Wollt ihr den totalen Haider?

Die Koalitionsverhandlungen von ÖVP und SPÖ sind gescheitert. Selbst Jörg Haider ist verblüfft. Eine Regierungsbeteiligung kommt ihm zu früh.

Weg mit ihnen!«, »Dilettanten!«, »Frechheit!«, »Und das mit unserem Geld!« - Die ersten Reaktionen des gemeinen Fußvolkes auf das am Ende doch überraschende Ergebnis der Koalitionsverhandlungen fielen heftig aus. Zu Recht. Denn die »Chronologie des Scheiterns«, wie die Gespräche zwischen Sozialdemokraten und der Volkspartei in den Medien mittlerweile genannt werden, dauerte rekordverdächtige 110 Tage und brachte das schlechteste aller Ergebnisse: nämlich keines.

Zuletzt arteten die Sitzungen zwischen SPÖ und ÖVP zu einer Schlammschlacht aus. Die Beschimpfungen erfolgten längst nicht mehr hinter geschlossenen Türen, sondern öffentlich vor Millionenpublikum. Dennoch schien die Ratifizierung des »Koalitionspaktes« nur noch Formsache. Im Grande Finale überschlugen sich dann freilich die Ereignisse.

Doch der Reihe nach: Bei der Nationalratswahl am 3. Oktober 1999 rutschte die einst mit absoluter Mehrheit ausgestattete SPÖ auf 33 Prozent ab. Die ÖVP, bis dahin ewige Zweite, fiel um 415 Stimmen hinter Jörg Haiders FPÖ zurück. ÖVP-Obmann und Außenminister Wolfgang Schüssel bestätigte daraufhin die Absicht, mit seiner Partei in die Opposition zu wechseln. Die SPÖ aber weigerte sich weiterhin beharrlich, eine Koalition mit den Freiheitlichen einzugehen. Da herrschte große Ratlosigkeit. Was nun? Was tun? Die Stunde von Thomas Klestil hatte geschlagen.

Als erster Bundespräsident der Nachkriegsgeschichte griff er direkt in die Regierungsbildung ein und verordnete den drei Großparteien und den Grünen so genannte Sondierungsgespräche. Dabei sollten keinerlei Bündnisse geschlossen, sondern nur Sachfragen geklärt werden.

Eines war jedoch klar: Klestil übte Druck auf die ÖVP aus, sich gefälligst aus der Oppositionsecke zu bewegen und für eine weitere Legislaturperiode eine Rot-Schwarz-Koalition mit der SPÖ zu bilden. Schließlich wusste Klestil als erfahrener Diplomat, welche Reaktionen eine Regierungsbeteiligung von Jörg Haider im Ausland auslösen würde. Daher forderte er vehement »stabile Verhältnisse« ein.

Selbst die Kronen Zeitung, die bislang Jörg Haider unterstützt hatte, schwenkte um und schlug sich auf die Seite Klestils. ÖVP-Chef Schüssel hatte keine Wahl. Er musste sein Oppositionsversprechen zurücknehmen und teilte damit die intern ohnehin zerstrittene ÖVP in drei etwa gleich große Blöcke: Jene, die schon länger mit den »Blauen« liebäugelten, jene, die weiterhin auf der Oppositionsrolle beharrten, und jene, die es noch einmal mit Rot-Schwarz versuchen wollten.

Derart ohne Rückendeckung aus den eigenen Reihen, begann der Chef der Volkspartei zu pokern. Spätestens beim Beginn der Regierungsverhandlungen Anfang Dezember, zu denen sich Schüssel dann doch noch herabließ, wurde deutlich, dass es ihm vor allem um sein lang angestrebtes Ziel ging: Bundeskanzler zu werden.

Dass dies nur mit Haiders Gnaden, also in einer schwarz-blauen Koalition möglich sein würde, wusste auch die SPÖ. Devot biederte sich die stimmenstärkste Partei bei der drittstärksten Fraktion an. Rot-Schwarz um jeden Preis schien plötzlich die Devise zu sein. Schüssel wurde praktisch Narrenfreiheit gewährt.

Auffällig zurückhaltend zeigte sich in dieser Situation Jörg Haider. Nur selten nahm er zum Verlauf der Verhandlungen Stellung, streute fast ausschließlich staatsmännische Bonmots und bastelte an einem eigenen Regierungsprogramm.

