Nicht heiraten, nicht in die Nato

Tarja Halonen könnte die erste Frau im finnischen Präsidentenamt werden.

Und sei es nur, um mal ein bisschen Abwechslung zu haben«. Die Eigenwerbung der finnischen Sozialdemokratin Tarja Halonen fiel denkbar knapp aus. Dabei hat die 56jährige gute Chancen, bei den Stichwahlen am 6. Februar die erste finnische Staatspräsidentin zu werden. Im ersten Wahlgang war ihr eine Sensation gelungen, als sie 40 Prozent aller Stimmen erhielt. Damit hat sie sechs Prozent Vorsprung auf den Kandidaten der oppositionellen bäuerlichen Zentrums-Partei, Esko Aho. Die allgemein als Favoritin eingeschätzte Parlamentssprecherin Riitta Uosukainen erhielt lediglich 13 Prozent. Ihre konservative Sammlungspartei gehört zu den drei stärksten Kräften im Parlament. Auch die ehemalige Verteidigungsministerin Elizabeth Rehn, in Prognosen immer wieder als aussichtsreiche Kandidatin genannt, wurde im ersten Wahlgang enttäuscht: Sie erhielt knapp acht Prozent der Stimmen.

Tarja Halonen könnte die erste Frau im höchsten Amt Finnlands werden - obwohl sie all das verkörpert, was viele Finnen ablehnen. Halonen ist weder Mitglied der lutherischen Staatskirche, noch hat sie ihren Lebensgefährten Pentti Arajaervi geheiratet. Sie ist allein erziehende Mutter und hat mit ihrem Gegenkandidaten, dem vierfachen Vater Aho, der als Bauernsohn, überzeugter Christ und Traditionalist großen Rückhalt in den ländlichen Gebieten Finnlands hat, nichts gemein. Trotz der sozialdemokratisch geführten Regierung wählen die 4,2 Millionen finnischen Stimmberechtigten traditionell eher konservativ. Doch bei der nun anstehenden Stichwahl tun sich die Meinungsforschungsinstitute schwer damit, Vorhersagen zu treffen.

Halonens politische Karriere enthielt zunächst nichts, was konservative Wähler begeistern könnte: 1969 wählte man sie zur Generalsekretärin des finnischen Studentenverbandes, später war sie Vorsitzende von Seta, dem schwul-lesbischen Verband, der sich für mehr Rechte Homosexueller in Finnland einsetzt. 1974 wurde die Sozialdemokratin in das Sekretariat des Ministerpräsidenten berufen und fünf Jahre später in den Stadtrat von Helsinki gewählt. Seit 1995 ist sie »Chefdiplomatin«, also Außenministerin der regierenden »Regenbogenkoalition« des Sozialdemokraten Paavo Lipponen, der darauf hofft, dass Tarja Halonen gewählt wird. »Eine Frau, und eine sehr kompetente dazu,« sei die beste Besetzung für den Präsidenten-Posten, erklärt er immer wieder.

Halonen führt keinen politischen Wahlkampf, sie beschränkt sich auf persönliche Statements. Das muss reichen, um gewählt zu werden, »Ehe oder nicht, dass ist reine Privatsache«, findet Halonen, die ihre Chancen auf gar keinen Fall durch Konzessionen wie eine Blitzheirat verbessern will. Sie denkt, dass es an der Zeit sei, »dass auch alternative Lebensentwürfe in Finnland endlich als gleichwertig anerkannt werden«. Die Frau, deren rote Haarfarbe derzeit in jedem Artikel über die anstehenden Wahlen besonders erwähnt wird, setzt damit ihrem Kontrahenten bewusst ein realistisches Image entgegen. Aho predigt unermüdlich konservative Werte und fordert eine neue Moraldebatte. In Interviews äußert er mit Vorliebe Sätze wie: »Ich reise als Politiker viel. Aber für meine Kinder bin ich immer auf dem Mobiltelefon zu erreichen.«

Tarja Halonens Strategie scheint trotz Ahos Wahlkampf aufzugehen: Die Demoskopen halten es für nicht ausgeschlossen, dass sie auch in konservativen Kreisen gewählt wird. Dort sind es vor allem die Frauen, die beeindruckt davon sind, wie gut Halonen im christlich-fundamentalistischen Finnland als allein erziehende Mutter zurecht kam, und die eigentlich nur darauf warten, es den Männern zu zeigen. Ob deren Stimmen allerdings ausreichen, ist unklar, zumal es im Wahlkampf zunehmend um Sachthemen geht.

