Zoran Djindjic

»Ethnische Staaten darf es nicht geben«

Bald ist es wieder so weit. Am 9. März will die serbische Opposition in Belgrad erneut auf die Straße ziehen, um damit den Sturz des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic zu erreichen. Es ist der vierte Anlauf in neun Jahren - am 9. März 1991 hatte die erste Anti-Milosevic-Demonstration stattgefunden. Zoran Djindjic ist Vorsitzender der Demokratischen Partei Serbiens. Neben Vesna Pesic und Vuk Draskovic war er einer der drei Sprecher des Oppositionsbündnisses Zajedno, das im Frühsommer 1997 zerfiel.

Einmal mehr sammelt sich die serbische Opposition. Sie waren bei dem Treffen der Demokratischen Allianz Anfang des Monats nicht dabei. Dafür hat sich Ihr alter Rivale Vuk Draskovic an die Spitze der Bewegung gesetzt. Haben Sie sich wieder versöhnt?

Ja. Deshalb haben wir uns auch auf die Form einer einheitlich auftretenden Allianz geeinigt, in der einzelne Parteien nicht mehr so stark in Erscheinung treten. Es ist nicht wichtig, welchen Posten ich habe - ob ich nun Präsident der Partei bin oder irgendetwas anderes. Überparteiliche Persönlichkeiten wie der frühere jugoslawische Notenbankchef Dragoslav Avramovic tragen dazu bei, dass wir als breite demokratische Opposition auftreten können.

Und Draskovic passt da mit rein? Immerhin war er bis zum Frühjahr Minister unter Milosevic.

Wir wollen als Demokratische Partei gemeinsam mit Draskovics Serbischer Erneuerungsbewegung, weiteren Organisationen und den Gewerkschaften Druck auf Milosevic machen, um endlich freie Wahlen zu erzwingen. Das ist für den Anfang genug. Avramovic vertritt diese Allianz nach außen.

Und Milosevic regiert weiter.

Die Frage ist, was die Alternative zu unserem Vorgehen sein sollte. Wir haben letztes Jahr versucht, Milosevic mit Demonstrationen zu schwächen. Das haben wir nicht geschafft. Jetzt muss sich die Opposition fester zusammenschließen, um dieses Ziel im Jahr 2000 zu erreichen.

Fehlt es Ihnen nicht einfach an einem Alternativprogramm zu dem Milosevics?

Nein. Es geht nicht um Programme - denn die sind klar. Die Alternativen heißen Isolation oder Integration. Während wir auf Integration in Europa setzen, will Milosevic Serbien weiter isoliert halten. Das wollen die meisten Menschen in Serbien schon lange nicht mehr. Die Frage ist nur, wie man den Übergang in die Zeit nach Milosevic friedlich gestaltet.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, dass ein Regierungswechsel in Serbien nicht »ohne Gewalt und nach demokratischen Spielregeln« ablaufen werde. Steht ein Bürgerkrieg bevor?

Sicherlich kein klassischer Bürgerkrieg. Ich fürchte aber, dass wir eine Welle von Repression erleben werden, ähnlich wie in Lateinamerika oder im Irak, wo Menschen verschwinden und Proteste gewaltsam aufgelöst werden. Ich muss allerdings fairerweise sagen, dass das in diesem Ausmaß noch nicht geschehen ist - und wir in den letzten zehn Jahren wenig Gewalt erlebt haben. Natürlich nicht in den Konflikten in Kroatien, Slowenien, Bosnien oder zuletzt im Kosovo, wo sehr viele Menschen umgekommen sind. Aber als Opposition in Serbien haben wir friedlich gelebt in diesen Jahren. Auch wenn wir befürchten, dass das jetzt zu Ende ist.

Die Opposition hortet also noch keine Waffen in den Kellern?

Das können wir gar nicht. Wir wüssten ja nicht einmal, gegen wen wir sie einsetzen sollten. Das ganze vergangene Jahr über waren Anhänger Milosevics auf den Straßen nicht mehr zu sehen. Natürlich sind da Polizisten, die aber nicht unsere Feinde sind, sondern einfache Beamte, die versuchen, unsere Demonstrationen aufzulösen. Sie schießen aber nicht. Deshalb kann man höchstens von einem kalten Bürgerkrieg sprechen, oder einem verbalen. Im Fernsehen unterstellt man uns, dass wir einen Bürgerkrieg vorbereiten. Von der Opposition aber wird die Gewalt nicht ausgehen.

