Gnade Gott den Gotteskriegern

Nach dem Ende des Amnestie-Angebots an die islamistischen Terroristen will der algerische Staat Stärke zeigen. »Gemäßigte« Islamisten werden integriert.

Genau um 23.59 Uhr lief am vergangenen Donnerstag in Algerien das Amnestie-Angebot an die islamistischen Terroristen aus. Der blutige Konflikt, der das nordafrikanische Land seit acht Jahren erschüttert und 100 000 bis 200 000 Todesopfer gekostet hat, trat damit in eine neue und möglicherweise entscheidende Phase.

Für jene Angehörigen bewaffneter Fundamentalistengruppen, die das mit großzügig bemessenen Bedingungen versehene Amnestie-Angebot annehmen mochten, war die letzte Frist abgelaufen. Für die nächste Etappe, die am Freitag um 00.00 Uhr begann, hatte Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika im Vorfeld »hartes Zuschlagen« gegen Terroristen angekündigt, die sich »unbelehrbar« zeigen und im Maquis verbleiben sollten.

Das Gesetz, dessen offizielle Bezeichnung »Gesetz für die Wiederherstellung der inneren Eintracht« lautet, war am 13. Juli vom algerischen Parlament angenommen und am 16. September 1999 per Referendum vom Wahlvolk angenommen worden (Jungle World, 39/99). Danach haben islamistische Terrorgruppen bis zum Jahreswechsel 750 bis 800 Menschen - darunter rund 120 Polizisten und Militärs - ermordet. Meist kamen die Täter aus den Reihen der GIA (Bewaffnete Islamische Gruppen). Kein einziges höheres Führungsmitglied dieser Gruppe hat das Amnestie-Angebot angenommen.

Zwei Tage vor Auslaufen des Amnestiegesetzes war das Problem der »Islamischen Rettungs-Armee« AIS zu einer Lösung gekommen. Diese der Fundamentalistenpartei FIS (Front Islamique du Salut, Islamische Rettungsfront) nahe stehende bewaffnete Gruppe gab am Dienstag letzter Woche in einem Kommuniqué ihres »Emirs« Madani Mezrag ihre Auflösung bekannt. Am Vortag hatte Präsident Abdelaziz Bouteflika in einem Dekret eine General-Amnestie für alle Mitglieder der AIS verkündet sowie angeordnet, dass deren Mitglieder ihre staatsbürgerlichen Rechte in vollem Umfang behalten können.

Durch diese Bestimmungen werden die Angehörigen der AIS deutlich besser gestellt als durch das Amnestiegesetz, das eine »Bewährungs-Kommission« vorsieht, die jene islamistischen Terroristen, die ihre Waffen niederlegen, individuell beobachten soll. Alle, die an kollektiven Massakern und Sprengstoff-Attentaten auf öffentlichen Plätzen beteiligt waren, sollen von der Amnestie ausgeschlossen bleiben; ihnen wird allerdings garantiert, weder hingerichtet noch mit lebenslanger Haft bestraft zu werden.

Diejenigen, die »Bluttaten« und Vergewaltigungen auf dem Gewissen haben, sollen eine mehrjährige Bewährungsfrist erhalten, bevor sie definitiv amnestiert werden. Für drei bis zehn Jahre sollen ihnen bestimmte staatsbürgerliche Rechte - namentlich jenes auf politische Betätigung - aberkannt worden. Die übrigen Ex-Terroristen hingegen, denen keine direkte Beteiligung an Morden oder Massakern nachgewiesen werden konnte - und in diesem Nachweis lag oftmals die Schwierigkeit -, sollen sofort in den Genuss der vollen Amnestie kommen.

Mit dieser Sonderregelung wird die AIS offenbar für das Abkommen belohnt, das sie am 11. Juli 1997 mit der algerischen Armee geschlossen hat und dessen genauer Inhalt bis heute geheim ist. Schon das Amnestie-Gesetz hatte in seinem Artikel 41 vorgesehen, dass keinerlei staatliche Maßnahmen gegen Mitglieder einer Organisation vorzunehmen seien, »die aus eigenem Antrieb den Gewalttaten ein Ende gesetzt und sich dem Staat zur vollen Verfügung gestellt hat«. Auf diesen Artikel 41, der eindeutig die Beteiligung der AIS am Kampf gegen die GIA meint, bezieht sich das letzte Präsidenten-Dekret als juristische Grundlage.

