Morden für den König

Nicht Kongolesen, sondern belgische Militärs haben den früheren Staatschef des Kongo, Lumumba, ermordet.

Es gibt nicht nur Märchenhochzeiten am belgischen Königshof, gelegentlich fallen auch Skelette aus dem Schrank. Eines davon trägt den Namen Patrice Lumumba - Symbolfigur der afrikanischen Unabhängigkeit gegen das Kolonialregime und erster demokratisch gewählter Staatschef des ehemals belgischen Kongo. Lumumba wurde am 17. Januar 1961 ermordet. Aber von wem?

Dieser politische Mord war der Auftakt zum Kalten Krieg in Afrika. Eine Affäre, die bis heute auch auf die Uno ein schlechtes Licht geworfen hat. Seinerzeit konnte eine Uno-Kommission nicht herausfinden, wer diese »Lumumba-Operation« organisiert und durchgeführt hatte. Später gaben sich Afrikanisten wie Historiker mit der Erklärung zufrieden, dass die Kongolesen selbst - freiwillig oder als Handlanger - verantwortlich waren.

Erst Anfang der achtziger Jahre brachten Nachforschungen der US-Historikerin Madeleine Kalb in den offiziellen US-Archiven zu Tage, dass der US-Geheimdienst Ende der Fünfziger mehrere Mord-Pläne verfolgt hatte, von denen freilich keiner erfolgreich war. Darunter der Versuch, Lumumba mit vergifteter Zahnpasta zu töten: Um die giftige Tube zum Einsatzort zu bringen, hatte sich der oberste Gift-»Wissenschaftler« der CIA, Dr. Sidney Gottlieb - vermummt als »Joe from Paris« -, nach Leopoldville, dem heutigen Kinshasa, begeben.

Der Soziologe Ludo de Witte von der Uni Leuven in Belgien, der schon vor drei Jahren eine erhellende Analyse der »Krise am Kongo« und des ersten Uno-Einsatzes in Afrika vorgelegt hatte, konnte nun den Mord an Lumumba mit hieb- und stichfesten Belegen aufklären: Zwar hatten alle westlichen Regierungen sowie Schlüsselfiguren im Uno-Apparat das Ihre dazu beigetragen, Lumumba aus dem Amt zu jagen. Vor Ort waren es jedoch die Belgier, die den Finger am Drücker hatten.

»Es war der belgische Kolonialminister Harold d'Aspremont Lynden selbst, der die Auslieferung des schon gefangen gesetzten Lumumba an Katanga befohlen hat, und damit an Lumumbas erklärten Todfeind Tschombé, den Anführer der Katanga-Sezessionisten. Am 16. Januar 1961 schickte er ein Telegramm an Tschombé, das die Operation beschleunigte. Ein kurzer Bericht aus dem Archiv des belgischen Außenministeriums, abgezeichnet vom damaligen Außenminister [Wigny], lässt daran keinen Zweifel mehr«, so de Witte.

Auch die praktische Durchführung war in belgischer Hand: »Der militärische Bereich des Flughafens von Katanga (im damaligen Elisabethville, heute Lubumbashi) war unter Kontrolle des belgischen Militärs; dort landete (am 17. Januar 1961) die DC-4 mit Lumumba an Bord und zwei seiner Leidensgenossen, dem Ex-Minister Maurice Mpolo und dem Vize-Vorsitzenden des Senats, Joseph Okito. Belgische Offiziere waren anwesend beim Ausladen 'des Pakets' - wie die Sendung der gefesselten Passagiere angekündigt war -; Lumumba wurde bei der Gelegenheit misshandelt, auch von einem belgischen Unteroffizier, der später erklärte, er habe 'lange auf diesen Augenblick gewartet'. Lumumba wurde in eine leer stehende Villa nahe am Flugplatz gebracht, und die drei Gefangenen wurden dort erneut gefoltert. Auch Katanga-Premier Tschombé und einige seiner Minister schlugen auf Lumumba ein. Belgische Offiziere waren verantwortlich für die Bewachung der Villa, und der belgische Militär-Befehlshaber von Katanga, Oberst Vandewalle, wusste genauestens darüber Bescheid, was mit Lumumba geschah.«