Die Tageszeitung Helsingin Sanomat schrieb in der vorigen Woche, dass der beeindruckende Vorsprung von Halonen real nur 170 000 Stimmen betrage, »800 000 Finnen, die im ersten Wahlgang für einen der drei anderen Kandidaten votiert hatten, werden sich Anfang Februar neu zu entscheiden haben«. Während Halonen zwar über die Unterstützung praktisch des gesamten linken Spektrums im Land verfüge, seien es aber in Wirklichkeit die konservativen Wähler, die über das Präsidentenamt entschieden. Und Halonen wählen werden - davon geht jedenfalls die sozialdemokratische Tageszeitung Demari aus, die die Kandidatin »praktisch als künftige Präsidentin« bezeichnet und darauf verweist, dass sie eine durchaus auch im konservativen und liberalen Lager geachtete Persönlichkeit sei. Da sei das Geschlecht doch wohl vollkommen egal. »Finnland war das erste Land, das den Frauen alle politischen Rechte gab«, betont auch die Juristin Halonen gern, »jetzt wollen viele auch eine Frau an der Spitze des Staates.«

Sollte Halonen tatsächlich zur Präsidentin gewählt werden, wird sie jedoch ein Amt ohne besondere Macht ausüben. Kurz nach der Wahl, am 1. März, tritt eine Verfassungsänderung in Kraft, nach der das Staatsoberhaupt weder in Fragen der Regierungsbildung noch der Aussenpolitik eine wichtige Rolle spielen wird.

Dabei spielt gerade die Außenpolitik finnischen Wahlforschern zufolge eine wichtige Rolle bei der Wählermeinung. Neben der Arbeitslosigkeit diskutiert man zur Zeit vor allem die traditionelle finnische Neutralität, die seit dem Zweiten Weltkrieg die Außenpolitik bestimmt. Ausgerechnet Max Jakobson, ehemaliger UN-Botschafter und einer der engsten Mitarbeiter des ehemaligen Staatspräsidenten Urho Kekkonen (1956-1982), hatte vor zwei Jahren die Debatte angestoßen.

Bei einem Vortrag in der staatlichen Hochschule des Heeres hatte er über die künftige Sicherheitspolitik Europas gesprochen und dabei erklärt, dass eine Nato-Mitgliedschaft sowohl für Schweden als auch für Finnland kurzfristig »unumgänglich« sein werde. »Schon im nächsten Jahr könnten die ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten Polen, Tschechien und Ungarn der Nato beitreten, und das würde dann auch andere Länder mitreißen, in einer Art sicherheitspolitischem Domino-Effekt: Kein Land wird danach auf sich selbst gestellt sein wollen, so völlig ohne Garantien, wie sie der Nato-Pakt enthält.« Jakobsons Szenario gleiche »bis aufs Haar den Geschehnissen, die dazu führten, dass die neutralen Länder Österreich, Finnland und Schweden der EU beitraten«, beschrieb die norwegische Tageszeitung Dagbladet den Vortrag. Die beiden neutralen Länder im Norden müssten bald nachziehen.

Kaum hatte Jakobson seinen Vortrag gehalten, da kamen auch schon die ersten Stellungnahmen finnischer Politiker. »Eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich« nannte Europaminister Ole Norrback von der Partei der schwedischen Minderheit einen Nato-Beitritt des Landes in absehbarer Zeit, während der Noch-Präsident Martti Ahtisaari Jakobsons Szenario als »schädlich für Finnland« bezeichnete. Darin war er sich mit seiner eventuellen Nachfolgerin einig. Denn auch Tarja Halonen fand die Vorstellung einer finnischen Nato-Mitgliedschaft »unerträglich«.