Dumm gelaufen

Über die bewusste Umprogrammierung eines schwer atmenden Fasses zum dünnen Durchhalter - das Buch zum Außenminister.

Außenminister Joseph Fischer hat ein Buch namens »Mein langer Lauf zu mir selbst« geschrieben. Wovon es handelt, hat wohl am prägnantesten Alexander Osang im Spiegel zusammengefasst: »Erst war ich dick, dann war ich dünn. Dünn ist besser.« Osangs Zusammenfassung ist sachlich richtig, wesentlich mehr steht in der Tat nicht drin. Dennoch schmeichelt sie Fischer zu sehr. Denn je genauer man sich Fischers Buch durchliest, desto weiter möchte man weglaufen.

Joseph Fischer läuft beinahe jeden Tag. Früher hat er es nicht getan, doch irgendwann veränderte er sich, zumindest äußerlich. Aus »einem schlanken und ranken jungen Mann«, der »noch hübsch anzuschauen« war, wurde ein »Mops«, ein »Rollmops«, »ein schwer atmendes Fass«, ein »barocker Dickbauch«. Und Mitte der neunziger Jahre trennte sich seine damalige Frau von ihm. Das findet Fischer noch heute, obwohl neu verheiratet, gemein. Zumal die Trennung bei ihm physikalisch Wunderliches auslöste: »Dieser Blitz traf mich aus heiterem Himmel, die Erde tat sich vor mir auf, der Himmel fiel mir auf den Kopf, und unter der Wucht der emotionalen Katastrophe zerbrach mein ganzes bisheriges Leben innerhalb kürzester Zeit.«

Nur der Sport rettete ihn damals, sonst »hätte der persönliche Absturz im wahrsten Sinne des Wortes gedroht« - den müsste man sich wohl so dramatisch wie den Bochumer Tagesbruch vorstellen. Doch Fischer weiß seine damals jämmerliche Existenz mit Witz, Humor und einer Prise Schalk darzustellen.

Als Dicker kam er »auf dem Fußballfeld nicht mehr ohne Sauerstoffzelt« aus, sein »Aktionsradius« beim samstäglichen Kicken war auf die »Größe eines Bierdeckels geschrumpft«.

Immerhin, sportlich war Joseph Fischer schon immer gewesen, schon »als kleiner Steppke« betrieb er Handball, Fußball und Radfahren. »Und auch - da sei nicht herumgeredet - meine linksradikalen siebziger Jahre in der Frankfurter Spontiszene und im Häuserkampf verlangten ein hohes Maß an körperlicher Fitness!« Wo Fischers Joseph nicht herumredet, ahnt der Leser schon, dass es verdammt ehrlich zugehen wird. »Es ist meine Geschichte. Man verzeihe mir also diese Ich-Bezogenheit, aber bei dem zu erörternden Thema und den zu schildernden Ereignissen lässt sich das einfach nicht anders machen.« Vulgo: Hier laufe ich, und schreiben kann ich auch nicht anders.

Über die erste Jahresbilanz des Ministers Fischer schrieb die Frankfurter Allgemeine, als rezensiere sie das Büchlein des Läufers Fischer: »Erheiternd war manchmal, dass er seine Erkenntnisse mit dem Eifer des Konvertiten als besonders neu und erregend darstellte.« Auch sein Laufbuch ist geschrieben mit dem Eifer des Konvertiten, der früher Fleisch aß und Wein trank, jetzt aber aus sicherer Quelle erfahren hat, dass man auch Gemüse essen und Mineralwasser sowohl trinken als auch predigen kann.

Diese Botschaft bringt er seither penetrant unter die Leute. Als Fischer plötzlich schlank, gesund und sportlich daherkam, da erntete er, so nimmt er es jedenfalls wahr, nur Neid. Denn Joseph Fischer war »jetzt eine stille Bedrohung für all die zurückgelassenen Rollmöpse«. Dicke, dies weiß Fischer nämlich, »leiden an ihrem Zustand wie der sprichwörtliche Hund, sind meist kreuzunglücklich, empfinden ihren übergewichtigen Zustand subjektiv als ein bedrückendes persönliches Defizit«.

