Tief des Euro

Überholen ohne einzuholen

Die Aussichten könnten für dieses Jahr kaum besser sein. In ganz Europa weisen alle Konjunkturdaten steil nach oben. Um rund drei Prozent wird 2000 voraussichtlich das Wachstum steigen, prognostizieren die führenden Wirtschaftsinstitute. Alles prima, wäre da nicht ein winziger Schönheitsfehler: Seit seiner Einführung vor einem Jahr hat der Euro rund 14 Prozent seines Werts verloren.

Dabei eilte der Dax in den vergangenen Wochen von einem Hoch zum nächsten. Auch in Frankreich feiert die Börse Rekord-Ergebnisse. Selbst den Sorgenkinder geht es prächtig: Spanien erlebt ein kleines Wirtschaftswunder, Griechenland ist auf dem besten Wege, die Euro-Kriterien zu erfüllen. Wenn also die Bedingungen prima sind, dann kann es nur eine Erklärung für das Euro-Tief geben: Woanders sind die Aussichten noch besser.

In der Tat sind die Konjunkturdaten in den USA derzeit fast unschlagbar. In diesem Jahr wird das Wachstum mit 3,8 Prozent fast doppelt so hoch sein wie in Europa. Die Vereinigten Staaten befinden sich in der längsten Boomphase des Jahrhunderts. Ein Ende ist immer noch nicht abzusehen. Im Gegenteil. Die größte Gefahr für die US-Wirtschaft besteht derzeit darin, dass sie noch schneller wächst - und die Inflation wieder steigen könnte.

Doch solange die Gewinnaussichten in den USA besser sind als in Europa, werden auch weiterhin die Kapitalanlagen in diese Richtung fließen. Der Chef der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, wird daher nicht müde zu betonen, dass politische - nicht ökonomische - Gründe für die Euro-Schwäche ausschlaggebend seien.

Noch immer würden die europäischen Regierungen zu viel regulieren und zu wenig liberalisieren, zu wenig sparen und zuviel intervenieren - wie etwa bei Holzmann. Klar, dass deshalb die Anleger auf Nummer sicher gehen und ihr Kapital dort anlegen würden, wo allein der Markt regiert. Eben in den USA.

Allein, die monotone Forderung aus Frankfurt, nun endlich konsequent der neoliberalen Doktrin zu folgen, kann in einem sozialdemokratisch verwalteten Europa nicht umstandslos angewendet werden. Die Regierungen in Berlin und Paris können nicht die Restbestände ihres sozialstaatlichen Inventars aus dem Fenster werfen, ohne zumindest den ideologischen Schein zu wahren.

Sie stehen vor einem Problem, an dem ein anderer Wirtschaftsblock vor nicht allzu langer Zeit gescheitert ist: Die Euro-Staaten müssen Produktivität und Rendite-Erwartungen des US-Wirtschaftsraums übertreffen, ohne die identischen Methoden anzuwenden. Überholen ohne einzuholen, hieß das einmal.

Entsprechend laviert beispielsweise die Berliner Rot-Grün-Regierung: Zuerst organisiert sie eine patriotische Rettungsaktion für das Pleite-Unternehmen Holzmann. Wenige Wochen später folgen Pläne, nach denen Banken und Versicherungen künftig keine Steuern mehr für ihre Gewinne beim Verkauf von Industriebeteiligungen zahlen müssen - was den Finanzinstituten einen Spielraum schafft, von dem sie bis vor kurzem nicht einmal zu träumen wagten. Ähnlich agieren auch die französischen Sozialisten, die zwar gerne die Notwendigkeit politischer Regulation betonen, real aber privatisieren wie keine Pariser Regierung zuvor.

Eine erfolgversprechende Strategie. Die liberalisierte Euro-Zone könnte schon bald die US-Wirtschaft an Dynamik übertreffen. Der Euro-Kurs würde sich dann von alleine anpassen. Und der sozialdemokratische Liberalismus wäre in Europa etabliert.