Bis zu 200 000 Serben sind seit dem Nato-Einmarsch aus dem Kosovo geflohen. Roma, Katholiken und slawische Muslime werden vertrieben. Ist es da nicht plausibel, wenn serbische Offizielle ankündigen, Soldaten zurück in die Provinz zu schicken?

Ja, das ist es. Die Vereinten Nationen sind völlig unvorbereitet in das Kosovo hineingegangen und haben den Frieden dort immer nur militärisch verstanden. Man kann aber nicht eine Million Menschen aus den Kasernen regieren. Das Versagen der internationalen Organisationen hat dazu geführt, dass das Kosovo inzwischen fast ohne Serben ist.

Würden Sie den Nato-Krieg heute immer noch unterstützen?

Ich habe weder Milosevic unterstützt noch die Nato, sondern glaube, dass der Krieg ein Riesen-Fehler war. Nachdem er begonnen wurde, habe ich gefordert, dass er so schnell wie möglich beendet wird - und nicht zu fragen, wer daran Schuld trägt.

Daran, dass das Kosovo unabhängig wird, führt wohl trotzdem kein Weg vorbei.

Das glaube ich nicht. Wenn wir die Entwicklung weiterverfolgen in Richtung neue Nationalstaaten, würde das den ganzen Balkan in eine Krise stürzen: von Mazedonien über Bulgarien, Albanien und Bosnien bis nach Serbien. Ein Modell ethnischer Staaten darf es nicht geben - und wurde von den internationalen Staaten bislang auch nicht zugelassen. Allerdings halte ich es auch für unwahrscheinlich, dass das Kosovo in derselben Form wie vor dem Krieg nach Serbien zurückkehrt. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass die Provinz unendlich lange unter internationaler Kontrolle bleibt - für zehn Jahre: ja. Aber nicht für vierzig Jahre.

Was ich mir vorstelle, ist eine regionale Lösung - eine Art Europäische Balkan-Union mit weichen Grenzen und Zusammenarbeit in Wirtschafts- und Sicherheitsfragen. Ein stufenweiser Anschluss an die Europäische Union wäre realistisch. Das Kosovo wäre dann eine Region unter vielen auf dem Balkan - die einzige Möglichkeit, um in fünf oder zehn Jahren Frieden zu haben.

Im Kosovo und auch in Montenegro gilt inzwischen die Deutschmark. Wünschen Sie sich das auch für Serbien?

Sie gilt hier ohnehin als Parallelwährung. Wenn Sie eine Wohnung oder ein Auto kaufen, geht das nur mit Deutschmark. Mit dem Dinar lassen sich einfach keine Geschäfte machen. Aber das ist bereits seit zwanzig Jahren so - und fing an, als viele Jugoslawen zum Arbeiten nach Deutschland gegangen sind. Ob Serbien die Deutschmark nun nominell einführt oder nicht, ist deshalb nicht so wichtig. Wichtigste Währung bleibt sie ohnehin.

Nach dem Scheitern des Zajedno-Bündnisses 1997 haben Sie und Ihre damaligen Partner auf einen dritten Weg zur Ablösung Milosevics gesetzt: Gemeinsam mit dem montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic sollte der Regierungswechsel geschafft werden. Jetzt hat Milosevic Montenegro die Unabhängigkeit angeboten. Ist das das Ende Jugoslawiens?

Ich gehe davon aus, dass Milosevic das nächste Mal als Präsident in Serbien kandidieren wird - und nicht noch einmal für die Präsidentschaft ganz Jugoslawiens. Er will eine verfassungskonforme Lösung. Eine freiwillige Trennung von Montenegro würde ihm die Freiheit lassen, in einem neu definierten Serbien zu kandidieren - und dann bis zu seinem Lebensende Präsident zu bleiben. Aber das gibt natürlich auch uns die Chance, ihn daran zu hindern.

Sie haben seinen Rücktritt ja schon etliche Male prophezeit. Wie oft können Sie es sich noch leisten, Milosevics Rücktritt zu fordern?

So lange, bis er zurückgetreten ist. Das ist wie nach einer Fahrprüfung, bei der Sie durchgefallen sind: Sie versuchen es noch mal - so lange, bis Sie es geschafft haben. Wir werden uns auf keine Kompromisse mit Milosevic einlassen - er muss gehen.

Würden Sie nicht trotzdem eine kroatische Lösung vorziehen - wo Tudjman nicht mehr gestürzt werden musste, weil er vorher gestorben ist?

Das ist eine zynische Frage. Ich würde mir wünschen, dass wir Milosevic absetzen können. Was aus ihm persönlich wird, ist sein Problem. Unser Problem ist, dass er Präsident ist - ansonsten interessiert er mich überhaupt nicht.