Die GIA, deren Mitglieder sich zum großen Teil aus dem kriminellen Milieu der städtischen Armenviertel und aus der Jugend der Vorstädte rekrutieren, stellt jene islamistisch ausgerichteten Terrorgrüppchen zusammen, die seit 1993/94 zunehmend der Kontrolle des politischen Islamismus entglitten sind. Das Abkommen zwischen Armee und AIS beinhaltete offenbar, dass die islamistische Truppe einen Teil ihrer Waffen behalten durfte, um neben der Armee gegen die GIA zu Felde zu ziehen.

Diese Sonderrolle scheint das Selbstvertrauen der islamistischen Truppe gestärkt zu haben. Am 3. Januar gab ein Kommuniqué des in Bonn lebenden FIS-Auslandschefs Rabah Kebir den »Stopp der Entwaffnung der AIS« und deren »Versetzung in den Mobilisierungszustand« bekannt. Als Grund hieß es, einige Klauseln des Abkommens zwischen Armee und AIS von 1997 seien nicht respektiert worden.

Eine Armee-Delegation eilte daraufhin in das Umland von Jijel zu Unterredungen mit der AIS-Führung um Madani Mezrag. Darüber, welche politischen oder materiellen Zugeständnisse der AIS bei dieser Gelegenheit erhielt, wurde in der Presse lediglich spekuliert. In Zeitungsberichten ist von Unterhaltszahlungen von monatlich 3 000 algerischen Dinar für frühere AIS-Kämpfer die Rede. Das entspricht rund 50 Euro, zwei Dritteln des algerischen Mindestlohns. Darüber hinaus, so heißt es weiter, sollen die islamistischen Veteranen eine einmalige Zahlung von 10 000 Dinar sowie eine Wohnung und einen Arbeitsplatz erhalten. Auch über ein vergoldetes Exil für AIS-Chef Mezrag in Saudi-Arabien wurde spekuliert. Und von möglichen Zugeständnissen politischer Art war die Rede.

Undementiert blieb vor wenigen Wochen ein Bericht der in London erscheinenden Arabisch-sprachigen Zeitung El-Scharq El-Awsat, in dem die angeblichen Bestimmungen des 1997er Abkommens zwischen AIS und Armee enthüllt wurden. Der Vertrag sieht demnach neben anderem eine Wiederzulassung des FIS unter neuem Namen und mit verändertem Führungspersonal vor. Diese Option hatte Präsident Bouteflika im Sommer letzten Jahres zunächst öffentlich so formuliert, dass alle direkt und indirekt in den Terrorismus verwickelten Führungspersonen ausgetauscht werden müssten. Im Laufe des Herbstes hatte er sie jedoch immer deutlicher verworfen. Im Dezember wurde dann allerdings in Algier nach mehrmonatiger Vorbereitung die Partei Wafa (Die Treue) gegründet. Vorsitzender ist Ahmed Taleb Ibrahimi, der pro-islamistische Kandidat der letztjährigen Präsidentschaftswahl, und die Partei scheint sich zu einem guten Teil auf den ehemaligen FIS-Apparat zu stützen.

Die AIS hat indes bis zum Abend des letzten Donnerstag ihre Stellungen in den Bergen um Jijel geräumt, die rasch von der Armee übernommen und zerstört wurden. In Jijel wie an den anderen Orten, an denen eine starke Präsenz der noch bestehenden Terrorgruppen verblieb, wurde Ende letzter Woche ein beeindruckendes Aufgebot an Polizei, Militär, Fallschirmjägern und Anti-Aufstands-Sondereinheiten zusammengezogen. Damit soll den verbliebenen »Gotteskriegern« der Garaus gemacht werden.