Exil am Golf

Die Warlords des bewaffneten politischen Islamismus in Algerien lassen sich abwickeln. Nur die nicht integrierte GIA sträubt sich noch.

Gesund und munter in einem vergoldeten Exil in Saudi-Arabien: So könnte schon bald das Schicksal des Chefs der Islamischen Rettungs-Armee (AIS), Madani Mezrag, aussehen. Denn nach der Selbstauflösung seiner Organisation im letzten Monat dürfte die Karriere des 40jährigen Kampfsport-Fanatikers auf der politischen Bühne Algeriens vorerst beendet sein.

Nach Informationen der in London erscheinenden Zeitung As-Scharq As-Aswat haben die Behörden des ebenso schwerreichen wie erzreaktionären Wüstenstaats der Aufnahme Madanis zugestimmt. Es wäre nicht das erste Mal, dass die ultra-puritanische Monarchie Saudi-Arabien - die großteils durch die im Lande militärisch präsenten US-Amerikaner kontrolliert wird - islamistischen Extremisten Unterschlupf oder anderweitige Unterstützung gewährt. Anfang der neunziger Jahre noch hatte Saudi-Arabien mit dem Iran um die Kontrolle der algerischen Islamischen Rettungsfront (FIS) rivalisiert, die zu bedeutenden Teilen durch saudische Gelder finanziert wurde.

Mezrag, der Mitte der achtziger Jahre zunächst an Lehrgängen für bewaffnete Islamisten in Libyen teilnahm - bevor das Regime von Mummar Gadaffi sich der ihm gefährlich gewordenen Verbündeten wieder entledigte -, hatte seit Ende der achtziger Jahre in Algerien fundamentalistische Sympathisanten und zurückkehrende Freiwillige von der anti-sowjetischen Front in Afghanistan um sich organisiert.

Seine Organisation AIS, der frühere bewaffnete Arm der FIS, hatte sich am 12. Januar dieses Jahres aufgelöst - kurz nachdem ihren Mitgliedern vom algerischen Präsident Abdelaziz Bouteflika eine Amnestie garantiert worden war (Jungle World, 4/00).

Doch nicht alle früheren Mitglieder der AIS fanden diese Aussicht erfreulich. So wurde Mezrag am Tag nach Bekanntgabe des Auflösungs-Beschlusses durch Schüsse am Arm verletzt. Die kamen aus den eigenen Reihen - abgegeben von einem seiner Berater. Schon zuvor war Kritik an Mezrag laut geworden: Während er für sich selbst ein goldenes Exil suche, vernachlässige er seine »Sache« ebenso wie seine bisherigen »Soldaten«. Seit dem versuchten Attentat jedoch hat man keine Neuigkeiten von Mezrag mehr vernommen. Befindet er sich noch in Algerien? Genaue Informationen hierzu sind derzeit nicht verfügbar.

Mezrag ist offenbar nicht der einzige islamistische Führer, dem Angehörige seiner eigenen Truppen ans Leder wollen. Nicht viel besser ergeht es allem Anschein nach Hassan Hattab, dem Oberhaupt der Salafitischen Gruppe für die Predigt und den Kampf (GSPC) - der Salafismus bildet eine Denkschule im sunnitischen Islam. Hattabs Gruppe hatte sich vor knapp zwei Jahren von den GIA (Bewaffnete Islamische Gruppen) getrennt, weil Hattab diesen vorgeworfen hatte, durch kollektive Massaker an der Zivilbevölkerung bisherige Sympathien für das islamistische Gesellschaftsprojekt zu zerstören.