Bevor diese bei Westernhagen geklaute Dickenbeschimpfung zu viele Wählerstimmen kostet und er sich gar mit Rezzo Schlauch überwirft, nimmt sich Fischer lieber zurück. Er ist durchaus für Nahrungseinnahme: »Nun ist ja überhaupt nichts gegen ein gutes Abendessen zu sagen, ganz im Gegenteil, wenn man die Sache einigermaßen bewusst angeht.« Gegen Frühstück hat er übrigens auch nichts. Früher aß er »Schinken, Wurst, Käse, Eier, Speck, Butter, Brötchen«, heute nur noch: »Einen Teller mit saisonalem Obst, klein geschnitten, frische Ananas und eine Banane als jahreszeitlich unabhängiger fester Bestandteil an Obst, etwas fettarme Milch und Haferflocken dazugeben. Damit komme ich locker in den frühen Nachmittag, anschließend noch etwas Obst, 1-2 Bananen, Orangen, Äpfel, Melone, Trauben, Beeren etc. oder was immer der Garten und die Jahreszeit gerade hergeben.«

Alle sollen essen, was Joseph Fischer isst. Das ist der ernährungswissenschaftliche Teil von Fischers Laufbuch. Im sportpsychologischen Teil geht es ähnlich zu. Was er gemacht hat , sei eine »bewusste Umprogrammierung« gewesen. Soll heißen: »Das wirkliche Geheimnis meines Erfolges war das Auswechseln und völlige Neuschreiben meiner persönlichen Programmdiskette.« Alle sollen umkonditioniert werden, und wie man das trainiert, hat Joseph Fischer auch ausgearbeitet.

An »Vier Tugenden«, alle durchaus außenministerkompatibel, orientiert er sich: »Entschlossenheit, Durchhaltevermögen, Realismus, Geduld«. Daraus hat er seine Grundsätze abgeleitet: »Belüge dich niemals selbst! Meide immer deine Leistungsspitze! Gib niemals auf! Eine einmal erreichte Entfernung wird nicht mehr unterschritten!« Den letzten, später hinzugekommenen Grundsatz hat er, als er zum ersten Mal 16 Kilometer gelaufen war, wieder gestrichen.

Aber seine speziell für autoritäre Zwangscharaktere ausgetüftelten »Tugenden« begleiten ihn bis heute auf den Laufstrecken in aller Welt. »Es kam allein auf die Tatsache des Anfangs und des Durchhaltens an«, »Geduld ist angesagt, Geduld und nochmals Geduld - und Durchhalten«, »... dass gute Trainingseinheiten weh tun müssen, und ergo biss ich die Zähne zusammen und kämpfte mich jeden Tag erneut durchs Morgengrauen«, »... mental ging es mir aber gar nicht gut, was mich angesichts der selbst auferlegten Herausforderung aber weder verwunderte noch groß beunruhigte«.

Von einem Gespräch mit dem zweifachen Marathon-Olympiasieger Waldemar Cierpinski berichtet Fischer: »Ich fragte den Meister, was denn seiner Meinung nach das Wichtigste sei bei einem Marathon, und Waldemar Cierpinski sagte darauf nur ein Wort: 'Disziplin!'« Als sich Joseph Fischer entschieden hatte, einen Marathon zu laufen, checkte er die Termine. Der Berlin-Marathon passte nicht, »weil dieser Termin vierzehn Tage vor der Bundestagswahl lag, was viel zu riskant war. Man stelle sich nur ein immerhin nicht auszuschließendes läuferisches Desaster wenige Tage vor der Wahl vor. Dies wäre politisch ein nicht zu verantwortender Alptraum geworden.«

Denn Fischer läuft nicht, wie er an ganz vielen anderen Stellen des Buches glauben machen will, für sich, sondern für die Partei, dafür, dass ihn seine neue Frau leidlich jugendlich findet, und vielleicht auch dafür, dass ihn seine Außenministerkollegen in wenigstens einem Punkt interessant finden. An einer Stelle notiert er, und kein Lektor hatte einen Einwand: »... das Laufen wurde fortan zur Passion, ja, mehr und mehr sogar zu einer regelrechten Obsession.« Dieses letzte Wort - Obsession - übersetzt der Duden mit »Zwangsvorstellung«, und Fischer soll froh sein, dass Alexander Osang diese Stelle überlesen hat.

Joschka Fischer: Mein langer Lauf zu mir selbst. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1999, 175 Seiten, DM 29,80