworfen wird. Der jeweils Ballführende darf sich jedoch nicht bewegen, seine drei Teamkollegen müssen sich dagegen gehend oder schwimmend im brusttiefen Wasser verteilen. »Alle sind spielerisch in Bewegung, und niemand kann ein Spiel allein entscheiden«, erklärt Lehmann.

Dass Aquaball - anders als das ansonsten identische Poolball, eine vor allem im Raum Baden-Württemberg verbreitete Variante - im Nichtschwimmerbecken gespielt wird, bringt noch weitere Vorteile mit sich: Es ist weniger anstrengend, die Sportler brauchen nicht mehr so viel Platz und so kann ein Aquaball-Turnier während des normalen Badebetriebes stattfinden. Männer und Frauen spielen zusammen, und ein Schiedsrichter ist meistens nicht nötig, denn die Teams sind dazu angehalten, alles selbst zu regeln.

Damit Aquaball populär wird, haben Lehmann und sein DSV in den vergangenen zwei Jahren eine »Champions Tour« durch Deutschland organisiert, eine Art PR-Reise: Allein von März bis Oktober 1999 spielten in zehn verschiedenen Orten insgesamt 28 Mannschaften gegeneinander. Stets fand man in den jeweiligen Hallenbädern interessierte Schwimmer, an die Broschüren verteilt wurden und die eingeladen wurden, das Spiel mal auszuprobieren.

Wer aber bloß unverbindlich mittun wollte, stieß sofort auf die erfahrenen Teams, die beinah die gesamte Champions Tour mitreisten. Außer den Soester und den Berliner Haien waren das noch die 1998er Finalisten von den Dachauer Dinos. Diese drei Teams bilden faktisch die Bayern-Bayer-BVB-Dominanz des Aquaball, sie bringen außer Finanzkraft (z.T. sogar eigene Tore!) auch die entsprechende Symbolik in den Sport. Wie es sich für eine aufstrebende Sportart mit Champions Tour und allem gehört, fanden beispielsweise Meisterschaftsfinale und Siegerehrung in der Hauptstadt statt. Bloß der Erfinder der neuen Sportart wird nicht müde, immer wieder alles klein zu reden. »Da trifft man sich vorher und grillt gemeinsam: So entsteht eine ganz neue Wettkampfkultur«, meint Wolfgang Lehmann, und ein Berliner Spieler ergänzt, was man sich darunter vorstellen muss: »Det det keen richtijer Sport is', siehste daran, det wir gestern bis nachts um vier in der Kneipe war'n.«

Nun sind Versuche, den Gegner zu schwächen, in dem man ihn von der B-Mannschaft unter den Tisch saufen lässt, in der Sportgeschichte so ganz neu auch nicht. Doch wer beim kollektiven Kneipenversacken nicht dabei war und bloß das Finale zwischen Soest und Berlin sah, bemerkte ohnehin nichts vom gemeinschaftsbetonenden Charakter des neuen Sports, sondern eher von ausgelebter Konkurrenz, vom Sport eben. Mit Unterhandwürfen und Hebern, Gewaltwürfen und Aufsetzern wurden die Torwarte arg geprüft, der Trainer der Soester trieb seine Mannschaft mit »Bewegung!»-Gebrüll übers Spielfeld, und die Frage, ob der Ball beim 1:0 für die Soester wirklich die Torlinie im vollen Umfang überschritten hatte, wurde seriös debattiert - erst im Diskurs entsteht das mythenumwobene »Mariendorf-Tor«.

Die Frauen beider Teams standen während des Finales hinter den Toren bloß als Reservespielerinnen bereit - wenn es hart auf hart kommt, ist auch Aquaball ein Sport für die starken Jungs mit den kräftigen Armen. »Klar, wenn die Wasserfreunde Spandau vorbeikämen, hätte keiner hier eine Chance«, räumt Lehmann ein, »aber für richtige Wasserballer ist es vielleicht nicht so attraktiv.« Vorstellen kann er sich, dass das Spiel dort im Nachwuchstraining eingesetzt werden könnte, weil es mehr den Mannschaftsgeist fördere und auch nicht so anstrengend sei.

Die aufblasbaren Tore (Stückpreis etwa 1 300 Mark) kommen aus Italien, wo sie im Wasserballtraining benutzt werden. Sie sind leicht zu transportieren und passen in jeden Kofferraum, weswegen man auch mal in einem See spielen kann. Ihr größter Vorteil aber ist im Vergleich zum Wasserball-Tor aus Aluminium ihre Weichheit: Klassische Torwartverletzungen sind so ausgeschlossen. Auf die Idee aber, dass die aufblasbaren Wasserballtore der Grundstock für einen ganz neuen Sport sein könnten, kam in Italien noch niemand. Bislang ist Aquaball eine rein deutsche Veranstaltung. »Wir versuchen eine Kooperation mit den Niederländern«, meint Lehmann. Auch an Österreich, die Schweiz und vielleicht Dänemark sei gedacht. So ist Aquaball schon auf dem Weg zu einer eigenen Sportart, und wenn die auch in anderen Ländern populär wird, könnte auch eine Liga konstituiert und eine Nationalmannschaft aufgebaut werden.

Dass man sich dann durchgesetzt hätte, wäre leicht zu erkennen. Zum einen, weil es in Soest gewiss eine »Dominik-Esken-Straße« gäbe. Zum anderen, weil dann ein bei Internet-Suchmaschinen sehr weit vorne rangierender Anbieter einer tatsächlich »Aquaball« genannten wassergetränkten Kugel, mit der man Briefmarken befeuchten kann, sich für sein Bürogerät einen anderen Namen suchen müsste.