Alles bleibt anders

Die französischen Verfassungsrichter haben das Gesetz zur 35-Stunden-Woche grundsätzlich bestätigt - und gleichzeitig wesentliche Änderungen zu Gunsten der Unternehmer vorgenommen.

Fast alle wichtigen Akteure freuten sich vergangene Woche nach dem Urteil des französischen Verfassungsgerichts zum Aubry-Gesetz. Die linke Koalitions-Regierung jubelte, dass ihre ehrgeizige Gesetzesvorlage grundsätzlich akzeptiert wurde. Die Arbeitgeberverbände zeigten sich wiederum beglückt darüber, dass die Richter wesentliche Änderungen zu ihren Gunsten vorgenommen haben.

Nach dem Richterspruch tritt die 35-Stunden-Woche zwar ab dem 1. Februar für die Beschäftigten kleiner und mittlerer Unternehmen in Kraft - die anderen müssen noch bis zum Jahresanfang 2002 abwarten. Doch die Auflagen der Verfassungsrichter könnten jetzt der Reform neue Hindernisse bereiten.

Die französischen Gewerkschaften hatten die 35-Stunden-Woche bereits seit Ende der sechziger Jahre gefordert; sie war ursprünglich als eine »rein soziale«, progressive Reform gedacht, die der Lebensqualität der Beschäftigten und dem Abbau der Arbeitslosigkeit dienen sollte.

Für den konservativen Flügel der Kapitalverbände war die »Aubry-Reform« hingegen von Beginn an ein rotes Tuch - schließlich hatte die Politik den Wirtschaftsführern nicht in »ihre Angelegenheiten« hineinzureden. In den letzten Jahren zeigte sich jedoch der modernisierungswillige Flügel der Unternehmer dem Vorhaben gegenüber aufgeschlossen. Allerdings aus einer ganz anderen Intention heraus: Sie nahmen die Forderung nach einer mäßigen Verkürzung der Arbeitszeit zum Anlass, um auf »flexiblere« Organisationsformen und längere Maschinenlaufzeiten in der Industrie bzw. Öffnungszeiten für Dienstleistungs-Betriebe zu drängen.

Als Anfang Oktober 1997 der gerade gewählte Premierminister Lionel Jospin Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zum »Sozialgipfel« in seinen Amtssitz bestellte, betonte er, dass die Beschäftigten für die anvisierte 35-Stunden-Reform auch »Gegenleistungen« zu erbringen hätten. Die genauen Modalitäten sollten Gewerkschaften und Unternehmer unter sich aushandeln. Ansonsten beschränkte sich die Regierung im ersten Aubry-Gesetz, das im Juni 1998 verabschiedet wurde, lediglich auf die Zusage von Subventionen: Betriebe, die sich tariflich auf die Einführung der 35-Stunden-Woche einigen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, sollten staatliche Zuwendungen erhalten.

Erst das zweite Aubry-Gesetz vom Dezember 1999 legt verbindliche Richtlinien fest, die es den Unternehmen (ab 20 Mitarbeitern) schwer machen, bei der 39-Stunden-Woche zu bleiben. Zugleich beinhaltete der neue Text Anreize für die Betriebe - er erlaubte den Unternehmen erhebliche Einsparungen bei den Sozialabgaben für die unteren und mittleren Lohngruppen.

Nach dem Willen der Regierung soll die konkrete Umsetzung der Refom vor allem auf Verhandlungen zwischen den »Sozialpartnern« beruhen. Um diese zu erleichtern, sah das zweite Aubry-Gesetz eine Übergangsfrist von zwölf Monaten vor: Beschäftigte, die innerhalb dieser Frist weiterhin 39 Stunden in der Woche arbeiten, erhalten dann zwar Überstunden-Zuschläge. Doch statt der üblichen 25 Prozent war nur ein zehn-prozentiger Lohn-Zuschlag vorgesehen. Diese Regelung sollte den Betrieben einen größeren Spielraum bei der Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung verschaffen.

Umgekehrt übte diese Regelung aber auch finanziellen Druck auf die Beschäftigten aus. Denn der Überstunden-Zuschlag sollte nicht an die Beschäftigten selbst fließen - sondern an einen öffentlichen Fonds, mit dem die Regierung wiederum die Einsparungen bei den Sozialabgaben finanzieren wollte.

Diese Bestimmung hat das Verfassungsgericht jetzt annulliert; Betriebe, die das Abkommen unterzeichnen, würden dadurch unzulässig bevorteilt. Damit entfällt jedoch für die Unternehmer ein wichtiger Anreiz für eine schnelle Einführung der Reform.

Denn diese haben grundsätzlich kein Interesse, Geld in einen staatlichen Fonds einzuzahlen. Der Überstunden-Zuschlag von zehn Prozent stört sie hingegen weit weniger: Die zusätzlichen Leistungen werden dann eben bei der nächsten Lohnerhöhung wieder eingespart.

Auch der zweite Einspruch der Verfassungsrichter stellt einen politischen Sieg für jenen Teil der Kapitalverbände dar, die sich in den letzten Monaten gegen die 35-Stunden-Reform aussprachen.

Bisher war vorgesehen, dass die betroffenen Branchen ein Jahr lang Zeit haben, um über Änderungen zu verhandeln. Die Frist wurde eingeräumt, weil das zweite Aubry-Gesetz in einigen Punkten - zu Gunsten der Beschäftigen - von der ersten Fassung von 1997 abweicht. Die »Sozialpartner« sollten damit genügend Zeit erhalten, um entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Doch diese zusätzliche Frist sei überflüssig, befanden die Richter: Im Namen der Vertragsfreiheit bleiben einmal beschlossene Abkommen gültig.

Die Auffassung der Verfassungsrichter bestätigte den Arbeitgeberverband Medef in seiner harten Haltung. Seit Monaten zieht dieser gegen die »staatliche Einmischung« zu Felde. Seit November letzten Jahres mobilisiert der Arbeitgeberverband für eine Verfassungsänderung und spricht sich für eine Art Tarifautonomie nach deutschem Vorbild aus.

In der nächsten Zeit drohen daher erhebliche Schwierigkeiten bei der Einführung der Arbeitszeitverkürzung - Konflikte zwischen den »Sozialpartnern« sind programmiert, da die Position der Unternehmer erheblich gestärkt wurde.

So erreichten die Lkw-Unternehmer Anfang letzter Woche durch eine zweitägige Grenzblockade, dass das Aubry-Gesetz nur in abgemilderter Form auf ihre Branche angewandt wird. Demnach sollen künftig den Transportunternehmen selbst dann die staatlichen Finanzhilfen zugute kommen, wenn sie ihre Beschäftigten bis zu 48 Wochenstunden arbeiten lassen. Die Gewerkschaften reagierten mit großer Empörung auf die Vereinbarung zwischen dem kommunistischen Transportminister Jean-Claude Gayssot und den Arbeitgeberverbänden. Ab dem 31. Januar rufen sie die Beschäftigten zum Streik auf.