Weniger Vanille, mehr Schulden

Die Regierung Madagaskars hofft nach 25 Jahren wirtschaftlicher Stagnation auf einen Aufschwung. Ohne ein Entgegenkommen der Gläubiger wird daraus nichts.

Selbst die fliegenden Händler in Madagaskars Hauptstadt Antananarivo kommen zur Ruhe, nur noch wenige von ihnen bringen Produkte an den Mann oder an die Frau: Die Konkurrenz wird täglich größer. Die Landflucht bringt immer mehr Menschen auf der Suche nach einer neuen Perspektive in die ständig wachsende Metropole des ostafrikanischen Staates.

Im letzten Jahr konnte die viertgrößte Insel der Welt zum zweiten Mal hintereinander eine Wachstumsquote melden, die über dem Bevölkerungszuwachs lag. Mit knapp vier Prozent lag sie für 1998 sogar etwas höher als die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) prognostizierten 3,6 Prozent. Für 1999 liegen zwar noch keine endgültigen Zahlen vor, aber sowohl das Wirtschaftsministerium als auch der IWF rechnen mit einem Zuwachs deutlich über der Vier-Prozent-Marke.

Damit scheint das agrarisch geprägte Madagaskar den Weg zu einem stabilen Wachstum auf vorerst niedrigem Niveau einzuschlagen. Nach über zwei Dekaden der Stagnation ein positives Signal, denn auf weniger als ein halbes Prozent im Durchschnitt belief sich die madagassische Wachstumsquote in den vergangenen 25 Jahren. Das Pro-Kopf-Einkommen sank von 430 US-Dollar (1980) auf 260 US-Dollar (1998), die Armutsquote stieg im gleichen Zeitraum auf mindestens 70 Prozent.

Ursache für den ökonomischen Niedergang ist hauptsächlich der Verfall der Weltmarktpreise für die wichtigsten Exportprodukte. Kaffee, Vanille und Gewürznelken brachten in den letzten Jahren immer weniger Geld ein. Ein anderes Exportprodukt Madagaskars, der Rohrzucker, findet kaum noch Abnehmer, seit sich die EU zum weltweit führenden Zuckerexporteur entwickelt hat. Neue Exportprodukte wie Textilien, Garnelen und andere Meeresfrüchte konnten die Einbußen nur teilweise ausgleichen.

Die wirtschaftliche Talfahrt ist aber auch ein Ergebnis der Wirtschaftspolitik unter dem langjährigen Präsidenten Didier Ratsiraka. 1950 war Madagaskar unabhängig geworden, in den siebziger Jahren kam über Umwege ein staatssozialistischer Flügel des Militärs an die Macht - und mit ihm der Oberst Ratsiraka. In der Folge wurden die wenigen Großbetriebe Madagaskars verstaatlicht, Ratsiraka kündigte den Aufbau »strategischer Industrien« und die Stärkung des Agrarsektors an.

Der Aufbau der »strategischen Industrien« geriet schnell ins Stocken, die Nahrungsmittelproduktion ging sogar zurück. Als selbst das Grundnahrungsmittel Reis importiert werden musste, kam es 1986 auf Druck des IWF zu dem Beschluss, den Agrarsektor zu liberalisieren. Seit 1991 wird die Entscheidung durch ein neues Investitionsgesetz mit niedrigen Zöllen und Steuern umgesetzt.

Mit dem IWF hat sich die Regierung Madagaskars, das zu den 20 ärmsten Staaten der Welt zählt, darauf geeinigt, 46 Staatsunternehmen bis Ende Juni zu privatisieren. Weitere Betriebe sollen folgen. »Privatisierung« ist zum Lieblingswort von Premierminister Tantely R.G. Andrianarivo und Didier Ratsiraka geworden. Der ehemalige Militärherrscher wurde im Februar 1997 zum Präsidenten von Madagaskar gewählt. Nunmehr vertritt Ratsiraka einen »pragmatischen Kapitalismus, gewürzt mit ein wenig Sozialdemokratie«.

Die ersten Ergebnisse dieser Programme können sich, wie der IWF betont, sehen lassen: Die Inflation liege mit 6,2 Prozent in einem vertretbaren Rahmen, und die nationale Währung, der Franc Malagasy, habe in den letzten Jahren an Stabilität gewonnen. Das Strukturanpassungsprogramm wird abgefedert durch Kredite in Höhe von rund 100 Millionen US-Dollar, die in den Privat- und Finanzsektor, aber auch in den sozialen Bereich fließen sollen.

Noch bemängelt wird in Washington jedoch das Tempo der Privatisierungen. Weder das Telekommunikationsunternehmen Telma noch der Erdöl verarbeitende Monopolist Solima sind bisher wie geplant veräußert, und auch die nationale Fluglinie Air Madagascar fliegt noch im Staatsauftrag. Nun drängt der ehemalige Außenminister Herizo Razafimahaleo auf einen raschen Verkauf: In die marode Infrastruktur, in das Ökosystem, das unter der Zerstörung großer Teile des Waldbestands leidet, und in die Bildungseinrichtungen müsse dringend investiert werden.

Vor allem durch den Mangel an Verkehrswegen ist die wirtschaftliche Entwicklung Madagaskars stark eingeschränkt. Verfügte die Insel vor 25 Jahren noch über ein Straßennetz von 50 000 Kilometern, so ist davon heute gerade einmal die Hälfte übrig geblieben. Beim Bahnverkehr ist es nicht besser. 1998 zerstörte ein Taifun zahlreiche Brücken im Osten des Landes, die zum größten Teil nicht wieder aufgebaut werden konnten. Exportprodukte erreichen, wenn überhaupt, den wichtigsten Ausfuhrhafen Toamasina meist nicht fristgemäß, was den Ausbau der entsprechenden Wirtschaftszweige erschwert.

Hinzu kommt der ökologische Raubbau: Sollte sich das Abholzen der Wälder im gleichen Tempo wie bisher fortsetzen, droht die Insel in wenigen Jahren ohne Wald zu sein. Erosion und eine Versandung der Felder wären die Folge und würden die Landwirtschaft, von der die überwiegende Mehrheit der Madagassen lebt, empfindlich treffen.

Aus eigener Kraft kann Madagaskar die dafür notwendigen Mittel jedoch nicht aufbringen. Madagaskars Schulden belaufen sich auf rund drei Milliarden US-Dollar oder etwa 85 Prozent des Bruttosozialprodukts. Allein für den Schuldendienst mussten 1998 nach IWF-Angaben fast 40 Prozent der Staatseinnahmen aufgewendet werden.

Zweifellos würde Madagaskar - ähnlich wie die Nachbarstaaten Mosambik und Malawi - die Kriterien erfüllen, um in den Kreis der so genannten hoch verschuldeten Länder (HIPC), denen eine Schuldenstreichung in Aussicht gestellt wird, aufgenommen zu werden. Ein Weg, auf den auch Premierminister Andrianarivo hofft.