In der Zwischenzeit wurde es Bundespräsident Klestil zu arg - er drängte auf ein Ergebnis bis zum Jahreswechsel. Als sich herausstellte, dass auch dieses Datum illusorisch war, gerieten die beiden Verhandlungspartner SPÖ und ÖVP zusehends unter Zeitdruck. Die Stimmung wurde gehässiger, die öffentlichen Beschimpfungen häuften sich. Erst wenige Tage alt und dennoch bereits legendär ist die Antwort von Finanzminister Rudolf Edlinger (SPÖ) auf die Forderung der Volkspartei, das Finanzressort an die »Schwarzen« abzutreten: »Eher würde ich meinen Hund auf eine Wurst aufpassen lassen als die ÖVP auf das Geld der österreichischen Steuerzahler.«

Wolfgang Schüssel und sein Team hatten den Kontakt zur Realität längst verloren. Mit provokanter Unverschämtheit feilschte man um Ministerposten. Zuerst wollte man den Sessel des Innen-, dann den des Sozial-, schließlich den des Finanzministers für sich beanspruchen - alles traditionell »rote« Ressorts. Die SPÖ schäumte vor Wut. Von Zurückhaltung war zu diesem Zeitpunkt keine Rede mehr.

Als auch noch der Österreichische Gewerkschaftsbund, mit 1,5 Millionen Mitgliedern die größte Interessensvertretung des Landes, sich am Ende weigerte, den »Koalitionspakt« zu unterschreiben, weil er die geplante Anhebung des Frühpensionsalters strikt ablehnte, war es um die Verhandlungen geschehen. In den frühen Morgenstunden des vergangenen Freitags wurde die rot-schwarze Koalition, die 13 Jahre überdauert hatte, endgültig zu Grabe getragen. »Nichts geht mehr« war den Gesichtern und Statements der gezeichneten Parteichefs zu entnehmen. Angeblich habe man sich bis zuletzt bemüht, Kompromisse zu erzielen.

Papperlapapp! In Wahrheit haben sich die Fronten mit jedem Verhandlungstag mehr verhärtet. Fast sieht es so aus, als hätten Schüssel & Co. vorsätzlich die Koalition scheitern lassen. Nun stellt sich die Frage, was sich die dahinsiechende Volkspartei von alldem verspricht. Und was will Schüssel erreichen? Neuwahlen?

Die wünscht sich nicht einmal Jörg Haider, obwohl seine FPÖ in neuesten Umfragen mit 32 Prozent bereits an erster Stelle steht. Doch die pole position kommt den Freiheitlichen eindeutig zu plötzlich. Aber wird sich eine Minderheitsregierung der SPÖ halten können? Dass sie für ihre eingebrachten Vorschläge und Programme keine Mehrheiten im Parlament finden wird, kündigten sowohl FPÖ als auch ÖVP bereits an. Warum sollten sie auch zustimmen?

Nun ist wieder Bundespräsident Thomas Klestil an der Reihe. Er diktierte Bundeskanzler Viktor Klima eine weitere Gesprächswoche, in der alle Parlamentsparteien miteinbezogen werden müssten - auch die FPÖ. Schon jetzt werden im Fernsehen und Radio Verfassungsexperten bemüht, die offen von einer Selbstauflösung des Nationalrats und von Notverordnungen des Bundespräsidenten sprechen.

Rein rechnerisch ist die Zukunft jedoch programmiert: Die beiden ehemaligen Großparteien haben in den letzten drei Monaten weiter an Sympathie bei der Bevölkerung verloren. Die Ansage: »Aber jetzt packen wir es an!« wurde schließlich zu einem: »Jetzt packen wir zusammen«.

Und Jörg Haider? Kein hämisches Grinsen, kein triumphierendes Gezeter. »Man soll alle Möglichkeiten einer breiten Mehrheitsbildung prüfen«, stammelte der leicht verdutzte FPÖ-Chef ins Mikro. Und seine Aussage: »Wir sind bereit« erscheint in diesem Zusammenhang auch etwas großmäulig. Haider hegt Bedenken gegen eine Regierungsbeteiligung: Dazu fehlt ihm eine solide Mehrheit. Sich mit einem Koalitionspartner zu arrangieren liegt ihm nicht, vorbei wäre es mit der Oppositionsrolle und dem populistischen Gegen-die-da-oben-Gehabe. Auch die üblichen verbalen »Ausrutscher« bekämen eine andere Tragweite. Dann wäre das, was eine immer größer werdende Anzahl Österreicher so an ihm liebt, dahin.

Denn eins ist sicher: Was Klestil und die Kronen Zeitung bis zuletzt nicht zulassen wollten, was die SPÖ lange zu verhindern versucht hat, ist kaum mehr aufzuhalten: die FPÖ als Nummer eins in Österreich. Der Dank dafür gilt den ehemaligen Großparteien. Jörg Haider, so scheint es, kann sich nun nicht einmal mehr selbst verhindern.