Unter belgischer Militär-Aufsicht wurden die drei dann ermordet: »Gegen 22 Uhr am gleichen Abend wurden die Gefangenen auf einen Jeep geladen und 50 Kilometer weit zu einem abgelegenen Platz gefahren. Der Fahrer des Jeeps war der belgische Polizeikommissar Verscheure. Der hat dann auch die drei, einen nach dem anderen, vor das Erschießungskommando geführt, das unter dem Befehl des belgischen Hauptmanns Gat stand. Die Körper der drei Gefangenen wurden regelrecht zerschossen. - Aber der ekligste Moment der Operation fand dann vier Tage später statt. Am 21. Januar erhielten der belgische Polizeikommissar Soete und sein jüngerer Bruder den Auftrag, die Leichen wieder auszugraben, zu zerlegen und die Stücke in Schwefelsäure aufzulösen.« Die Säure war aus einem Tank der belgischen Bergwerksgesellschaft Union Minière von Katanga geliefert worden.

Kongo-Forscher de Witte hat ein paar der endgültig aufklärenden Belege in den Archiven des belgischen Außenministeriums gefunden. Die meisten materiellen Details und Zeugnisse waren längst für Historiker zugänglich: Es handelt sich um Berichte und Memoiren von mehreren Tatbeteiligten, die keineswegs unter Verschluss gehalten wurden.

Ein Grund für das mangelnde Interesse an der Aufklärung der Affäre könnte das sehr direkte Interesse des Hofes und des belgischen Königs Baudouin gewesen sein, den Reichtum von Katanga in der Hand zu behalten. Schon in seinem ersten Buch zur Kongo-Krise hatte de Witte belegt, wie der König der Belgier höchst undiplomatisch und direkt beim damaligen Uno-Generalsekretär Dag Hammarskjöld interveniert und auf verschiedensten Wegen agitiert hatte, um Lumumba aus seinem Amt als Premier des gerade unabhängig gewordenen Kongo zu drängen.

Noch fehlen freilich einige Beweisstücke für das Interesse der allerhöchsten belgischen Instanz an der Beseitigung von Lumumba - aber es ist auffällig, wie demonstrativ die Tatbeteiligten danach vom Hof belohnt worden sind. Auf der Grundlage der vorliegenden Fakten, so de Witte, ließen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen: »Erstens, dass die politische Beseitigung von Lumumba sehr weit oben auf der Wunschliste von Baudouin stand. Und zweitens, dass der Umstand, dass einige der Hauptakteure in dieser Sache Blut an den Händen hatten, für den Hof kein Hindernis war, sich ihnen danach sehr dankbar zu zeigen für den 'guten Ablauf' der Kongo-Krise: Sie wurden befördert, in den Adelsstand erhoben, sogar direkt in die königliche Entourage aufgenommen.«

Harold d'Aspremont Lynden beispielsweise - als Neffe des Oberhofmarschalls ohnehin eine Figur des Hofes und von Adel - wurde von König Baudouin in den Hochadel berufen; nach seinem Ministeramt fungierte d'Aspremont als königlicher Berater. Über diese Figur liefen einige Fäden zusammen, die den Hintergrund der Kongo-Affäre und des Beginns des Kalten Kriegs in Afrika erhellen. Onkel Gobert d'Aspremont hatte nicht nur eine Schlüsselposition am Hofe inne, sondern als »Kommissar« auch in der allmächtigen Société Générale (SG) und ihren Filialen im belgischen Kongo; über den Neffen Harold d'Aspremont liefen die Gelder, mit denen die SG-Tochter Union Minière Tschombé und seine Katanga-Sezessionisten finanzierte.

Neffe Harold, nach einer Offizierslaufbahn seit 1950 Kabinettsmitglied unter aufeinanderfolgenden belgischen Premiers, war dort nicht nur Verbindungsmann zu den in- und ausländischen Nachrichtendiensten, sondern baute auch das »Gladio»-Untergrundnetz aus, das in ganz Westeuropa das Gespenst der kommunistischen Eroberung hinterrücks zu Fall bringen sollte.

Gestützt auf de Wittes Untersuchungen hat jetzt das flämische Fernsehen Zeit- und Tatzeugen befragt und so für Aufregung gesorgt. Freilich nicht bei den Belgiern oder gar bei den übrigen Europäern, sondern bei den Kongolesen. Die Aussage des ehemaligen belgisch-katangesischen Polizei-Offiziers, dass er kürzlich zwei Zähne von Lumumba - Souvenirs seines Auftrags, die Leiche zu beseitigen - auf einer Bootstour in die Nordsee geworfen hat, um das »ganze Getue« loszuwerden, passt in die royale Geschichtsbewältigung.