Als am 13. Januar das auf sechs Monate befristete Amnestie-Angebot Bouteflikas auslief, befand sich Hattab gerade in Verhandlungen mit der Armee. Dabei sollten die Modalitäten geregelt werden, unter denen er mit einem Teil seiner Truppen - 130 Mann - die Waffen niederlegen sollte. Daraus wurde zunächst jedoch nichts: Am nächsten Tag fand man seinen Unterhändler auf - ermordet von Leuten aus den eigenen Reihen, drei ehemaligen Fallschirmjägern der Armee. Einige Tage später berichtete die Presse jedoch über eine Wiederaufnahme der Verhandlungen. Mittlerweile herrscht Funkstille, und von Hattab ist kein Lebenszeichen mehr zu vernehmen. Schenkt man der Tageszeitung Liberté Glauben, wurde er von seinen eigenen »Leutnants« gefangen gesetzt, da diese jegliche Kapitulation ablehnen.

Allein die GIA scheinen von solchen inneren Spannungen frei zu sein: Einige GIA-Gruppen setzen unbeirrt ihren Terror fort. Da Polizei und Armee aber Mitte Januar ein Großaufgebot rund um ihre verbliebenen Hochburgen zusammengezogen haben, scheint ihr Aktionsradius deutlich eingeschränkt zu sein. Seit Ablauf des Amnestie-Gesetzes wurde »nur« ein größeres Massaker vermeldet: Am Montag letzter Woche ermordeten die GIA an einer Straßensperre in der Nähe von A•n Defla, rund 100 Kilometer westlich von Algier, zwölf Zivilpersonen und verschleppten drei Geiseln.

In derselben Region im Nordwesten Algeriens kam es seit Mitte Januar immer wieder zu Zusammenstößen zwischen staatlichen Kräften und GIA-Einheiten. Bis Ende letzter Woche kamen dabei 52 Islamisten ums Leben - rund 20 Soldaten starben in den ersten Tagen der militärischen Operationen in einem Hinterhalt.

Die AIS als Organisation scheint nicht zusammen mit den staatlichen Kräften gegen die GIA zu kämpfen: Offenbar wird eine Klausel aus dem 1997 geschlossenen Abkommen zwischen dem algerischen Militär und der AIS, das letztes Jahr noch einmal erneuert worden war, nicht erfüllt. Darin hieß es, dass die Kämpfer der Islamischen Rettungs-Armee an der Seite der Armee gegen die GIA auftreten - und dafür einen Teil ihrer Waffen behalten sollten. Das Präsidenten-Dekret vom 11. Januar jedoch, das auch das Schicksal der AIS regelt, enthält dazu kein Wort. Mitte Januar hatte die anti-islamistische Tageszeitung Le Matin berichtet, Armee-General Fodil Scherif sei anlässlich eines Besuchs im ostalgerischen Bergland von Jijel - wo sich das Hauptquartier der AIS befand - am 4. Januar nicht von der Kampfkraft der AIS überzeugt gewesen. Die AIS habe vielmehr einen eher desolaten Eindruck hinterlassen.

Ein führender Politiker des verbotenen FIS, Abdelkader Boukhamkham, bestätigte letzte Woche gegenüber der Zeitung El Hayet, die Klausel hinsichtlich der bewaffneten Teilnahme der AIS an der Jagd auf die GIA sei nicht umgesetzt worden. Hingegen berichtete Le Matin am letzten Donnerstag über die Teilnahme ehemaliger AIS-Mitglieder an solchen Operationen. Dem Bericht zufolge wurden diese aber individuell von der Armee rekrutiert. Andere AIS-Teile hingegen seien in die GLD (Selbstverteidigungs-Gruppen) - eine Art Dorfschutz unter Aufsicht der Armee - eingegliedert worden. Wieder andere seien dabei, ins Zivilleben zurückzukehren.

Gegenüber El Hayet präzisierte der FIS-Politiker Boukhamkham auch die Modalitäten der Rückkehr ins Zivilleben: 10 000 algerische Dinar (umgerechnet 200 Mark, das Doppelte des algerischen Mindestlohns) Unterhalt würden den ehemaligen AIS-Mitgliedern zunächst bezahlt. Später würde diese Zahlung auf die Höhe des Mindestlohns reduziert und so lange beibehalten, bis der Betreffende einen Arbeitsplatz findet. In einem Land, das eine offizielle Arbeitslosenrate von 30 Prozent aufweist, gar nicht so schlecht.