Nachhaltige Verärgerung

Nach dem Scheitern der Konferenz von Seattle gehen viele Entwicklungsländer auf Distanz zur WTO. Und der EU fallen dazu nur schöne Worte ein.

Einen »Alptraum« nennt Teddy Chifamba seine Arbeit am Hauptsitz der Welthandelsorganisation in Genf. Der Handelsdiplomat aus Zimbabwe betrachtet die Verhandlungsprozesse in der World Trade Organization (WTO) als »Herausforderungen«, oft sei er aber frustriert und empfinde Abscheu, sagt er der All Africa News Agency. Arme Länder seien nicht gefragt. Die reichen Staaten dagegen verfügten über ein Arsenal von Tricks, mit denen sie ihre Ziele durchsetzen könnten - auch gegen die Entwicklungsländer.

In Seattle, bei der letzten WTO-Ministerkonferenz Ende November, hatten die Vertreter des Nordens, der EU und der USA, genau das versucht. Derart viele Verhandlungen fanden unter Ausschluss der afrikanischen Staaten statt, dass denen schließlich der Kragen platzen musste. Die Organisation für Afrikanische Einheit teilte mit: »Wir lehnen diese Art der Verhandlungsführung ab. So können wir keinen Konsens herbeiführen.« Damit war Seattle endgültig gescheitert.

Ob dieses Scheitern ein »großer Sieg über die Welthandelsorganisation« war, wie Le Monde diplomatique meinte, muss jedoch bezweifelt werden. Der weltweite Liberalisierungsprozess ist nicht gestoppt - er geht weiter. Erst kürzlich ist eine neue WTO-Regel in Kraft getreten, die bestimmt, dass die Mitgliedsstaaten nicht mehr auf einem Mindestanteil einheimischer Komponenten an einem Produkt bestehen dürfen. Diese so genannten local- content-Vorschriften waren jedoch vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern beliebt. Sie sollten sicherstellen, dass die Märkte nicht von Fertigprodukten aus dem Ausland überschwemmt werden, ohne dass die lokale Wirtschaft an der Fertigung beteiligt wäre. Zumindest Teile eines Produktes mussten im Inland hergestellt werden - eine Strategie zum Aufbau eigener Industriezweige.

Solche Schutzvorschriften werden nun nicht mehr möglich sein - ein Beleg dafür, dass die WTO eigenständige, heute als »unzeitgemäß« geltende Entwicklungsstrategien der Länder des Südens verhindert. Immerhin wurde jetzt klargestellt, dass Staaten, die gegen die neue Bestimmung verstoßen, bis auf weiteres nicht verklagt werden dürfen.

Vor allem in Afrika wächst nämlich nach Seattle die Kritik an der WTO und an der ökonomischen Globalisierung. Der Staatspräsident Madagaskars, Didier Ratsiraka, nannte die Globalisierung eine »totalitäre Lehre«, die den Entwicklungsländern »aufgezwungen« werde. Martin Khor vom Third World Network, die in Seattle Verhandlungsdelegationen aus Entwicklungsländern beriet, meint, fast alle Länder der »Dritten Welt« seien »erbost über ihre Marginalisierung und Ausgrenzung«. Es sei jedoch kaum zu erwarten, so Khor, dass die herrschende Lehre und die Prinzipien der Welthandelsordnung tatsächlich reformiert würden.

Khor scheint Recht zu behalten. Der Außenhandelskommissar der EU, Pascal Lamy, wirbt bereits für eine neue Verhandlungsrunde, noch in diesem Jahr. Und er weiß auch, wie dem Frust der Entwicklungsländer und den Protesten der WTO-Kritiker zu begegnen ist: durch Umarmen. Den Entwicklungsländern müsse man »mehr Platz am Tisch« geben, erklärte er im Europäischen Parlament. Und die gegnerischen Gruppen und Organisationen sollen, so Lamy, am Genfer Sitz der WTO akkreditiert und regelmäßig über neue Entwicklungen informiert werden. Nichtöffentliche, informelle Treffen seien weiterhin nötig. Dazu müsse künftig stets eine »repräsentative Auswahl« von Entwicklungsländern eingeladen werden.

Ob der Süden damit zufrieden sein wird, ist allerdings fraglich. Wohl die meisten Entwicklungsländer hatten befürchtet, weltwirtschaftlich noch weiter an den Rand gedrängt zu werden, und begrüßten daher ausdrücklich das Scheitern der Konferenz. Der Handelsminister Sambias erklärte: »Seit fünf Jahren gibt es die WTO. Inzwischen ist klar geworden, dass die Entwicklungsländer nicht in gleichem Maße von der bestehenden Welthandelsordnung profitieren wie die Staaten des Nordens.«

Noch deutlicher artikulierte der Außenminister der Dominikanischen Republik, Norris Charles, seine Kritik: Die WTO müsse auch die Lebensumstände der Menschen in Entwicklungsländern berücksichtigen. Zumindest vorübergehend müssten die Entwicklungsländer auch eine der WTO zuwiderlaufende Wirtschaftspolitik durchführen dürfen.

Forderungen nach der Einbeziehung sozialer Standards in die Abkommen der WTO stehen die meisten Entwicklungsländer kritisch gegenüber, da diese Standards sich an denen der Industrienationen orientieren würden. Auch die nichtstaatlichen Organisationen und Gruppen sind in der Frage der Sozialklauseln gespalten. Der Gedanke, die WTO solle neben Freihandel auch grundlegende Arbeitnehmerrechte und ein Verbot unmenschlicher Arbeitsformen wie Kinderarbeit durchsetzen, erscheint vielen wünschenswert. Andere fragen dagegen, ob eine Organisation, die bislang hauptsächlich dafür zuständig ist, Reichtum vom Süden in den Norden und vom Öffentlichen ins Private umzuverteilen und transnationalen Konzernen unumschränkte Macht zu verschaffen, das geeignete Organ für die Durchsetzung sozialer Menschenrechte ist. Die EU und die USA setzen sich für solche Sozialklauseln ein. Ihr Ziel ist es, die angeschlagene WTO wieder in ein besseres Licht zu rücken.

Für die Verfechter des globalen Freihandels wird es allerdings schwierig, die nach Seattle nachhaltig verärgerten Länder des Südens wieder ins Boot zu holen. Allenfalls auf Länder wie Uganda können sie vielleicht zählen. So bedauerte die ugandische Zeitung New Vision das Scheitern der WTO-Millenniumskonferenz. Entwicklungsländer mittlerer Wirtschaftskraft hätten zwar Nachteile durch die WTO-Ideologie der Weltmarktöffnung und -liberalisierung zu befürchten, arme Länder wie Uganda jedoch nicht. Die ugandischen Banken seien bereits in internationaler Hand, und die Industrie gehöre fast vollständig transnationalen Konzernen wie Unilever oder Coca-Cola. Insofern fahre das Land am besten, wenn es seine Politik den Konzernen anpasse und die Liberalisierung vorantreibe. Ein Land, das so regiert wird, hat schon nichts mehr zu verlieren.